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Sanfte Tiere als Piraten

Der Berliner Autor Martin Klein hat eine amüsante Piratengeschichte geschrieben, in der zwei Tierkinder die Hauptrollen spielen.

Von Ina Nefzer |
    Ein Schaf und ein Meerschwein - sanfte Tiere, zum Streicheln süß - als Helden einer Piratengeschichte? - Als Raubtiere? Eigentlich unvorstellbar. Wäre da nicht Martin Klein. Der Berliner Autor liebt das Paradoxe:

    "Die Harmlosigkeit und Niedlichkeit dieser beiden Tierarten waren wesentliche Motive für mich, aber in der Tat läuft es ja darauf hinaus, dass in Rita und Ruth eben mehr steckt und etwas anderes steckt, als die meisten anderen Tiere und Menschen vermuten. Komik entsteht ja natürlich zum einen immer aus Übertreibung und zum anderen aus Gegensätzlichkeit beziehungsweise Unmöglichkeit."
    So knickt Rita mit ihren dünnen Beinchen "alte Zaunpfähle um wie Salzstangen und spaltet lehmige Erdklumpen wie ein Karatemeister mit schwarzem Gürtel". Und die kleine Ruth, sie hat eine Raubtierstimme, mit der sie alles und jeden in die Flucht schlagen kann. Gemeinsam träumen die beiden einen Traum:

    "Ein Raubmeerschwein bist du also".
    "Ein Raubrosettenmeerschwein, wenn du's ganz genau wissen willst." Ruth blinzelt Rita verschwörerisch zu. "Sir Francis Drake?", fragt sie. Ritas Schafgesicht leuchtet auf. "Oder vielleicht doch Klaus Störtebecker?"
    "Pirat?!", fragt Ruth. "Oder Freibeuter?!"
    "Karibik", rufen Rita und Ruth gleichzeitig, und dann wild durcheinander: "Australien! Südamerika! Hunde verhauen! Süßfinder versohlen!"


    Autor Martin Klein inszeniert seine Geschichten wie Kinder spielen. Hier ein Piratenname, dort ein Lied und da ein Schlachtruf: Hey-jo - die ganze Freibeuterei zieht sich mittels unzähliger Anspielungen leitmotivisch durch die Erzählungen – als wehe durch sie der Duft von Freiheit und Abenteuer.

    Rita und Ruth wissen nichts von echter Piraterie, von Raub oder Grausamkeiten. Nein, ihr Piratendasein ist Wunschbild, eine Metapher für ein freies, selbstbestimmtes und abenteuerliches Leben. Für Kinder sind sie damit im besten Sinne Identifikationsfiguren: Vorwitzig spielen sie mit großen Worten und voller Selbstüberschätzung ihre kühnen Träume.

    "Das Wesen des Spiels ist doch, etwas so ernst wie nur möglich zu nehmen, obwohl man weiß, dass es so nicht ist. Da ist ja ein Geheimnis drin oder ein Mythos, etwas Mystisches würde ich sagen, das uns dann auf dem Weg zum Erwachsenwerden verloren geht. Nämlich das Spiel für Realität zu nehmen und die Grenzen zwischen der Fiktion und der Wirklichkeit, zwischen dem Spiel und der Wirklichkeit selber gar nicht so genau zu kennen."

    Gekonnt setzt der Autor dies auch auf der sprachlichen Ebene um, wenn er Ruth als "flauschigen Minitorpedo" charakterisiert. Oder lautmalerisch das 'R' rollen lässt, dass es gefährlich und wild klingt.

    Bei all der spielerischen Unbefangenheit, Martin Kleins Botschaft ist klar: Wer ein glückliches Leben führen will, muss seine besonderen Fähigkeiten erkennen und an sich glauben.

    Dies machen Rita und Ruth natürlich vor: Als sie am Ende des ersten Bandes selbst merken, dass sie doch nicht zum echten Piraten geboren sind, lässt Martin Klein sie das tun, was sie am besten können: Pirat spielen und zwar als Hauptdarsteller in einem Kinofilm.

    Nun, zu Beginn des zweiten Bandes - "Rita, das Raubschaf und der Ruf der Karibikwölfe" - begegnet man zweien, die mit sich zufrieden sind:
    Nach dem Welterfolg ihres Films haben sie sich an einen geheimen Ort in der Karibik zurückgezogen und ein Piratennest am Strand gebaut. Meist liegen sie den ganzen Tag in ihren Liegestühlen und blicken zufrieden in die Ferne. Bis eines Tages dort ein Paket für sie eintrifft, das merkwürdig riecht und Geräusche von sich gibt: Es sind Wolfskind Rocco und sein Vater Karloff. Ein schwieriger Vater-Sohn-Konflikt bahnt sich an:

    "Wie ihr sicher schon bemerkt habt, ist Rocco ein Filmwölfchen und hat keine Ahnung von gar nichts. Aber nun wird er demnächst ein wilder Wolf im Grenzgebiet zwischen Brandenburg und Polen.
    "Ja, Papa." Rocco nickt artig. "Aber ... "
    "Nichts aber!", blafft Karloff.
    "Aber man kann frei sein und Filme drehen, Papa", beharrt Rocco.
    "Ein wilder Wolf lässt sich nicht in der Maske pudern." Karloff schnaubt verächtlich und fixiert Rita und Ruth. "Also, seht zu, dass aus Rocco ein richtiger Wolf wird. Ich verlasse mich auf euch."


    Die frechen Illustrationen von Ute Krause passen gut zu Martin Kleins sprühenden, lebhaften Dialogen, seinem Sprachwitz und Bilderreichtum, der präzise auf die kindliche Zielgruppe zugeschnitten ist. Da heißt es – statt "nach 30 Minuten" - "1000 Raubschaf- und 5000 Raubmeerschweinschritte später". Wenn Häuser verstreut stehen, sehen sie aus "wie kreuz und quer aus einer Spielzeugkiste gekippt" und selbst im fremden, gefährlichen Dschungel stinken die "riesigen fleischfarbenen Blüten nach Schweißfüßen in Gummistiefeln".

    Doch auch die erwachsenen Vorleser sollen in Kleins Geschichten ihren ganz eigenen Spaß haben.

    "Bei mir ist es so, dass ich absichtlich, aber auch aus Überzeugung und weil es mir Spaß macht und weil ich es für unabdingbar halte, eine zweite Ebene einziehe in meine Geschichten. Ich meine, Rita und Ruth sind ja in der Karibik und da spielt die Reggaemusik eine gewisse Rolle und da sind eben Rita und Ruth nicht bei irgendwem gelandet, sondern sind bei einem Musiker namens Bob gelandet und der hat eine musikalische Katze, die auch Reggaemusik macht, und so kommt es im Laufe der Geschichte dazu, dass ein berühmter Reggaesong komponiert wird, der auch – das liegt ja nahe – einer meiner persönlichen Lieblingslieder überhaupt ist."

    Was kann man sich als Vorleser Besseres wünschen, als dass Bob Marley mit "No woman, no cry" den Soundtrack zur abendlichen Vorlesegeschichte beisteuert? Auch die zweite ist eine virtuos geschriebene, sehr amüsante Tierkinderpiratengeschichte übrigens. Fortsetzung erwünscht!


    Martin Klein/Ute Krause (Illu.): "Rita, das Raubschaf". Berlin: Tulipan 2009, Euro 12,90.

    Martin Klein/Mechthild Großmann (Sprecherin): "Rita, das Raubschaf". Mannheim: Sauerländer Audio 2010, Euro 12,95.

    Martin Klein/Ute Krause (Illu.): "Rita, das Raubschaf und der Ruf der Karibikwölfe". Berlin: Tulipan 2010, Euro 14,90.