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Satirische Webserie "Corona Chronik"
Mitgefühl unter Palmen

Künstler Moritz Frei und Schauspielerin Anne Hoffmann sind privat ein Paar. In Corona-Zeiten haben sie sich auch beruflich zusammengetan und drehen in ihrem Wohnzimmer vor der karibischen Fototapete die satirische Webserie "Corona Chronik".

Von Marie Kaiser | 21.04.2020
Einmal gründlich Händewaschen und dabei "Happy Birthday" singen im Schnelldurchlauf - das ist der Vorspann zu jeder neuen Ausgabe der 'Corona-Chronik'.
Danach erscheinen die beiden Urlauber Moritz Frei und Anne Hoffmann ganz leger vor der Kamera. Er im gelben T-Shirt, sie schulterfrei und mit Sonnenbrille.
"Ah ja, ihr Lieben wir wollten Euch jetzt einfach mal einen kleinen Sonnengruß schicken. Wir haben natürlich mitgekriegt, was in Europa bei Euch abgeht. Allein wenn ich’s mir vorstelle, mir dreht sich der Magen um. Ich mein, einmal haben wir Glück gehabt, einmal gutes Timing! Wir hocken jetzt auf der Insel der Glückseligen, die haben alles abgeriegelt und jetzt bleiben wir einfach da."
Karibik im Wohnzimmer
Weißer Sandstrand, Palmen, türkisblaues Meer - Die Insel der Glückseligen ist in Wahrheit nur eine Fototapete mit Karibikmotiv im Wohnzimmer des Paars. Jetzt nutzen sie sie als Hintergrund für ihre Webserie. Sowohl der Schauspielerin, als auch dem Künstler sind durch die Corona-Einschränkungen viele Aufträge weggebrochen. Nun arbeiten die beiden einfach kurzerhand zusammen kreativ im Homeoffice und nutzen die Stunden, in denen ihre kleine Tochter schläft, erklärt Moritz Frei.
"Wir haben ein Format gesucht, das unsere beiden Sparten zusammenbringt. Dass wir irgendwie die Zeit, die wir jetzt hier verbringen, produktiv nutzen können und dennoch aus unserer Sicht vielleicht einen Kommentar oder eine Blickweise auf diese für alle ungewohnte und sonderbare Situation geben können."
"Für uns haben wir ja dadurch durch dieses Format einen Kanal gefunden", ergänzt Anne Hoffmann, "kreativ mit der Situation umzugehen und halten uns auch ganz persönlich deshalb so die großen Sorgen ein bisschen vom Leib oder können Sie wegschieben."
Wenn sie sich als Urlauberpaar inszenieren, sind die Rollen klar verteilt. Während er oft nur regungslos dasitzt, höchstens einmal eine Grimasse zieht oder ein brummeliges Geräusch von sich gibt, plappert sie in einem fort in breitem saarländischen Dialekt:
"Wenn ich mir vorstelle, wir würden jetzt in Berlin in unserer 59 Quadratmeter-Butze hocken. Das Kind könnte nicht in die Kita. Wie willst du das schaffen? Gut, wir haben eh nichts zu schaffen, gerade. Meine Vorstellungen sind alle abgesagt, meine Proben alle abgesagt. Wer will seine Kunst kaufen! Das ist auch alles unsicher."
Paradies ohne Coiffeure
Die Videobotschaften sind inszeniert für die Lieben in der Heimat, die sich leider gerade nicht die karibische Sonne auf den Bauch scheinen lassen können. Mal gehen die Urlauber als Solidaritätsaktion für einen Tag in Quarantäne im Zelt. Dann nehmen sie eine Kurzmeditation für die Daheimgebliebenen auf oder schneiden sich gegenseitig die Haare, denn auch auf der Insel gibt es keine Friseure.
"Wir haben wie ihr keinen Zugang zu einem Haarschnitt. Und das wirft natürlich grundlegende Fragen auf. Was passiert mit einer Gesellschaft, die schlecht frisiert ist. Oder gar unfrisiert! Lagerfeld würde wahrscheinlich sagen, eine unfrisierte Gesellschaft hat die Kontrolle über ihr Zusammenleben verloren", so Anne Hoffmann.
"Werden wir mit zunehmendem Zuwachsen auch weitere zivilisatorische Errungenschaften aufgeben - werden wir uns am Ende mir nichts dir nichts gegenseitig auffressen?"
Seit fünf Wochen schlüpfen Anne Hoffmann und Moritz Frei immer wieder in die Rolle der Urlauber - heute erscheint die 20. Folge der Corona-Chronik auf Youtube. Die satirische Webserie vor der Karibiktapete ist mit einfachsten Mitteln gedreht, führt aber dennoch aufs Schönste die Absurditäten unseres Corona-Alltags vor. Auch das Gefühl des Mitleids mit den anderen, die es leider nicht so gut getroffen haben.
"Ich glaube, man hat ja auch so ein bisschen so ein vorgeschobenes Mitleid mit Ländern wie Italien oder Spanien oder den USA. Mit wem man alles Mitleid hat, aber sich gleichzeitig doch irgendwo ganz sicher fühlt in seiner eigenen Situation und ganz froh darüber ist, dass man dieses Leid nicht direkt unbedingt teilen muss", so Frei.
"Das ist quasi so ein bisschen die Übersteigerung, kann man sagen", sagt Anne Hoffmann "die Insel der Glückseligen und wir haben das auch ein bisschen gewählt, weil wir dadurch auf diese privilegierte Situation von außen drauf gucken können."
Auch wenn es nun erste Lockerungen des Corona-Alltags gibt, Moritz Frei und Anne Hoffmann wollen ihre Corona Chronik fortsetzen - die Ideen werden ihnen nicht so schnell ausgehen, da sind sich der Künstler und die Schauspielerin einig.
Alles außer Kontrolle
"So wie uns das Leben gerade täglich überrascht, überrascht uns auch der weitere Verlauf der Serie! Wir sind ja auch überrascht. Wir können ja auch nicht kontrollieren, was am nächsten Tag passiert. Da sind wir alle in einer relativ ähnlichen Situation."
Oder wie es die Urlauberin am Traumstrand ausdrücken würde:
"Passt gut auf Euch auf, wir denken an Euch. Kuss."
Die Corona- Chronik Teil 1-20