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Saudi-Arabien und das Terrornetzwerk Al Kaida

Nach den Terroranschlägen von London gibt es britischen Presseberichten zufolge eine erste Spur – gesucht wird nach einem Marokkaner, der angeblich schon an den Attentaten in Madrid 2004 und in Casablanca 2003 beteiligt war. Die Vermutungen, dass das Terrornetzwerk Al Kaida nun auch für die Londoner Anschläge verantwortlich zu machen ist, verdichten sich. Kopf und Mentor dieser Terrororganisation ist bis heute Osama Bin Laden – ein gebürtiger Saudi. Reinhard Baumgarten mit einer Spurensuche in Saudi-Arabien.

    "Erheb Dich, wirf den Schlaf ab. Der Islam ist zurück. Wir marschieren für Gott. Rufen zum Jihad."

    Saudische Terroristen werben im Internet. Mehr als 100 Menschen sind in den vergangenen zwei Jahren in Saudi Arabien Opfer von Terroranschlägen geworden.

    "Im Namen Gottes" glauben die religiös bemäntelten Extremisten zu handeln. Im Namen Gottes glauben sie, Zivilisten ermorden, Wohngebiete in die Luft sprengen und das ganze Land mit Angst und Schrecken überziehen zu dürfen.

    "Dieses Jahr wird so Gott will ein Jahr der Zerstörung und des Unheils für die Ungläubigen und Feinde unseres Glaubens."

    Zu den Feinden ihres Glaubens zählen die Terroristen den Westen im Allgemeinen, die USA im Besonderen und die saudische Führung im Speziellen.

    "Die unverhohlenste unter den ungläubigen Regierungen ist die saudische Regierung, die nicht Gottes Gesetzen folgt, die das Land der Beiden Heiligtümer den Kreuzfahrern geöffnet hat. Sie hat die arabische Halbinsel und ihre Reichtümer in den Dienst des internationalen jüdisch-kreuzfahrerischen Plans gestellt, indem sie die Errichtung von Militärbasen erlaubt hat und indem sie Amerika mit Öl zum niedrigsten Preis versorgt. "

    Die saudische Führung hat mittlerweile begriffen, welch enorme Bedrohung von den religiös verbrämten Fanatikern auch für die eigene Herrschaft ausgeht.

    Terroristen haben einen Bus gekapert. Eine Anti-Terroreinheit rast heran, wirft Rauchbomben, eröffnet das Feuer auf die Kidnapper und stürmt das Fahrzeug. Eine Übung. Training für den Ernstfall, mit dem in Saudi Arabien täglich gerechnet werden muss.

    "Herzlich willkommen bei den Sondereinheiten der saudischen Sicherheitskräfte", sagt deren Chef, Ali Rahily. Vor gut 30 Jahren sind sie ins Leben gerufen worden. Und noch nie waren sie so nötig wie heute. Mittlerweile sind in jeder größeren saudischen Stadt Spezialkräfte zur Terrorbekämpfung stationiert.

    Ulrich Wegener, einst Chef der Anti-Terrortruppe GSG 9, hat die saudischen Sondereinheiten mit aufgebaut. Von Zeit zu Zeit kommen Experten aus Deutschland, England und Frankreich ins Königreich Saudi Arabien, um die Anti-Terrorkämpfer zu trainieren.

    Das harte Training scheint sich auszuzahlen. Die Jagd nach mutmaßlichen Terroristen zeitigt Erfolge. Anfang Juli haben Sicherheitskräfte mit Younis al-Hayari einen der wichtigsten Köpfe des saudischen Al-Kaida-Ablegers erschossen. Eine weitere Schlacht wurde gewonnen, doch der Krieg gegen den hausgemachten Extremismus ist damit noch lange nicht gewonnen.

    In den 80er und 90er Jahren sind Tausende junger Saudis nach Afghanistan gezogen, um gegen die Sowjets zu kämpfen und um sich in den Al-Kaida-Lagern ausbilden zu lassen. Dort haben sie im Verein mit jungen Männern aus allen Teilen der islamischen Welt den Botschaften von Osama bin Laden gelauscht.

    "Jeder amerikanische Mann ist für uns ein Feind, gleich ob als Steuerzahler oder in der Schlacht. Amerika ist eine Nation, die keine Werte hat. "

    Viele saudische Al-Kaida-Sympathisanten sind nach ihrer Rückkehr ins wahhabitische Königreich wie mutmaßliche Terroristen behandelt und damit weiter in die Isolation und schließlich in den Extremismus gedrängt worden. Doch das, so meint der Liberale Dr. Turki al-Hamad, sei nur die eine Seite der Medaille. Tatsächlich habe die saudische Gesellschaft, das saudische Wertesystem den Weg in die Radikalität ermöglicht.

    "Bestimmte Werte sollten durch unser Erziehungssystem verbreitet werden, wie etwa Toleranz, der Umgang mit anderen als Menschen und als andere Rasse oder als Ungläubige. Es gibt Werte, die müssen in die Köpfe junger Kinder eingepflanzt werden, um eine neue Gesellschaft zu haben. Wenn wir fortfahren, unseren Kinder Hass und Intoleranz beizubringen, dann wachsen die heran und das geistige Umfeld für Terrorismus wird damit geschaffen. Die warten dann nur darauf, von jemandem mitgenommen zu werden. "

    Viele junge Saudis lehnen Terrorismus auf eigenem Boden zwar entschieden ab, aber gleichzeitig empfinden sie Sympathie für den Terrorchef bin Laden und dessen Gedankengut. Für Turki al-Hamad ist das nicht überraschend.

    "Beispielsweise haben wir gute Ärzte und Ingenieure, deren Köpfe gleichzeitig voll sind mit terroristischen Ideen wegen der Werte, die ihnen vermittelt wurden. Deswegen würde ich mich auf die Werte konzentrieren, speziell auf Toleranz. Ich würde mich mit aller Kraft, auf diesen Wert ausrichten. "

    Wenn Terroristen etwa in Saudi Arabien, in Madrid, Istanbul oder London aktiv werden, dann bedarf es keiner ausdrücklichen Anordnung dazu. Osama bin Laden, der Pate des religiös verbrämten Terrors, gibt seit Jahren schon das Feindbild vor, er definiert die Gegner und sagt, was zu tun ist.

    "Jihad ist eine islamische Pflicht. Doch wir müssen zwischen der Pflicht und Fähig¬keit unterscheiden. Wo immer genug Männer, Waffen und Mittel sind, müssen Muslime den Jihad gegen den Unglauben aufnehmen."
    Die weltweit mit Al Kaida in Verbindung stehenden oder in Verbindung gebrachten Gruppen orien¬tieren sich nicht an einer Mutterorganisation. Sie handeln lokal und autonom, weil sie genau wissen, was von ihnen erwartet wird, denn sie teilen bin Ladens Wahnvorstellung, der Westen und seine Werte sei für den beklagenswerten Zustand vieler islamischer Länder verantwortlich.

    Die von Al Kaida ausgeführten Terroranschläge vom 11. September 2001 gehörten zu den Begründungen der Bush-Administration für den Krieg gegen Saddam Husseins Diktatur im Irak. Doch dieser vermeintliche Waffengang gegen den internationalen Terrorismus erweist sich mehr und mehr als Bumerang, meint der Terrorexperte Dia Rashwan vom al-Ahram Zentrum für strategische Studien in Kairo.

    Die ausufernde Gewalt und die Terroranschläge hätten sehr viel mit dem Krieg der USA gegen den Irak und dessen Besetzung zu tun. Die Islamisten, so Rashwan, trügen nun ihrerseits den Terrorismus aus dem Irak hinaus in die Welt – bevorzugt gegen westliche Ziele. Angesichts der dramatischen Lage vor allem im Irak dürften dem losen Terrornetz Al Kaida die Verbindungen und der Nachschub nicht ausgehen.