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"Say no to ID"

Der neue Personalausweis sorgte schon vor seiner Einführung in Deutschland für Empörung. Zu wenig Sicherheit böte die neue Funktion des elektronischen Identitätsnachweises. In Großbritannien wird ein ähnliches Dokument schon seit zwei Jahren von vielen Bürgern verschmäht.

Von Jochen Spengler | 01.11.2010
    Es gab ihn schon mit allem Drum und Dran. Im Scheckkartenformat, mit Farbfoto, Namen, Adresse, Unterschrift und Mikrochip – darauf gespeichert biometrische Daten: Fingerabdruck und Iris. Ein Personalausweis – eine britische ID-Card. Den Nicht-EU-Ausländern in Großbritannien wurde sie vor zwei Jahren aufgenötigt – die Briten selbst sollten sie in diesem Jahr freiwillig beantragen können – wofür Innenminister Alan Johnson mit warmen Worten warb.

    "Wir leben jetzt in einer Welt, in der der Betrug mit falschen Identitäten viele Probleme verursacht. Menschenschmuggel etwa oder das widerrechtliche Beanspruchen von Sozialleistungen. Wir leben in einer Welt, in der Menschen immer stärker gefordert werden, ihre Identität nachzuweisen. Die ID-Karte bietet dafür ein einfachen, sicheren Weg."

    Inzwischen hat Labour-Mann Alan Johnson auf der Oppositionsbank Platz genommen und Nachfolgerin Theresa May hat sein Lieblingsprojekt im Mai auf den Müll geschmissen.

    "Das ist ein bedeutender Moment für die neue Koalitionsregierung. Es ist das erste Gesetz, das wir ins Parlament bringen. Und es besagt, dass wir innerhalb von 100 Tagen die ID-Karten abschaffen. Weil wir sie für falsch halten, sie werden nicht funktionieren und es gibt freiheitsrechtliche Argumente gegen sie. Es ist ein wichtiges Zeichen einer Regierung, die die Balance wiederherstellen will zwischen nationaler Sicherheit und bürgerlichen Freiheiten."

    Kein Personalausweis also – es bleibt dabei. Wer immer im Vereinigten Königreich vor Beamten oder Bankern nachweisen muss, wer er ist, wird lästigerweise gezwungen sein, Original-Rechnungen von Wasserwerken, Telefongesellschaften oder ähnliches beizubringen. Einfach ist anders. Ein Personalausweis wäre praktischer, warum wehren sich ausgerechnet die pragmatischen Briten so vehement?

    Zunächst einmal aus Tradition. Noch nie gab es im Inselreich so etwas wie ein Einwohnermeldeamt. Meldepflicht und Register passen anscheinend nicht zum Land der Freien, der Magna Charta, werden als Einschränkung der individuellen Rechte und Freiheiten des Bürgers beargwöhnt.

    Eine Ausweispflicht kannte das Land nur einmal – zwischen 1939 und '52 diente sie als Vorsichtsmaßnahme gegen deutsche Spione. Doch als sich Anfang der 50er-Jahre ein Reinigungsmann bei einer Routinekontrolle in London weigerte, seinen Ausweis zu zeigen, und die Sache vor Gericht landete, schaffte Churchill die Ausweise wieder ab.

    1997 kamen Tony Blairs Sozialdemokraten an die Macht und die nutzten ihre 13 Jahre, um aus dem derangierten Großbritannien der Nach-Thatcher-Ära, eine Art Nanny-Staat zu machen. Der Staat als bevormundendes Kindermädchen, das sich um alles kümmert, eine Unmenge an Vorschriften erlässt, von denen eine etwa besagt, dass es nicht erlaubt ist, Eier aus einer Verpackung zu nehmen, wenn ein Polizist dies verboten hat.

    Wo ein gütiger Staat Wohltaten und Sozialleistungen verteilt, da muss er doch selbstverständlich kontrollieren, ob sich die solcherart Beglückten auch an die Regeln halten. Gemeinden und Nachbarn sind zur Denunziation aufgefordert, Millionen Video-Kameras registrieren auf Straßen, Flughäfen und Bahnsteigen, in Gebäuden, Aufzügen, Bussen und Bahnen jede Geste des Bürgers. Etliche Datenbanken speichern E-Mails, Telefonverbindungen, Speichelproben, Steuererklärungen, Krankheiten, und Kindergeldbezug. Der Personalausweis und das geplante Register wären die Krönung des Überwachungsstaats, für andere sind sie die Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen.

    No2ID heißt es von London bis Edinburgh.

    Die Gegenwehr hat Erfolg. Im Parlament gibt es keine Mehrheit für die obligatorische Einführung des Personalausweises. Die neue Regierung hat versprochen, den Überwachungsstaat abzubauen, Kameras zu demontieren, Datenbanken zu schrumpfen und eine Menge der über 3000 neuen Straftatbestände abzuschaffen. All das lässt noch auf sich warten, aber Regierungschef Cameron sagte vor wenigen Tagen im Parlament. :

    "Wir haben schon gute Fortschritte gemacht beim Zurückdrängen der Staatseingriffe. Wir sind die Personalausweise los und wir haben die Rechte des Staates, in Privatwohnung einzudringen zurückgenommen. Wir beabsichtigen nicht, eine zentrale Datenbank zur Speicherung der Kommunikationsinformationen einzurichten und wir werden auf dem Gebiet mit dem Datenschutzbeauftragten umfassend zusammenarbeiten."