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Schau ohne schnelle Antworten

Zum ersten Mal zeigt die Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst einen Überblick über das Werk von Tilo Schulz. Die Ausstellung "Formschön" ist bemerkenswert und ungewöhnlich in ihrer intellektuellen und zugleich sinnlich komplexen Aufarbeitung der jüngsten Kunstvergangenheit.

Von Carsten Probst |
    Die große Glasfassade ist normalerweise der Blickfang des Neubaus der Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig, Und nach dem Willen der Architekten soll sie für einen fast unmerklichen Übergang von Außen- und Innenwelt sorgen. Auch werden zuweilen Leuchtschriften oder riesige Wandmalereien installiert, die die aktuellen Ausstellungen schon von Fern anzeigen. Diesmal dagegen ist der Bau an einer Seite von einem massiven Theatervorhang verdunkelt, und daneben hängt über die volle Breite der restlichen Straßenfront eine bodenlange Gardine, wie man sie eher noch aus Restaurants der 50er oder 60er Jahre kennt. Und diese Verfinsterung des eigentlich fast transparenten Galeriebaus, ein erstes Zeichen, so als ob sich die Galerie diesmal symbolisch abschottet. Und symbolisch aufgeladen geht es auch im Inneren weiter.

    Tilo Schulz hat hier keine Ausstellung im klassischen Sinn erstellt, wie es von Leipzig zurzeit anscheinend fast jeder erwarten würde. Hier hängen keine üppigen "neo"-realistischen Großgemälde an der Wand. Tilo Schulz hat dagegen einen labyrinthisch-gezackten Parcours erstellt, den er mit eher unauffälligen Objekten und großen Wandmalereien ausgestattet hat, lauter Dingen, die als Metapher gemeint sind für eine Zeit des Kalten Krieges, in der die angeblich unvereinbaren Positionen von Ost und West gerade auch über die Kunstauffassungen ausgetragen wurden.

    Große abstrakte Schwarzweißmalereien an den Wänden stehen sinnbildlich für die Moderne, wie sie in der westlichen Kunstwelt weiterlebte und wie sie zugleich aus der Perspektive des sozialistischen Realismus als formalistisch gegeißelt wurde. "Der Formalismus ist die typische Erscheinungsform der künstlerischen Dekadenz in der Epoche des Imperialismus", steht auf einer anderen Wand, ein typisches Zitat aus dem Bilderstreit der Ideologien, auf die der Westen mit seinem Programm der Kunstfreiheit antwortete.

    Tilo Schulz steht gewissermaßen schon biografisch noch mit jeweils einem Bein auf jeder Seite dieses Bilderstreits. Der heute 34-Jährige hat die ersten 17 Jahre seines Lebens in der früheren DDR verbracht, die nun seit wiederum 17 Jahren Geschichte ist. Schulz' installatives Werk ist wie gemacht für die Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst, die als Institution immer den Brückenschlag zwischen den einstigen Ideologien gesucht hat. Das ist auch Schulz' Absicht, indem er zu zeigen versucht, dass trotz allen ideologischen Säbelrasselns die Positionen von damals einander gar nicht so fremd waren. Auch der Westen hatte und hat seine realistische Volkskunst, nämlich in der Popkultur und in der Verschmelzung von Werbung, Design und Kunst seit den 70er Jahren, wie er an einer großen Wandmalerei demonstriert, die japanische Manga-Comics zitiert. Der Vorhang und die Gardinen vor den großen Glasfenstern stehen für die heute ziemlich abgegriffenen Ideologien von öffentlicher Privatheit oder demokratischer Transparenz, die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gepflegt wurden, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten, und zugleich auch für den Rückzug ins Private, den sowohl die DDR-Bevölkerung der 80er Jahre aus Frustration über die Staatsführung vollzog, als auch die im Westen, die sich dem Konsum hingab. So werden hier nach und nach symbolisch die Themen abgearbeitet, die im Bilderstreit der Moderne Ost gegen die Moderne West ihre seltsame Verzerrung erlebt haben: Gender-Debatte, Naturdesign, Retro- und Widerstandsmoden.

    Schulz sucht in den vermeintlichen Gegensätzen die Parallelität der Ereignisse, die erst "danach" sichtbar wird, wenn alles vorbei ist. So gesehen ist es auch eine Installation der eigenen künstlerischen Biografie und der ästhetischen Einflüsse, die sie vor und nach der Wende geprägt haben.

    Anfang der 90er Jahre, als kaum 18-jähriger "Young German Artist", nahm Tilo Schulz einen ganz anderen Weg als der zwölf Jahre ältere, klassisch ausgebildete Neo Rauch. Er fühlte sich gerade von den in der DDR als formalistisch verurteilten abstrakten Strömungen der Moderne angezogen, um dann jedoch im Verlauf seiner Beschäftigung mit ihnen auch deren staatspolitische Überfrachtung im Ost-West-Konflikt zu entdecken. So lässt sich auch die Wiederentdeckung der Bauhaus-Keramikerin Ursula Fesca in den Diskurs einbauen, die zwischen den 30er und 30er Jahren neue Maßstäbe bei Lasuren und Dekoren setzte, indem sie Innen und Außen, Männliche und Weibliche Materialitäten und skulpturale Metaphern einsetzte, um das Erbe der Moderne zu reflektieren.

    Diese Leipziger Ausstellung ist bemerkenswert und ungewöhnlich in ihrer intellektuellen und zugleich sinnlich komplexen Aufarbeitung der jüngsten Kunstvergangenheit., nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich den schnellen Antworten verweigert und nicht gleich so tut, als habe sie nach dem Ende dieser Epoche des Kalten Krieges sofort etwas ganz Neues anzubieten. Ohne larmoyant zu werden, wird hier die Kunst als Konstruktion und Design von staatlichen Ideologien, deren Einfluss sie sich zugleich widersetzt. Und erst allmählich, so scheint es, wird der Blick für das Zeitlose dieses Konflikts frei.

    Service: Die Ausstellung ist noch bis zum 7. April zu sehen. Nähere Informationen im Internet unter www.gfzk.de.