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Schaubühne meets Antike

In diesem Jahr sind die Deutschen wieder gut vertreten beim Hellenic Festival, - mit Matthias Langhoff, Pina Bausch und Thomas Ostermeier, dem Chef der Berliner Schaubühne. Er hat seine Neuinszenierung von Shakespeares "Hamlet" dort zuerst gezeigt, in einem Theater in Athen.

Von Sven Ricklefs |
    Beerdigungen können furchtbar sein. Diese ist furchtbar: Da muss einer alles allein machen und zieht das Seil unter dem über dem offenen Grab aufgebockten Sarg hindurch, kriecht hindurch, müht sich, doch der Sarg kippt und er mit ihm, der Sarg fällt und er auch. Beerdigungen können furchtbar sein. Gut dass man zu Helsingör gleich Hochzeit feiern kann, schließlich heiratet in Shakespeares Hamlet die Witwe des Verstorbenen den Bruder und Mörder des Verstorbenen, da bleibt alles in der Familie, die Wege sind gleichsam kurz, vom Bruder zum Bruder und vom Grab zum Brautbett. Wenn da nicht Hamlet wäre:

    "Sein oder nicht sein, das ist die Frage. Soll man die wütenden Attacken des Schicksals über sich ergehen lassen, oder zu den Waffen greifen gegen ein Meer von Klagen und sie im Widerstand beenden."

    Klein sind ja die Fragen bekanntlich nicht, die dieser als intellektueller Zauderer in die Weltliteraturgeschichte eingegangene Antiheld so mit sich herumschleppt.

    "Sterben, Schlafen, sonst nichts und sagen, wir beenden mit einem Schlaf den Schmerz der Liebe und tausend naturgegebenen Erregungen, die wir durch unsere physische Existenz geerbt haben."

    Thomas Ostermeiers Hamlet in der Gestalt des Schauspielers Lars Eidinger ist ein wanstiger Unglücksrabe, dem die Lebensverzweiflung ebenso aus allen Poren dringt wie der Menschenekel, der die eigene Person gleich mit einschließt. Mit klebrigen langen Haaren und der Eleganz der Unförmigkeit wirft Eidinger seine Figur in den aussichtslosen Kampf mit einer Welt, in der ihr Talent zur Analyse und zum ethischen Hinterfragen hinderlich sein muss. Dabei spielt Hamlet ja bekanntlich den Wahnsinnigen, um seinen zauderlichen Rachefeldzug gegen seinen Onkel, den Brudermörder und überhaupt gegen die korrupte und machtgeile Welt, zu tarnen.

    In der Produktion der Schaubühne Berlin, die gestern Abend beim Hellenic-Festival in Athen Premiere hatte, nutzt der junge Ausnahmeschauspieler Eidinger die Kraft seiner beeindruckenden Bühnenpräsenz, um in voller Fahrt ein ganzes Spektrum zwischen leiser Reflektion und schrillem Slapstick zu erspielen, einem Slapstick, der durchaus auch im epileptischen Breakdance gipfeln kann, ohne dass die Figur je an eine billige Nummer verraten wird:

    "Don't push me cause I am close to the edge, I am trying not to loose my head."

    Thomas Ostermeier hat mit dieser Produktion im wahrsten Sinne des Wortes Hamlet inszeniert. Auf die Verzweiflung dieser Figur, ihre ängstliche Todessehnsucht und ihr intellektuelles Dilemma ist sein ganzer Fokus gerichtet, so dass die anderen Figuren, die diesem Hamlet eigentlich überhaupt erst den Handlungshumus bieten, fast zu sehr verblassen. Ohnehin lässt Ostermeier das Shakespeare'sche Personal von über 20 Personen von gerade einmal 6 Schauspielern spielen. Da wird Hamlets Mutter allein durch die Abnahme der blonden Perücke zu Hamlets geliebter Ophelia, da ist der Brudermörder ohne seine Sonnenbrille plötzlich der Geist des Ermordeten.

    Jeder ist hier jedes, mal gut mal böse, mal schuldig mal nicht. Und zwischen allen wandelt Hamlet umher, die Königskrone mit dem Kranz nach unten auf dem Kopf, Hamlet: der Clown, der so gern eine Bombe wäre. Er filmt das, was er mit seinem in Sensibilität hochgetunten Hirn wahrnimmt mit einer Kamera, die ihre unheimlichen Bilder wiederum auf einen aus goldenen Ketten bestehenden Bühnenschleier wirft.

    Hamlet ist Shakespeares szenisch wie dramaturgisch sicherlich krudestes Stück, sprunghaft, unglaubwürdig manchmal auch langatmig und dabei zugleich in seiner Tiefe und Sprache von einer ebensolchen kruden Wucht. Und an dieser kruden Wucht so scheint es, hat sich nun Thomas Ostermeier versucht und dieser Versuch ist ihm durchaus gelungen. In einer Art Antiästhetik ist sein dänischer Hofstaat eine Ansammlung speckiger Widerlinge, die sich ihre mit Plastikgeschirr, Fastfood, Bierdosen und Weintetrapacks gedeckte Hochzeitstafel auf dem weiten Gräberfeld vor und zurückschieben können. Dass Hamlet dabei aussieht, wie einer von ihnen, ist nur konsequent, ist doch auch er nur das, was man gemeinhin als Mensch bezeichnet und damit in seinen Anlagen und Möglichkeiten letztlich, wie er selbst sagt, zum Kotzen.