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Schecks für die Bildung

Die Deutschen lernen nicht gern. Den Eindruck vermittelt zumindest der Blick auf die Zahl der Arbeitnehmer, die Weiterbildungen besuchen. Seit dem Jahr 2000 ist sie rückläufig. Das will die Bundesregierung ändern. Mit einem Prämienmodell: Wer höchstens 17.900 Euro jährlich verdient, der hat ab dem 1. Dezember die Möglichkeit, auf Kosten des Staates sein Wissen zu erweitern.

Von André Hatting | 16.09.2008
    Eckart Lilienthal vom Referat Lebenslanges Lernen im Bundesbildungsministerium beschreibt, wem die Regierung dabei helfen will:

    "Die Prämiengutscheine zielen ganz besonders auf Menschen mit niedrigeren und mittleren Einkommen, weil wir sehen, dass wir für die noch keine effektive Förderung haben im Bereich der so genannten individuellen beruflichen Anpassungsfortbildung. Das heißt, für eine Aufstiegsfortbildung gibt es schon eine Förderung, das Meister-Bafög, aber wenn man seine Kenntnisse up to date halten will, dann kriegt man, wenn man nicht genug verdient, keinen Zuschuss vom Staat. Das klingt ein bisschen seltsam. Aber wenn Sie genug verdienen, werden Sie durch die Steuer entlastet. Zahlen Sie nicht genug Steuer, dann haben Sie noch nichts davon. Das ändern wir jetzt mit unserer Prämie."

    Die Bildungsprämie ruht auf drei Säulen:

    1. Bildungssparen. Wer Geld im Rahmen von vermögenswirksamen Leistungen auf der hohen Kante liegen hat, der darf vor Ende der Sperrfrist die Summe abheben, die er für seine Fortbildung braucht. Er erhält dennoch die Arbeitnehmersparzulage.

    2. Das Bildungsdarlehen. Der Staat verleiht ohne individuelle Bonitätsprüfung bei moderaten Zinsen Mittel für Weiterbildung.

    Die wichtigste Säule der Bildungsprämie ist aus Sicht der Bundesregierung ein Gutscheinsystem. Ab Dezember zahlt der Staat maximal 154 Euro für eine Fortbildungsmaßnahme. Voraussetzung: Eigenes Engagement. Und das in doppelter Hinsicht. Zum einen muss der oder die Bildungswillige die Hälfte der Kosten selber bezahlen, mindestens also 154 Euro. Zum anderen gibt es die Gutscheine nicht einfach so. Interessierte müssen sie in einer Beratungsstelle beantragen. Ein Beispiel: Ein Kfz-Mechaniker türkischer Herkunft möchte seine Deutschkenntnisse verbessern. Er geht also in eine staatlich anerkannte Beratungsstelle. Diese prüft, ob das Jahreseinkommen des Antragsstellers unter 18.000 Euro liegt, sucht ihm dann einen Deutschkurs aus, der mindestens 338 Euro kostet und gibt ihm einen Gutschein, den er dann in der Sprachschule mit seiner eigenen Teilnahmegebühr verrechnet.

    Viel zu umständlich, kritisiert Michael Lüdtke. Lüdtke leitet die Koordinierungsstelle der öffentlich geförderten Weiterbildungsberatungsstellen in Berlin:

    "Wir haben da in Berlin unsere Erfahrungshintergründe und können sagen aus drei Jahren Erfahrung der Evaluierung von dreißig Beratungsstellen, dass die eigentliche Zielgruppe der so genannten gering Qualifizierten und niederen Einkommensgruppen so sich noch nicht widerspiegeln. Das heißt, wir haben diese Zielgruppe, die erwerbstätig ist, gering qualifiziert und über wenig Einkommen verfügt, etwa in jedem fünften Beratungsfall in den dreißig Beratungsstellen vertreten. Das ist noch nicht hinreichend."

    Und werde sich auch mit den Bildungsgutscheinen nicht ändern, glaubt Michael Lüdtke:

    "Man muss, um seinen Bedarf formulieren zu können, ihn auch erkennen können. Das heißt, Bildungsbedarfe brauchen, um die heraus kristallisieren zu können, eine gewisse Unterstützung. Will sagen, dass bestimme Zielgruppen auch eine bestimmte Beratung benötigen."

    Marco Steegmann, Bildungsexperte des DGB Berlin-Brandenburg, geht mit seiner Kritik noch weiter. Er nennt das Prämienprogramm der Bundesregierung plakativ. Diese Form der Bildungsförderung verfehle das wichtigste Ziel: Den Schutz vor Arbeitslosigkeit. Die am stärksten von Entlassungen bedrohte Gruppe werde mit Weiterbildungsgutscheinen nicht erreicht:

    "Die Arbeitskräfte, die in einem betrieblichen Umfeld vielleicht zehn, zwanzig oder sogar dreißig Jahre arbeiten, so dass ihre breite Grundqualifikation schon so alt ist, sind vielleicht an eine neue Maschine gewöhnt worden, vielleicht an ein neues Softwareprogramm, haben aber nie grundlegend neue Anforderungen auch mal sich selbst erarbeiten müssen und das Lernen wiederum gelernt, sondern sind in ihren Strukturen drin. Das heißt, mit dem nächsten Strukturwandel stehen diese Arbeitskräfte wieder zur Disposition. Das sind breite Massen der Stammbelegschaft, der Facharbeiter."

    Wichtig sei deshalb, die Angebote in die Betriebe zu bringen. Zum einen, um den Arbeitern zu erklären, warum sie überhaupt eine Weiterbildung brauchen, was sie ihnen konkret nützt. Zum anderen aber, um die Hemmschwelle zu senken. Arbeitnehmer, die in ihrer Freizeit Bildungsgutscheine beantragen, seien reine Wunschvorstellung.