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Scherbenhaufen einer sozialdemokratischen Partnerschaft

Als Gerhard Schröder zum ersten Mal Kanzler wurde, dachte Tony Blair, er hätte jetzt endlich einen Gesinnungsgenossen in Europa gefunden. Sieben Jahre später redet keiner mehr vom viel gepriesenen gemeinsamen "Dritten Weg". "New Labour" ist zwischenzeitlich stark nach rechts abgeschweift und wird deshalb oft als neue Prägung des Thatcherismus verspottet. Der Bundeskanzler indes hält an den Werten traditioneller deutscher Sozialdemokratie fest.

Von Michael Binyon |
    Als Gerhard Schröder zum ersten Mal Kanzler wurde, dachte Tony Blair, er hätte jetzt endlich einen Gesinnungsgenossen in Europa gefunden. Da war ein Mann, der wie der junge Labour-Premier, eine Epoche konservativer Regierung beendet hat, entschlossen, sein Land zu modernisieren und dringende Reformen auf den Weg zu bringen. Schröder hatte sich genau wie Blair der Idee verschrieben, die traditionelle Sozialdemokratie zu erneuern und ihre Ideologie der Realität des Postkommunismus in Europa anzupassen. Beide glaubten, sie seien Pioniere einer neuen Linken in Europa. Eine neue unternehmerfreundliche Linke, ausgestattet mit dem nötigen Pragmatismus. Blair hatte seine Politik als "Dritten Weg" für Großbritannien bereits definiert. In Deutschland sprach Schröder auch von "Der neuen Mitte". Blair beauftragte einen seiner engsten Vertrauten, Peter Mandelson, den heutigen EU-Handels-Kommissar, die etwas zerütteten deutsch-britischen Beziehungen auf ein neues Fundament zu stellen - das einer fortschrittlichen politischen Philosophie, losgelöst von alten ideologischen Grundsätzen.

    Sieben Jahre später ist von dieser Partnerschaft nichts mehr übrig geblieben als ein Scherbenhaufen. Vom viel gepriesenen "Dritten Weg" redet keiner mehr. "New Labour" ist zwischenzeitlich stark nach rechts abgeschweift und wird deshalb oft als neue Prägung des Thatcherismus verspottet. Der Bundeskanzler indes hält an den Werten traditioneller deutscher Sozialdemokratie fest. Jetzt, da Gerhard Schröder um sein politisches Überleben kämpft, kann er auf seinen alten Weggefährten aus London nicht mehr zählen.

    Für Blair hat sich Deutschland zu einem der größten Bremsklötze auf dem Weg zu einem pro-amerikanischen Europa entwickelt, das über den Tellerrand hinausblickt und sich den Gesetzen des Marktes verschreibt.

    Schröder hat es aus Sicht des Labour Premiers nicht geschafft, für seine Reformagenda die volle Rückendeckung seiner Partei zu bekommen, bevor er Kanzler wurde. Der heftige Bruch mit Oskar Lafontaine gleich zu Beginn und der Widerstand der SPD gegen Einschnitte ins Soziale Netz machten deutlich: Schröder würde nie die Reformen durchsetzen können, die das Land und seine Wirtschaft dringend brauchten, bevor es zu spät wäre.

    Überdies wurde die außenpolitische Kluft zwischen Labour und den sozialdemokratischen Regierungen in Europa zunehmend größer. Blairs pro-amerikanischer Kurs, den er unter Bush nicht intensiver als zu Clintons Zeiten steuerte, stieß in Deutschland nicht auf ein positives Echo. Im Gegenteil: Die Anti-Kriegsstimmung und das Nein aus Berlin zur amerikanisch-britischen Irak-Invasion spaltete die Europäer.

    Tony Blair hielt sich, unter anderem zusammen mit den jungen osteuropäischen Demokratien, fortan für einen Teil des "Neuen Europa". Deutschland indes verbündete sich mit Frankreich, und wurde von Amerika nun als "Altes Europa" verhöhnt.

    Briten und Deutschen verstehen einander nicht. Das ist das Kernproblem.

    Blair konnte mit deutscher "Konsens-Politik" nichts anfangen, verstand die Zwänge einer Koalition nicht und wollte auch nicht wahr haben, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Krieg einfach nicht wollte.

    Schröder seinerseits verschloss sich anfangs der Erkenntnis, dass ein großzügiger Sozialstaat der alten Sorte in Zeiten der Globalisierung und höherer Anforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit keinen Bestand haben kann.

    Schlussendlich hat er die Reformen dann doch angepackt, jedoch gegen große Widerstände in seiner Partei und gegen den Protest vieler Ostdeutscher. Für eine wirkliche Kehrtwende war es zu spät.

    Im Grunde hat Blair mit Angela Merkel mehr gemein als mit Gerhard Schröder. So sehen das auch die Kommentatoren der britischen Presse. Deutschlands hohe Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche bereiten den Briten, vor allem den Exporteuren, Sorgen.

    Von sozialistischer Solidarität ist kaum mehr die Rede. Der Spruch von einer Neuauflage des "Dritten Weges" kommt keinem über die Lippen. Die Briten werden die Wahl am 18. September mit großem Interesse verfolgen. Die meisten würden sich wohl über einen Sieg Angela Merkels freuen, weil sie - vielleicht fälschlicherweise- in der Kanzlerkandidatin eine neue "Eiserne Lady" im Stile einer Margarete Thatcher sehen.