Zwei dramatische Ereignisse, die ein Leben von einer Sekunde auf die nächste verändern. Beide beschreibt Craig Davidson in seinen Kurzgeschichten. Die Personen allerdings, denen diese Dinge jetzt im Film widerfahren, haben Jacques Audiard und sein Co-Autor dazu erfunden. Es sind der arbeitslose Vater Alain, genannt Ali, und die Tiertrainerin Stéphanie. Bei ihrer ersten Begegnung ahnen die beiden Protagonisten noch nicht, was das Schicksal für sie bereithält.
"Weiteratmen!
– Ich muss nach Hause.
- So kannst du nicht fahren.
- Alles okay. Kein Stress.
– Nein, ich ruf dir ein Taxi.
– Ich brauche mein Auto morgen früh. Trotzdem vielen Dank. Sehr nett."
Ali, ein bulliger, muskulöser Typ mit kurz geschorenen Haaren – gespielt wird er vom Belgier Matthias Schoenaerts – Ali hat Stéphanie gerade aus einer brenzligen Situation gerettet in dem Club, in dem er hin und wieder als Türsteher arbeitet. Jetzt fährt er sie nach Hause.
"Hast du dich verletzt?
– Ja, schwillt total an.
- Nur zum Tanzen zieht man sich was anderes an.
– Okay, erzähl mal!
- Es sieht nuttig aus.
– Wie bitte?!"
Alles andere als der optimale Start in eine Freundschaft oder gar eine Beziehung. Und es scheint auch so, als würde es bei dieser kurzen Begegnung bleiben, denn Stéphanie hat einen Freund. Trotzdem schreibt ihr Ali seine Telefonnummer auf.
Über ihn weiß der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt bereits mehr. Zusammen mit seinem fünfjährigen Sohn, der bislang bei der drogenabhängigen Mutter gelebt hat, ist Ali nach Südfrankreich getrampt. In Antibes will er im Haus seiner Schwester Unterschlupf finden und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten.
Nach dem ersten Zusammentreffen von Ali und Stéphanie fokussiert sich der Film dann auf die attraktive Tiertrainerin, die Marion Cotillard verkörpert. Während einer Show geschieht der folgenschwere Unfall, bei dem Stéphanie nicht nur ihre Unterschenkel verlieren wird, sondern auch ihren Lebensmut. Dann klingelt Alis Telefon. Stéphanie hat seine Nummer gewählt. Er kreuzt bei ihr auf. Ungerührt – geradezu so, als sei nichts Besonderes geschehen – geht Ali mit Stéphanies Behinderung um.
"Ist alles okay? Stephanie?
– Ist hier schlechte Luft? Stinkt ein bisschen.
– Ich glaube, das bin ich.
– Komm, wir gehen raus!
– Nein.
– Na los, zieh dir was an!
– Nein, ich bleib hier.
– Es wird dir gut tun.
– Ich sage, ich bleib hier."
Sie wird sich in seine Hände fallen lassen. Und das wörtlich. In einer der schönsten Szenen des Films wird Ali Stéphanie vom Strand ins Meer tragen. An dieser Stelle kommt man nicht umhin, auf die Tricktechnik einzugehen, die dafür sorgt, dass Marion Cotillard im Film keine Unterschenkel hat. Nicht nur fantastische Landschaften und Kreaturen können Computerprogramme kreieren. Sie können auch Gliedmaßen wegzaubern. Und das so überzeugend, dass man kaum glauben kann, was man da sieht bzw. nicht sieht.
Stéphanies körperlichem Handicap wird Alis emotionale Verschlossenheit gegenübergestellt, die man – positiver formuliert – auch als Pragmatismus bezeichnen könnte. So stellt er sich, als er von ihr wissen will, wie es nach dem Unfall bei ihr mit dem Sex laufe, selbstlos als Versuchsobjekt zur Verfügung.
"War es gut? Funktioniert es noch?
- Schwer zu sagen nach einem Mal.
– Scheiße, ich kann jetzt nicht noch mal. Ich muss los.
– Nein, das wollte ich damit gar nicht sagen. Es ist für mich alles noch so neu.
– War es jetzt gut oder nicht?
– Doch, doch, keine Frage.
– Okay. Wenn du wieder Lust hast und sonst keiner da ist, ruf an!"
Die Selbstverständlichkeit seines Umgangs, aber auch das Testosteron, das Ali versprüht – all das findet Stéphanie anziehend und es gibt ihr ein Gefühl von Sicherheit. Sie verbringen gemeinsame Zeit, sie begleitet ihn zu illegalen Faustkämpfen, bei denen er antritt. Irgendwann wird sie Ali fragen, was sie für ihn sei und der bis dahin so eindrucksvoll gespielte und gestaltete Film wird von da an ein wenig herumirren. Bis – ja bis es zu der anderen dramatischen Szene kommt: Der mit dem ins Eis eingebrochenen Kind.
"Der Geschmack von Rost und Knochen" ist die Geschichte zweier Außenseiter, die einander Halt geben und eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Eine Geschichte, die ihre Augen nicht vor der sozialen Wirklichkeit verschließt und immer wieder an die Filme der belgischen Brüder Dardenne erinnert. Unmittelbar und direkt, fast naturalistisch fängt die Kamera die beiden Protagonisten ein. Dabei entwickelt der Film eine solche Intensität und Wucht, dass man ihm fehlende oder nicht immer nachvollziehbare Motivationen der Figuren verzeiht.
Liebesgeschichten hat das französische Kino schon viele erzählt, zu den schönsten, ungewöhnlichen und noch lange nachhallenden gehört ganz sicher auch "Der Geschmack von Rost und Knochen".
"Weiteratmen!
– Ich muss nach Hause.
- So kannst du nicht fahren.
- Alles okay. Kein Stress.
– Nein, ich ruf dir ein Taxi.
– Ich brauche mein Auto morgen früh. Trotzdem vielen Dank. Sehr nett."
Ali, ein bulliger, muskulöser Typ mit kurz geschorenen Haaren – gespielt wird er vom Belgier Matthias Schoenaerts – Ali hat Stéphanie gerade aus einer brenzligen Situation gerettet in dem Club, in dem er hin und wieder als Türsteher arbeitet. Jetzt fährt er sie nach Hause.
"Hast du dich verletzt?
– Ja, schwillt total an.
- Nur zum Tanzen zieht man sich was anderes an.
– Okay, erzähl mal!
- Es sieht nuttig aus.
– Wie bitte?!"
Alles andere als der optimale Start in eine Freundschaft oder gar eine Beziehung. Und es scheint auch so, als würde es bei dieser kurzen Begegnung bleiben, denn Stéphanie hat einen Freund. Trotzdem schreibt ihr Ali seine Telefonnummer auf.
Über ihn weiß der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt bereits mehr. Zusammen mit seinem fünfjährigen Sohn, der bislang bei der drogenabhängigen Mutter gelebt hat, ist Ali nach Südfrankreich getrampt. In Antibes will er im Haus seiner Schwester Unterschlupf finden und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten.
Nach dem ersten Zusammentreffen von Ali und Stéphanie fokussiert sich der Film dann auf die attraktive Tiertrainerin, die Marion Cotillard verkörpert. Während einer Show geschieht der folgenschwere Unfall, bei dem Stéphanie nicht nur ihre Unterschenkel verlieren wird, sondern auch ihren Lebensmut. Dann klingelt Alis Telefon. Stéphanie hat seine Nummer gewählt. Er kreuzt bei ihr auf. Ungerührt – geradezu so, als sei nichts Besonderes geschehen – geht Ali mit Stéphanies Behinderung um.
"Ist alles okay? Stephanie?
– Ist hier schlechte Luft? Stinkt ein bisschen.
– Ich glaube, das bin ich.
– Komm, wir gehen raus!
– Nein.
– Na los, zieh dir was an!
– Nein, ich bleib hier.
– Es wird dir gut tun.
– Ich sage, ich bleib hier."
Sie wird sich in seine Hände fallen lassen. Und das wörtlich. In einer der schönsten Szenen des Films wird Ali Stéphanie vom Strand ins Meer tragen. An dieser Stelle kommt man nicht umhin, auf die Tricktechnik einzugehen, die dafür sorgt, dass Marion Cotillard im Film keine Unterschenkel hat. Nicht nur fantastische Landschaften und Kreaturen können Computerprogramme kreieren. Sie können auch Gliedmaßen wegzaubern. Und das so überzeugend, dass man kaum glauben kann, was man da sieht bzw. nicht sieht.
Stéphanies körperlichem Handicap wird Alis emotionale Verschlossenheit gegenübergestellt, die man – positiver formuliert – auch als Pragmatismus bezeichnen könnte. So stellt er sich, als er von ihr wissen will, wie es nach dem Unfall bei ihr mit dem Sex laufe, selbstlos als Versuchsobjekt zur Verfügung.
"War es gut? Funktioniert es noch?
- Schwer zu sagen nach einem Mal.
– Scheiße, ich kann jetzt nicht noch mal. Ich muss los.
– Nein, das wollte ich damit gar nicht sagen. Es ist für mich alles noch so neu.
– War es jetzt gut oder nicht?
– Doch, doch, keine Frage.
– Okay. Wenn du wieder Lust hast und sonst keiner da ist, ruf an!"
Die Selbstverständlichkeit seines Umgangs, aber auch das Testosteron, das Ali versprüht – all das findet Stéphanie anziehend und es gibt ihr ein Gefühl von Sicherheit. Sie verbringen gemeinsame Zeit, sie begleitet ihn zu illegalen Faustkämpfen, bei denen er antritt. Irgendwann wird sie Ali fragen, was sie für ihn sei und der bis dahin so eindrucksvoll gespielte und gestaltete Film wird von da an ein wenig herumirren. Bis – ja bis es zu der anderen dramatischen Szene kommt: Der mit dem ins Eis eingebrochenen Kind.
"Der Geschmack von Rost und Knochen" ist die Geschichte zweier Außenseiter, die einander Halt geben und eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Eine Geschichte, die ihre Augen nicht vor der sozialen Wirklichkeit verschließt und immer wieder an die Filme der belgischen Brüder Dardenne erinnert. Unmittelbar und direkt, fast naturalistisch fängt die Kamera die beiden Protagonisten ein. Dabei entwickelt der Film eine solche Intensität und Wucht, dass man ihm fehlende oder nicht immer nachvollziehbare Motivationen der Figuren verzeiht.
Liebesgeschichten hat das französische Kino schon viele erzählt, zu den schönsten, ungewöhnlichen und noch lange nachhallenden gehört ganz sicher auch "Der Geschmack von Rost und Knochen".