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Schiedsrichter-Debatte im Fußball
Dauerstress am Spielfeldrand

Der Eklat um Roger Schmidt von Bayer Leverkusen wirft ein Schlaglicht auf das komplizierte Verhältnis zwischen Trainern und Schiedsrichtern. Fußballtrainer müssen ihre Mannschaft emotionalisieren, die TV-Berichterstatter wollen Gefühle sehen. Als Vorbild für die vielen Amateur- und Jugendtrainer taugen die Bundesliga-Trainer damit längst nicht mehr.

Von Daniel Theweleit | 28.02.2016
    Leverkusens Trainer Roger Schmidt (l.) redet auf den Vierten Offiziellen Christoph Bornhorst ein.
    In Wallung: Leverkusens Trainer Roger Schmidt redet beim Spiel gegen Borussia Dortmund am 21.02.2016 auf den vierten Offiziellen ein. (imago Sportfoto)
    Rudi Völlers öffentliche Gefühlsausbrüche sind ein hoch geschätzter Bestandteil der großen Bundesligashow. Man kann das gut am erfreuten Lächeln der Reporter erkennen, wenn sie das Glück haben, dass der Sportdirektor von Bayer Leverkusen vor einer ihrer Kameras explodiert.
    "Was haben Sie jetzt eigentlich mit dem Roger Schmidt. Wer hat uns denn mehr geschadet, der Schiedsrichter oder Roger Schmidt? Sagen Sie mal ganz ehrlich jetzt! Das muss man doch jetzt nicht so aufpumpen die Nummer. Du brauchst doch die Mannschaften nicht reinzuschicken. Geh halt hin und sag: Sie müssen auf die Tribüne, weil sie zu laut waren mit dem vierten Offiziellen. Ja, dann wäre er hochgegangen."
    So zürnte Völler nach dem 0:1 gegen Borussia Dortmund am 22. Spieltag. Fast eine Woche lang erregten das Verhalten von Leverkusens Trainer Roger Schmidt und die Sperre von vorerst drei Spielen Innenraumverbot die Gemüter. Und rückten einen Konflikt in den Mittelpunkt, der permanent in der Bundesliga tobt. Die Kontroversen zwischen Schiedsrichtern und Vereinsvertretern gehören zur Show. So erklärte Jörg Schmadtke, der Sportdirektor des 1. FC Köln, nach dem 0:1 gegen Hertha BSC Berlin am 26. Februar 2016 in Anspielung auf ein nicht geahndetes Handspiel der Gäste im Strafraum süffisant.
    "Das hier ist mittlerweile die größte Handballarena Deutschlands."
    Mit diesem ironischen Einwurf lieferte er die Würze für die Nachbetrachtung eines Fußballspiels, das während der 90 Minuten auf dem Rasen keine großen Gefühle hervorrief. Die Partie zwischen Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund vom Spieltag zuvor war bis zur berühmten 68. Minute sogar noch ereignisloser gewesen. Erst durch Schmidts Weigerung, einer Verbannung durch den Schiedsrichter auf die Tribüne Folge zu leisten, wurde ein langweiliges Fußballspiel zu einem denkwürdigen Ereignis.
    Hysterie mit System
    Kein Wunder, dass die mediale Kommentierung am Tag danach ebenfalls von drastischen Worten geprägt war. Das Verhalten des Leverkusener Fußball-Lehrers wurde als "absolutes No-Go", "unwürdig" und "beschämend" bezeichnet. Eine Zeitung empfahl sogar einen "Berufswechsel". Hinter dieser Hysterie steckt ein Mechanismus, auf den Thomas Schaaf, der erfahrene Trainer von Hannover 96, hinweist.
    "Wir wollen eben auch Trainer erleben, die sicherlich sehr aktiv sind. Was wir Woche für Woche erleben, wie wir uns für unsere Teams einsetzen wollen, ich glaube, dass da nicht immer das Verständnis auf der anderen Seite dann da ist."
    Tobende Trainer, wütende Sportdirektoren und Schiedsrichterfehler sind ein bedeutsamer Erzählstrang des großen Bundesligaepos. Jahrelang lehnte der ehemalige Fifa-Präsident Sepp Blatter die Einführung technischer Schiedsrichterhilfen ab, weil er der Meinung war, dass sonst die großen Emotionen, die rund um Fehlentscheidungen entstehen, fehlen würden. Und der Fußball damit an Bedeutung verliert. Die Sache mit den Emotionen ist grundsätzlich kompliziert, glaubt Dortmunds Trainer Thomas Tuchel.
    "Die Emotionalität des Spiels, die ist in Anführungszeichen ein Problem. So wie wir Trainer mit einer Fehlentscheidung Spiele beeinflussen können, ist es für die Schiedsrichter auch eine exponierte Rolle, die die Schiedsrichter auch dort einnehmen in der ganzen Gemengelage. Insgesamt wünschen wir uns alle einen respektvollen Umgang und das ist, glaube ich, in der Hitze des Gefechts einfach schwer zu leisten."
    Emotionen sind erwünscht
    Eine energetische Aufladung der Spiele ist erwünscht. Sie macht Mannschaften besser, sorgt für Einschaltquoten. Grenzüberschreitungen befördern das Spiel auf die Titelseiten der Zeitungen. Und werden zugleich heftig verurteilt. Einerseits wird von einem Trainer maximale Intensität erwartet. Andererseits soll er sich möglichst immer vorbildhaft und vernünftig verhalten. Ein unmöglicher Spagat. Man kann Roger Schmidt daher verstehen, wenn in seinen Entschuldigungen ein gewisser Widerwillen mitschwingt.
    "Das war sicher ein Fehler von mir, aber trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass der Schiedsrichter mir eben einmal, zumindest nicht auf 45 Metern mir erklärt, warum das so war, warum er meinte, dass ich auf die Tribüne muss."
    Fußballtrainer müssen ihre Mannschaft emotionalisieren, wenn sie Niederlagen allzu passiv begleiten, wird ihnen vorgeworfen, sie nähmen zu wenig Einfluss. Die TV-Berichterstatter wollen Gefühle sehen, und der Versuch, durch kleine Hinweise und Kommentare gegenüber dem vierten Offiziellen Einfluss auf die Schiedsrichter zu nehmen, gehört zu den Pflichten des Jobs. Diese mitunter widersprüchlichen Anforderungen führen zu einer Situation des Dauerstresses am Spielfeldrand. Hannovers Trainer Schaaf sagt zu den Ereignissen von Leverkusen:
    "Das zeigt für mich, dass dort etwas nicht so funktioniert, wie es sicherlich sein sollte."
    Als Vorbild für die vielen Amateur- und Jugendtrainer taugen die Fußball-Lehrer aus der Bundesliga schon längst nicht mehr. Immer wieder wird über Zusammenhänge zwischen der zunehmenden Gewalt gegenüber Schiedsrichtern im Amateurfußball und Bildern aus der Bundesliga hingewiesen. Dass sich ernsthaft etwas ändert, ist aber nicht zu erwarten. Denn Konflikte sind im Profifußball erwünscht. Man kann das wunderbar daran erkennen, wie sich der Unterhaltungswert der beiden rheinischen Rivalen Bayer Leverkusen und 1. FC Köln entwickelt hat. Die Kölner haben die Fußballnation jahrelang durch aberwitzige Vorgänge in der Klubführung erheitert, während der Werksklub unter Trainern wie Sami Hyypiä zwar erfolgreich war, aber kaum jemanden interessierte. Jetzt arbeiten die Kölner seriös, sind aber ein bisschen bieder geworden. Während Bayer Leverkusen mit dem in immer kürzeren Abständen ausflippenden Rudi Völler und dem wilden Roger Schmidt derzeit so aufregend ist wie seit vielen Jahren nicht.