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Schiffskatastrophe vor 60 Jahren
Der Untergang der "Andrea Doria"

Die "Andrea Doria" galt als unsinkbar und war der Stolz der italienischen Kreuzfahrtflotte: Doch so komfortabel der Luxus-Liner für seine Gäste ausgestattet war, so gering war die Anzahl von Seeleuten, die für den Notfall geschult waren. Am 26. Juli 1956 sank das Schiff vor Nantucket Island im Nordatlantik.

Von Regina Kusch | 26.07.2016
    Ein Schiff der amerikanischen Marine nimmt Kurs auf ein paar im Meer treibende Rettungsboote des Luxus-Liners "Andrea Doria".
    Am Morgen des 26. Juli 1956 versank der Stolz Italiens, bei schönstem Sonnenschein, 60 Seemeilen vor New York. (picture-alliance/ dpa)
    Kapitän Calamai: "Wo steht das andere Schiff jetzt?"
    Offizier: "Steuerbord 15 Grad, Abstand dreieinhalb Meilen."
    Kapitän Calamai: "Das passt mir nicht. Das passt mir nicht! Der rückt mir zu nahe. Vier Grad Backbord und nichts Steuerbord!"
    Piero Calamai, Kapitän des Luxusdampfers "Andrea Doria", hatte bereits vor acht Tagen Genua verlassen. Am nächsten Morgen sollte er mit dem damals größten und schnellsten Schiff der italienischen Flotte im Hafen von New York einlaufen. Da immer mehr Reisende auf das Flugzeug umstiegen, lockte die Andrea Doria mit einem nie da gewesenen Luxus: Drei Swimming Pools, einen für jede Klasse, prunkvolle Waschräume, die an die Bäder im kaiserlichen Rom erinnern sollten, ein Wintergarten, ein Ballsaal, 31 Gesellschaftsräume und morgens zum opulenten Frühstück druckfrisch die bordeigene Zeitung - den 1134 Passagieren sollte es während der Überfahrt an nichts fehlen.
    Es herrschte dichter Nebel, als Kapitän Calamai am 25. Juli 1956 gegen 23.00 Uhr auf dem Radar rechts voraus ein zweites Schiff ausmachte. Um den Sicherheitsabstand zu vergrößern, hatte er seinen Steuermann angewiesen, nach links auszuweichen. Ein Hörspiel des Rias-Berlin von 1961 dokumentiert die letzte Fahrt der "Andrea Doria".
    Offizier: "Kapitän, der Andere liegt auch jetzt noch auf Parallelkurs mit uns. Das dürfte doch nicht sein nach unserem Abdrehen!"
    Kapitän Calamai: "Abstand?"
    Offizier: "Zwei Meilen und wird kleiner … Warum hören wir sein Nebelhorn nicht?"
    Kapitän Calamai : "Aber er wird uns doch hören …"
    Offizier: "Kapitän, da, steuerbord voraus! Das Schiff dreht, Kapitän, es dreht auf uns zu."
    Kapitän Calamai: "Ist der wahnsinnig geworden? Ruder hart backbord! Ruder hart backbord!"
    "Andrea Doria" füllte sich mit über 500 Tonnen Meerwasser
    Kapitän Calamai konnte die Kollision mit dem schwedischen Passagierschiff "Stockholm" nicht mehr verhindern. Der verstärkte Eisbrecherbug des kleineren schwedischen Passagierschiffes, das von New York kam und nach Göteborg wollte, rammte sich über zehn Meter tief in die Steuerbordseite des als unsinkbar geltenden Luxusliners. Der ganze Schiffsleib war von oben bis unten aufgerissen. Rasend schnell füllte sich die "Andrea Doria" mit über 500 Tonnen Meerwasser. Da die Treibstofftanks auf der gegenüberliegenden Seite am Ende der Reise fast leer waren und so kein Gegengewicht bildeten, neigte sich der Ozeanriese unkorrigierbar auf die Seite. Nur ein kleiner Teil der Rettungsboote konnte noch zu Wasser gelassen werden. Kapitän Calamai funkte SOS und bat um weitere Rettungsboote zur Evakuierung.
    Bei der Kollision waren 46 Passagiere der "Andrea Doria" und fünf Besatzungsmitglieder der "Stockholm" umgekommen. Alle anderen Fahrgäste der havarierten Italienerin wurden gerettet. Auf der noch fahrtüchtigen "Stockholm", die selbst über 500 Schiffbrüchige an Bord nahm, hatten sich vor allem Crew-Mitglieder der "Andrea Doria" zuerst in Sicherheit gebracht.
    Am Morgen des 26. Juli 1956 versank der Stolz Italiens, bei schönstem Sonnenschein 60 Seemeilen vor New York. In zahlreichen Anhörungen versuchten Anwälte, die Gründe der Katastrophe zu klären. Beide Schiffe waren zu schnell gefahren, beide Seiten hatten ihre Radarbilder falsch interpretiert. Die "Stockholm" hatte ihre Kursänderung nicht mit Schallsignalen angezeigt. Kapitän Calamai war nach links ausgewichen und hatte nicht versucht, wie auf See üblich, die entgegenkommende "Stockholm" rechts zu passieren. Überraschenderweise einigten sich die Gegner außergerichtlich, da beide Reedereien bei Lloyds in London versichert waren. Die Schuldfrage wurde nie geklärt.
    "Ich bedauere, die Katastrophe überlebt zu haben. Ich bin 39 Jahre zur See gefahren und habe die See geliebt. Jetzt hasse ich sie."
    Piero Calamai starb als gebrochener Mann, nachdem er von seinem Reeder fallengelassen worden war. Die Versicherung bezahlte für den Totalverlust der Andrea Doria. Die "Stockholm" wurde repariert, fuhr jahrelang als einziges Kreuzfahrtschiff der DDR unter dem Namen "Völkerfreundschaft" und ist bis heute als "Astoria" im Mittelmeer und Nordeuropa unterwegs. Das Wrack der Andrea Doria ist zum El Dorado für Schatzsucher auf dem Meeresgrund geworden.