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Schiller als Quatsch-Comedy-Club

Nichts ist sicher vor der Vernichtung durch Jux, wenn das Team von Simon Solberg Schillers "Verbrecher aus verlorener Ehre" spielt. Selbst eine Hitler-Imitation fehlt in der Inszenierung nicht.

Von Michael Laages |
    "Die Strafe beginnt", lässt Alfred Döblin den Franz Biberkopf sagen am Beginn des Romans über "Berlin Alexanderplatz". Danach, als das Tor der Justizvollzugsanstalt in Tegel hinter ihm ins Schloss fällt und er jetzt frei ist, aber im Grunde nicht weiß wohin. Die Kammerspiele des Deutschen Theaters verlassen wir nach dieser Aufführung mit akkurat dem gleichen Eindruck – dass das Team der versammelten Schiller-Bearbeiter nicht recht wusste, wohin. Und auch nicht, wozu und warum.

    Wollten sie Schillers alten Text auf Aktualität hin befragen? Ihn prüfend messen an den Statements zweier echter Straftäter, die per Video in loser Folge die Aufführung durchziehen? Am Ende stehen Norman und Markus selbst mit auf der Bühne. Und erzählen von Bastoy, einer Gefängnisinsel vor Norwegens Küste, wo alles ganz anders ist als im deutschen Wegsperrknast. Alles offen, alles liberal, alles konzentriert auf die Chance der Häftlinge nach Ablauf der Strafe.

    Wollte Simon Solbergs Team dies alles auch noch unterlegen mit sozusagen einer Geschichte von Verbrechen und Strafe und sozialer Bedingtheit in den mehr als 200 Jahren seit Schiller? Falls all das tatsächlich und ernsthaft gewollt gewesen sein sollte, ist von dieser Ernsthaftigkeit jedenfalls nichts, aber auch gar nichts, zu sehen. Die ganze Veranstaltung und alles Zubehör sind von Anfang bis Ende übergossen mit einer qualvoll heiteren, elend albernen und strunzblöden Amüsiertheatersoße. Als wäre hier nicht das Deutsche Theater, sondern der "Quatsch Comedy Club" - oder sonst ein Vergnügungstempel der allerniedrigsten Unterhaltungsstufe.

    Die Strafe hat begonnen.

    Jelena Nagorni hat auf kunterbunter Bühne immerhin zwei Etagen hoch vor und neben das Portal der Kammerspiele eine Menge Laborausstattung gebaut. Denn zunächst sehen wir das Ensemble als Wissenschaftler, die nach dem Schalter im Hirn forschen, der von "Gut" auf "Böse" umschlägt. Einer der Weißkittel trägt Schillers Text in Reclam-Gelb mit sich herum. Und immer wieder werden von nun an und im Laufe des Abends die gelben Bändchen zu Dutzenden aus Taschen gezogen: Fürs allfällige Zitat, gerne mit irgendeinem mehr oder minder passenden Kalauer versüßt.

    Die Wissenschaftler verwandeln sich nun in die Figuren der Schiller-Fabel und erzählen die Geschichte des missgestalteten und seit Kindesbeinen schlecht behandelten Gastwirtssohns und Wilddiebs Christian Wolf, allerdings so, als begleiteten sie ihn in ungezählten Rollen und historischen Verkleidungen durch die Jahrhunderte. Wobei Solberg noch die blödesten Pointen nicht blöd genug sind. Vom Schönheitswettbewerb zwischen "Miss Ernte" und "Miss Lungen" bis zur - na was wohl? genau! - Hitler-Imitation.

    Dass da plötzlich und völlig überraschend doch noch ein zwar platter, aber wenigstens inhaltlicher Disput über Strafe und Sozialisierung losbricht, ist fast ein Wunder. Die Seriosität hält aber nicht lange vor. Noch der Knastaufenthalt wird zum Clownsgehampel – und auch nicht dadurch besser, dass dokumentarisch die Horrorstory des Häftlings Hermann erzählt wird, der vor sechs Jahren in Siegburg von Zellengenossen gefoltert und getötet wurde. Irgendwann hat Solberg dann wohl gar keine Lust mehr gehabt auf diesen Schiller und allzu viel Elend und seine Doku-Häftlinge erzählen von der Idylle auf Bastoy; doch selbst dafür setzt's nur ironische Bilder.

    Nichts ist sicher vor Solbergs Vernichtung durch Jux. Und mit zunehmender Dauer des Abends wächst der Ärger über einen Theatermenschen, der ein zentrales Thema gesellschaftlichen Zusammenlebens im Krisenfall permanent und verantwortungslos der Lächerlichkeit preisgibt.

    Kein Mitleid verdient ein Ensemble, das derlei fahrlässigen Unfug mitmacht, Zorn schließlich ein Theater, das sich für all das hergibt.

    Zwei Wünsche zum Schluss. Entweder sei diesem Team der Theaterverbrecher ein Besuch beim Knasttheater AufBruch in Franz Biberkopfs alter JVA Tegel empfohlen, damit sie eine Ahnung davon bekommen, worum es wirklich gehen könnte und müsste. Oder -noch besser - die AufBruch-Häftlinge aus Tegel machen einen betreuten Betriebsausflug in die Kammerspiele und schütten ihrerseits diesen Schmarren der Theateridioten zu mit Zorn- und Hohngelächter.