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Schillernde Superlative

Medienmogule besitzen immer auch politische Macht - davon zeugen in der Geschichte Beispiele von Alfred Hugenberg über William Randolph Hearst, von Rupert Murdoch bis hin zu Ted Turner. Letzterer gründete 1980 das Cable News Network, das unter dem Kürzel CNN die Nachrichten-Berichterstattung im Fernsehen geradezu revolutioniert hat. Nun stellte Ted Turner in seiner Heimatstadt Atlanta seine Memoiren vor. Katja Ridderbusch war dabei.

    Der Saal im feinen Commerce Club im Herzen der Südstaatenmetropole ist bis auf den letzten Platz gefüllt: Medienleute sind gekommen, Honoratioren der Stadt, Wegbegleiter aus vielen Jahrzehnten. Ein Publikum aus Fans, das Ted Turner in Atlanta erwartet.

    Die Zuschauer belohnen jeden seiner Kommentare mit dankbarem Applaus. Dabei spricht er eigentlich gar nicht über das Buch, sondern schwadroniert über die Herausforderungen der Politik und über die Wirtschaftskrise, über Freundschaften und über das Älterwerden. Er redet lässig, schnoddrig, großspurig, gleichsam ohne Filter.

    Und macht seinem Ruf alle Ehre: "The Mouth of the South" nennen sie ihn hier, das Großmaul aus dem Süden. Das ist durchaus anerkennend gemeint. Turner, früher treurer Republikaner, hat sich zum Demokraten gewandelt, der die Vereinten Nationen unterstützt und Intitiativen zum Umweltschutz finanziert. Aus seiner Verachtung für die amtierende Regierung Bush macht er kein Geheimnis:

    "In den letzten vier Jahren hatten wir einen Präsidenten, der einer der dümmsten Menschen im Land ist. Das ist eine wahre Tragödie. Er ist bestimmt kein schlechter Kerl, ein echter Wertkonservativer eben. Aber wir brauchen kluge Leute, keine dummen Leute, die das Land in die Zukunft führen. Ich hoffe, dass Barack Obama so ein Mensch ist."

    "Call me Ted" erzählt von einer schweren Kindheit. Der Vater, der eine Firma für Werbeplakate besaß, schickte Ted mit vier Jahren ins Internat und später auf die Militärakademie. Die geliebte Schwester starb früh an einer Autoimmunerkrankung, und der Vater erschoss sich in der Badewanne, als Ted 24 Jahre alt war. Er übernahm das Plakatgeschäft, kaufte lokale Radio- und Fernsehstationen dazu und legte damit den Grundstein für sein Medienimperium, Turner Broadcasting System.

    Der erste Teil des Buches bleibt seltsam seelenlos und blutleer - "flach und ohne Leidenschaft", wie die "Atlanta Journal Constitution" schreibt. Doch der vertraute Ted Turner kehrt schon nach den ersten Kapiteln zurück, und das Buch gewinnt an Fahrt, wenn er über seine Geschäfte schreibt, vor allem über die Idee des ersten, reinen Nachrichtensenders.

    Turner ist kein Intellektueller, keiner, der aufwendige Marktstudien betreibt und Business-Pläne entwirft. Er ist Geschäftsmann ganz tief aus dem Bauch, mit einem sicheren Instinkt für den Markt, unerschrocken und ausgestattet mit einem hemdsärmeligen Glauben an die Machbarkeit der Dinge. So schreibt über die Gründung von CNN:

    Ich bin oft gefragt worden, ob ich jemals eine Marktstudie über die Notwendigkeit eines 24-Stunden-Nachrichtensenders durchgeführt habe. Meine Antwort lautet: Nein. (...) Henry Ford brauchte keine Marktforscher, die ihm sagten, dass die Menschen erschwingliche, verlässliche Automobile wollten, und ich glaube auch nicht, dass Alexander Graham Bell jemals Zweifel daran hatte, dass die Menschen gerne miteinander durch das Telefon sprechen würden."

    Turner sollte Recht behalten: Heute ist CNN eine globale Nachrichtenmarke, die zwei Milliarden Zuschauer in 200 Ländern erreicht und mit 4000 Mitarbeitern in rund 40 Büros rund um den Erdball vertreten ist.

    Ted Turners Rückschau ist eine Ansammlung von Superlativen, an denen entlang er - mehr lakonisch als pathetisch - sein schillerndes Leben erzählt. 1977 holte er für die USA den Sieg im America’s Cup, die bekannteste und älteste Segelregatta der Welt. Er besitzt 15 Ranches auf mehr als 7000 Quadratkilometern. Seine Bison-Herde ist die größte in Nordamerika - ein Teil der Tiere landet auf den Tellern seiner Restaurantkette "Ted’s Montana Grill". Er kaufte das Baseball-Team "Atlanta Braves" und half, die Olympischen Spiele 1996 in die Südstaatenmetropole zu holen.

    Mit entwaffnender Offenheit spricht er von seinem Kampf gegen Depressionen und vom Scheitern seiner drei Ehen, der letzten mit Schauspielerin Jane Fonda, mit der er zehn Jahre lang verheiratet war. Turner zählt Politiker und Wirtschaftsführer aus aller Welt zu seinen Bekannten und Freunden, darunter den früheren US-Präsidenten Jimmy Carter und Mega-Investor Warren Buffet, den ehemaligen Sowjetpräsidenten Michail Gorbatschow den kubanischen Revolutionär Fidel Castro.

    Vor zwei Jahren zog sich Turner aus seinem Unternehmen zurück. Turner Broadcasting war 1996 mit Time Warner fusioniert. 2001 folgte eine weitere Fusion mit AOL, die sich als Verlustgeschäft erwies. Für den Haudegen aus dem Goldgräbertagen des Nachrichtenfernsehens war in der schönen neuen Medienwelt kein Platz mehr.
    Turner macht keinen Hehl daraus, dass es ihn heute nur noch am Rande interessiert, welchen Weg CNN einschlägt - und dass er wenig Hoffnung auf eine goldene Zukunft der elektronischen Medien sieht.

    "Das traditionenelle Fernsehen ist in einer schweren Krise, weil das Internet ihnen Zuschauer und Märkte wegnimmt. Das Problem wird nicht verschwinden, sondern größer werden, vor allem jetzt in der Wirtschaftskrise, wenn zusätzlich noch die Budgets für Werbung gekürzt werden. Das ist einer der Gründe, warum die Aktien von Medienunternehmen weiter fallen werden. Die Aussichten für die Zukunft der Branche sind nicht besonders gut. "

    Ted Turner hat Zeit seines Lebens einem Gedankenspiel nachgehangen. Er hat sich immer wieder vorgestellt, welche Inschrift einmal auf seinem Grabstein stehen würde. Auf dem Höhepunkt seines Erfolges mit CNN, als die Medien sich um ein Gespräch mit ihm rissen, lautete sein Favorit: "Hier können Sie mich nicht interviewen."

    Mittlerweile - und so schließt denn auch seine Autobiografie - habe er sich für eine weniger zynische Variante entschieden. Das heißt es ganz schlicht: "Ich habe nichts mehr zu sagen."

    Ted Turner: Call Me Ted
    Grand Central Publishing,
    448 Seiten, 14,99 Euro