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"Schillers Schreibtisch in Buchenwald"

Als der Luftkrieg der Alliierten über Deutschland begann, sorgten sich die Nationalsozialisten um die Einrichtungsgegenstände im Schillerhaus in Weimar. Vom Arbeitstisch des Dichters mussten Häftlinge im KZ Buchenwald eine Kopie anfertigen. Der Autor Dieter Kühn hat die Geschichte der beiden Möbelstücke erforscht und verwebt in seinem Buch zwei Welten: auf der einen Seite das Weimar der Humanistik, auf der anderen die Unmenschlichkeiten des Naziregimes.

Von Katharina Stanik |
    Im Mai 1940 begann der Luftkrieg der Alliierten über Deutschland. Da bald nicht mehr auszuschließen war, dass auch in Thüringen Bomben fielen, traf SS-Gruppenführer Paul Hennicke Vorkehrungen. Insbesondere fürchtete er um das Schillerhaus in Weimar. Da er das für Besucher zugängliche Museum nicht schließen wollte, erteilte er den Auftrag, von einigen der Möbelstücke Kopien anfertigen zu lassen. Als besonders wertvoll - weil "unersetzbar" - wurden erachtet: ein Bett, ein kleines Tasteninstrument und ein Schreibtisch aus dem Arbeitszimmer des Dichters. Die Möbel wurden in das nur einige Kilometer entfernt gelegene Konzentrationslager Buchenwald gebracht und dort von Häftlingen kopiert.

    Mehr als 60 Jahre später, eine Lesung in Weimar. Im Anschluss an eine Vernissage unter dem Titel "Verlagerung" stieß Dieter Kühn zum ersten Mal auf die kopierten Dichtermöbel. Neugierig geworden, machte sich der Autor auf die Suche: nach den Umständen, die zu den Rekonstruktionen geführt hatten.

    Der Schreibtisch im Schillerhaus, die Kopie aus dem Konzentrationslager Buchenwald - diese Objekte, zum Verwechseln ähnlich, sie stehen für zwei Welten[…].

    Kühn verwebt in seinem Buch auf eindrucksvolle Weise diese zwei Welten. Wie ein lose geflochtener Zopf treffen die beiden Erzählstränge aufeinander, trennen sich, begegnen sich wieder. Auf der einen Seite das Weimar der Humanistik, auf der anderen die Unmenschlichkeiten des Naziregimes.

    Das würde ein schnöder Text, in dem nur über den Schreibtisch und die Anfertigung der Kopie berichtet würde. Und über Personen in Thüringen, die hier Entscheidungen trafen. Und über politische, dann militärische Entwicklungen, die solche Entscheidungen notwendig machten. Auch Friedrich Schiller muss in diesem Bericht zuweilen einen Auftritt haben. Zum einen, damit sich Kontraste bilden zur Schiller-Ikone der Nationalsozialisten. Zum andren, damit ein wenig von der Welt vermittelt wird, in der dieser Dichter arbeitete, am Schreibtisch.

    Kühn setzt ein mit der Flucht des jungen Schiller vor der Tyrannei seines Landesvaters, des Herzogs Carl Eugen von Württemberg. Zusammen mit dem jungen Musiker Andreas Streicher flüchtete Schiller 1782 aus dem engen Stuttgart ins - vermeintlich - freie Mannheim. Im zweiten Teil schildert Kühn den späteren Schiller, der sich mittlerweile in Weimar niedergelassen hatte und dort fieberhaft an seinen Werken arbeitete. Dazwischen immer wieder: Zeitsprünge.

    Schiller unter dem Zeichen des Hakenkreuzes

    Anhand einer Collage aus unterschiedlichsten Quellen zeigt Kühn, wie der Dichter von den Nationalsozialisten vereinnahmt und ihrer Ideologie angepasst wurde.

    Schiller ist NS-Kulturfunktionären entschieden näher als Goethe

    Letzterem wurden posthum Vorwürfe gemacht, er habe "zu wenig Patriotismus entwickelt". Aus Joseph Goebbels' Tagebuch stammt die Notiz:

    Goethe ein krasser Egoist […] Schiller ein Revolutionär, Idealist und Phantast, der, wenn er Goethe auch dichterisch und künstlerisch nicht gewachsen ist, ihn menschlich turmhoch überragt.

    Der Schillerbewunderer Kühn räumt ein, dass der Humanist selbst dem Missbrauch Vorschub leistete.

    Was Ikarus Schiller offenbar zum Absturz brachte, waren Merksprüche, "Kalendersprüche", waren dubiose Sentenzen, waren vor allem patriotische Parolen, frei disponibel.
    "Nichtswürdig ist die Nation,
    die nicht ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.
    Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an,
    Das halte fest mit deinem ganzen Herzen."
    Unter den Nationalsozialisten also: Schilleraufführungen - zwischen 1933 und 1945 mehr als zweitausend Mal "Kabale und Liebe" - Schillerrezitationen, Schillerfeiern. Sogar ein Schillerfilm wird, mitten im Krieg, realisiert.


    Auf der anderen Seite, stellt Kühn fest: welche Ironie, den Aufklärer Schiller für die braune Ideologie einzuspannen! Er, der am eigenen Leib erfahren musste, was es bedeutet, in der Freiheit beschränkt zu werden, und der in seinen Werken stets den Tyrannenmord rechtfertigt, ein Wegbereiter des nationalsozialistischen Terrorregimes?

    Trotz diverser Zitate des Großrhetorikers Schiller, die nationalsozialistischen Kulturverwaltern, Kulturdespoten allzu gut ins Konzept passten: sein Werk ließ sich nicht komplett vereinnahmen, in gleichschaltender Deutung und Fehldeutung. Er blieb auch der Dichter von Liberalen im Lande.

    Dennoch, konstatiert Kühn: im Großen und Ganzen hätten die Nationalsozialisten an Schiller festgehalten - konsequent also ihre Entscheidung, ein Zweitstück des Dichtertisches anzufertigen. Kühn geht dieser Rekonstruktion des Möbelstückes akribisch nach, fast archäologisch ist seine Vorgehensweise. Aus vielen einzelnen Puzzleteilen - aus Zeitungsberichten, Tagebucheinträgen, Literaturzitaten - setzt er seine Suche zusammen. Dazwischen immer wieder Exkurse: zur Krankengeschichte Schillers, zum Tischlerhandwerk, zum Luftkrieg. Kühn möchte die Welt Schillers und das Leben im Lager in allen Einzelheiten durchdringen. Stellenweise greift er auf Fiktion und Gedankenspiele zurück. An solchen Stellen zeigt sich, dass Geschichte - wie der Schreibtisch - rekonstruiert ist, hier verwischen die Grenzen zwischen Bericht und Roman:

    Was könnten die Tischler bei der Arbeit, auch bei dieser Arbeit gesprochen haben? […] Eine Konfrontation hier mit einer Sprache, die ich erst lernen müsste: Wie hat man sich über Grauenhaftes geäußert in einer Lagerwelt, in der das Grauen alltäglich war? Hat man heruntergespielt? Hat man übertrieben, um das Außerordentliche - bei aller Gewöhnung - als außergewöhnlich zu betonen?

    Schillers Schreibtisch - er ist für Kühn ein Symbol, eine Metapher:

    virtuell aufgeladen mit den Energien, die Schiller beim Dichten neuer Werke entwickelte, die sich in den neuen Werken manifestierten.

    Zugleich ist er jedoch auch in höchstem Maße materiell. Und: er ist der Ort, an dem das Unvorstellbare geschieht: an dem das Weimar der Dichter und Denker trifft auf das Deutschland der Richter und Henker.

    So nah liegt hier alles beisammen, wenn auch in verschiedenen Zeiträumen. Mit dem relativ kleinen […] Schloss Ettersburg verbanden sich für Weimarer Literaten jener fern gerückten Zeit heiter stimmende Assoziationen und Erinnerungen. Hier draußen, etwa sieben Kilometer von Weimar entfernt, fühlte man sich von der Hofetikette weithin befreit, hier herrschte in den Sommermonaten einiger Jahre reges gesellschaftliches und literarisches Treiben. Hier wurde Theater gespielt, wurde gefeiert, geflirtet, getanzt. […] Und dann ganz in der Nähe zu diesem "Musensitz", diesem zeitweiligen Dichterrefugium: das Konzentrationslager, das KZ.

    Kühn gelingt es, den Leser bis zum Schluss in die Suche nach der Schreibtischkopie mit einzubeziehen. Am Ende nimmt er ihn mit in das Möbeldepot, in dem der falsche Schreibtisch seit Ende der 50er Jahre eingelagert ist. Auch hier zeigt sich wieder die eigentümliche Verflechtung der Geschichte - denn die Kopie von Schillers Weimarer Schreibtisch ist

    deponiert in einem Gebäude an der Südflanke ausgerechnet des Ettersbergs, (und) dies auch noch in einem Bau, der seinerzeit von Offizieren der Luftwaffe, genutzt wurde - enger, schmerzhafter könnten sich historische Perspektivlinien kaum überschneiden!

    Dieter Kühn: Schillers Schreibtisch in Buchenwald
    Verlag S. Fischer, 253 Seiten, 18.90 Euro