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Schirm mit Löchern

Medizin. - Die Grippeschutzimpfung ist für viele Menschen Routine im Herbst. Besonders Ältere, Schwangere und Chronisch Kranke sollten sie machen lassen, empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut. Doch wie wirksam ist die Grippe-Impfung überhaupt, wie zuverlässig kann sie uns vor den Viren schützen? Eine ernüchternde Antwort haben Wissenschaftler der University of Minnesota jetzt geliefert.

Von Marieke Degen | 06.12.2012
    Die Botschaft des 160-Seiten-Berichts ist eindeutig:

    "We need new and better vaccines."

    Wir brauchen neue und besser Grippe-Impfstoffe, sagt Michael Osterholm von der Universität von Minnesota, einer der führenden Grippe-Experten der USA. Er und seine Kollegen haben Studien aus den letzten 50 Jahren ausgewertet. Ihr Ergebnis: Die Grippe-Impfung ist lange nicht so wirksam wie gedacht.
    "Die Leute bekommen immer wieder erzählt, dass eine Grippe-Impfung bis zu 90 Prozent vor einer Infektion schützt. Und das ist nicht der Fall."

    Die Impfstoffe werden jedes Jahr neu angepasst – je nachdem, welche Grippe-Viren gerade kursieren. Osterholm:

    "Erwachsene, die so eine Injektion bekommen haben, sind zu 50 bis 60 Prozent geschützt – das ist besser als nichts. Aber: die Grippe ist besonders gefährlich für Menschen über 65. Und für diese Altersgruppe haben wir kaum Daten, die zeigen, dass die Impfung überhaupt einen bedeutenden Effekt hat."

    Dass die Wirksamkeit der Grippe-Impfung so lange zu hoch eingeschätzt worden ist, liegt wohl auch daran, dass Untersuchungsergebnisse falsch interpretiert worden sind.

    "Um zu prüfen, ob ein Mensch an Grippe erkrankt war, haben wir Forscher jahrelang die Antikörperreaktion im Blut gemessen. Doch bei Menschen, die gegen Grippe geimpft sind, ist die Zahl der Antikörper nicht erhöht – selbst wenn sie mit Grippe infiziert waren. Der Bluttest war negativ. Jetzt haben wir bessere Tests, um eine Infektion sicher nachzuweisen. Und dadurch auch genauere Daten."

    Die Ergebnisse aus Minnesota – für Jan Leidel sind sie keine große Überraschung. Er ist der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut.

    "Dass die Grippe-Impfung nicht so wirksam ist wie erhofft, das hat verschiedene Gründe. Unter anderem liegt es auch daran, dass sich die Viren ständig ändern und dass die Wirksamkeit davon abhängt, wie gut die wirklich zirkulierenden Viren mit denen im Impfstoff enthaltenden übereinstimmen."

    Außerdem regen die heutigen Impfstoffe das Immunsystem nicht genug an, sagt Michael Osterholm. Deshalb müssten völlig neue Impfstoffe her, die ganz anders aufgebaut sind, die vor diversen Grippe-Varianten gleichzeitig schützen. Daran werde auch schon gearbeitet – aber es fehlt an Geld.

    "Dadurch, dass wir immer wieder beteuert haben, wie wirksam unsere heutigen Impfstoffe angeblich sind, haben wir die Entwicklung von neuen, wegweisenden Vakzinen im Keim erstickt. Es kostet mehr als eine Milliarde Dollar, um neue Impfstoffe auf den Markt zu bringen. Und Firmen und die Regierung werden dafür kein Geld in die Hand nehmen, wenn wir weiterhin so tun, als wären die jetzigen Impfstoffe gut genug. Das müssen wir ändern."

    Doch auch, wenn die derzeitigen Impfstoffe nicht so gut sind wie gedacht: Die Menschen sollten sich trotzdem weiter impfen lassen – vor allem ältere, schwangere, und chronisch kranke. Jan Leidel von der STIKO:

    "Das ist mir sehr wichtig: ich habe ein bisschen die Sorge, dass die Diskussion um die Wirksamkeit der Grippeimpfung dazu führen könnte, dass Menschen, die die Impfung brauchen, sich jetzt gar nicht mehr impfen lassen, und das wäre fatal – also solange wir keine besseren Impfstoffe haben, sind die vorhandenen Impfstoffe immer noch das beste, was wir gegen die Grippe tun können. "

    Das sieht Michael Osterholm übrigens genauso.

    "Some protection is still better than no protection."

    Etwas Schutz sei immer noch besser als gar keiner.