Wer über Seekriege und Seekriegsführung etwas erfahren will, ist seit jeher darauf verwiesen, zu den Darstellungen britischer oder amerikanischer Autoren zu greifen. Das gilt auch für die jetzt im Konrad Theiss Verlag in deutscher Übersetzung erschienene "Geschichte der Seekriege", die von fünf angloamerikanischen Autoren verfasst worden ist. Durch ihre Bebilderung, vor allem aber durch die Skizzen der großen Seeschlachten besitzt sie eine Anschaulichkeit, die den Text ergänzt und manches erst verständlich und nachvollziehbar macht. Aber selbst Iain Dickie und seine Koautoren haben sich sehr auf einzelne Seelschlachten konzentriert und darüber die Veränderung der Seekriegführung von regionalen zu globalen Dimensionen etwas aus den Augen verloren. Dafür haben sie sich jedoch intensiv mit der Entwicklung des Schiffsbaus und der Waffentechnologie beschäftigt, und daraus ergeben sich eine Fülle von Hinweisen und Anmerkungen zur Veränderung der Seekriegsstrategie.
Die Militärgeschichte zeigt, dass Kämpfe oft entlang von Verkehrswegen ausgetragen werden. Bis zum großflächigen Einsatz der Dampflokomotive waren Flüsse, Kanäle und das Meer die bevorzugten Transportwege für Heere, Nachschub und Baumaterialien.
Die Darstellung beginnt bei der Abwehr der aus dem Mittelmeer angreifenden "Seevölker" durch den ägyptischen Pharao Ramses III., als die im Nildelta operierenden ägyptischen Kriegsgaleeren mithilfe des Rammstoßes die gegnerischen Segelschiffe zum Kentern brachten. Erstmals treffen hier zwei Grundauffassungen des Seekriegs aufeinander: Die maritimen Fähigkeiten der Seevölker sind vor allem amphibischer Art, sie dienen dem Transport von Soldaten, die angelandet werden, um auf festem Boden zu kämpfen. Die ägyptischen Ruderboote mit dem gewaltigen Rammsporn am Bug sind dagegen reine Kriegsschiffe, die keinen anderen Zweck als die Bekämpfung gegnerischer Schiffe haben. Aber solche Kriegsflotten zur Abwehr von See kommender Angreifer können sich nur reiche und mächtige Herrscher leisten. Nach dem Untergang des Römischen Reiches standen die europäischen Küsten über mehrere Jahrhunderte offen für die Angriffe der Wikinger, die auftauchten, angriffen, plünderten und wieder verschwanden. Weil sie mit Widerstand erst zu Lande rechnen mussten, brauchten ihre Schiffe nicht kriegstüchtig, sondern bloß seetüchtig zu sein. Das eröffnete ihnen viele Möglichkeiten.
Einen ganz anderen Verlauf nahm die Entwicklung seit dem 6. vorchristlichen Jahrhundert im östlichen Mittelmeer, wo die Seemächte damit begannen, Schiffe speziell für die Führung von Seeschlachten zu bauen, besonderes Personal dafür auszubilden und schließlich mit ganzen Flotten gegeneinander zu kämpfen. Schlachtentscheidend war hier die Disziplin der Ruderer, von der die Schnelligkeit und Manövrierbarkeit der Schiffe abhing. Zwei Angriffsformen stachen besonders hervor: der Rammstoß in die Flanke des gegnerischen Schiffs, das so zum Sinken gebracht wurde, oder der Parallelstoß auf die Ruder des Gegners, bei dem den Ruderern der Brustkorb eingedrückt oder die Wirbelsäule gebrochen wurde. Das Schiff war dann manövrierunfähig und damit wehrlos. Es kamen aber noch andere Kampfweisen zum Einsatz: Katapulte und Schleudern.
Eine zwischen den beiden äußersten Punkten gespannte Sehne konnte angespannt die nötige Energie liefern, um einen schweren Bolzen 300 bis 400 Meter weit zu schießen. Doch man konnte mit der ballista auch runde Steinprojektile abschießen. Die Kugeln waren zwar nicht schwer genug, um feindliche Schiffe zu versenken, aber sie konnten beträchtlichen Schaden anrichten. Sie konnten sogar aus brennbarem Material bestehen und das Ziel in Brand setzen. Eine weitere Neuerung war das Abschießen von Tontöpfen mit Giftschlangen darin. Der Topf zerbrach beim Aufprall, und die befreiten Schlangen verursachten ein Chaos an Bord des gegnerischen Schiffes.
Dass der Seekrieg unkonventionelle Militärtechnologie sehr viel stärker beflügelte als der Landkrieg, zeigt die Erfindung des griechischen Feuers im 7. Jahrhundert. Byzanz stand damals am Abgrund: Von Land her wurde Konstantinopel von einer arabischen Belagerungsarmee umfasst und auf der Seeseite blockierte eine arabische Flotte den Nachschub. Da entwickelte ein gewisser Kallinikos eine Geheimwaffe, bei der mithilfe einer Pumpe ein Petroleum-Luft-Gemisch gegen den Feind geblasen wurde.
Dadurch wurden die byzantinischen Galeeren, die Dromonen, zu Kriegsschiffen ganz neuer Art. Als die byzantinische Marine sich der arabischen Flotte nahe Syllaeum stellte, schossen Bronzerohre, die in die verstärkten Kasematten des Schiffsbugs eingepasst waren, Ströme flüssigen Feuers in die arabische Armada. Schiffe und Männer verbrannten in den Flammenstößen, die arabischen Belagerer flohen vor dieser entsetzlichen neuen Waffe.
Die Stationen des Seekriegs, durch welche die Autoren führen, gliedern sich nach der Technologie des Schiffsbaus und der Bewaffnung der Schiffe. Seekriegsgeschichte ist insofern immer auch Technikgeschichte. Im Atlantik war mit der geruderten Galeere, die im Mittelmeer ob ihrer Beweglichkeit bis ins 17. Jahrhundert vorherrschend blieb, wenig anzufangen, und so begann mit dem Aufstieg des atlantischen Raums das Zeitalter der Segelschiffe, begleitet von den metallurgischen Fortschritten des Geschützbaus, die nach der Epoche der Spanier und dem beachtlichen Zwischenspiel der Holländer schließlich den Briten die Herrschaft über die Weltmeere verschaffte. Nunmehr verselbständigte sich der Seekrieg vollständig gegenüber dem Landkrieg, und die Operationen der Flotte folgten eigenen Imperativen und hatten nur noch wenig zu tun mit der Unterstützung von Landheere. Dies begriffen und glänzend praktiziert zu haben, war der Schlüssel der britischen Großreichsbildung; als die USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Position des britischen Empire übernahmen, erfolgte dies wesentlich zur See.
Aber hat nicht längst die Beherrschung des Luftraums, schließlich des Weltraums die Kontrolle der Weltmeere abgelöst? Ja und nein, meinen die Autoren: Ja, weil die letzte große Seeschlacht, die zwischen Japanern und Amerikanern 1942 bei den Midway-Inseln, in der Luft und nicht zu Lande entschieden wurde. Nein, weil es der neue Kriegsschifftyp des Flugzeugträgers war, der über die Schlachtschiffe triumphierte, und nicht das Flugzeug allein. Bis heute stützt sich die militärische Dominanz der USA auf Flugzeugträger, und die Entsendung entsprechender Verbände war im Kalten Krieg und ist bis heute die bevorzugte Krisenreaktion der westlichen Weltmacht. Was Seemacht und Seekontrolle nach wie vor bedeutet, zeigen die Piraten vor der somalischen Küste, die zeitweilig die Schlagzeilen unseres politischen und wirtschaftlichen Geschehens bestimmt haben. Wer Weltpolitik und Weltwirtschaft begreifen will, darf die See nicht aus dem Blick verlieren. Die "Geschichte der Seekriege" ist eine gute Schulung des Blicks.
Eine Rezension von Herfried Münkler über Die Geschichte der Seekriege, herausgegeben von Iain Dickie und anderen, erschienen im Theiss Verlag, 256 Seiten für 34 Euro und 90 Cent,ISBN: 978-3-8062-2250-0.
Die Militärgeschichte zeigt, dass Kämpfe oft entlang von Verkehrswegen ausgetragen werden. Bis zum großflächigen Einsatz der Dampflokomotive waren Flüsse, Kanäle und das Meer die bevorzugten Transportwege für Heere, Nachschub und Baumaterialien.
Die Darstellung beginnt bei der Abwehr der aus dem Mittelmeer angreifenden "Seevölker" durch den ägyptischen Pharao Ramses III., als die im Nildelta operierenden ägyptischen Kriegsgaleeren mithilfe des Rammstoßes die gegnerischen Segelschiffe zum Kentern brachten. Erstmals treffen hier zwei Grundauffassungen des Seekriegs aufeinander: Die maritimen Fähigkeiten der Seevölker sind vor allem amphibischer Art, sie dienen dem Transport von Soldaten, die angelandet werden, um auf festem Boden zu kämpfen. Die ägyptischen Ruderboote mit dem gewaltigen Rammsporn am Bug sind dagegen reine Kriegsschiffe, die keinen anderen Zweck als die Bekämpfung gegnerischer Schiffe haben. Aber solche Kriegsflotten zur Abwehr von See kommender Angreifer können sich nur reiche und mächtige Herrscher leisten. Nach dem Untergang des Römischen Reiches standen die europäischen Küsten über mehrere Jahrhunderte offen für die Angriffe der Wikinger, die auftauchten, angriffen, plünderten und wieder verschwanden. Weil sie mit Widerstand erst zu Lande rechnen mussten, brauchten ihre Schiffe nicht kriegstüchtig, sondern bloß seetüchtig zu sein. Das eröffnete ihnen viele Möglichkeiten.
Einen ganz anderen Verlauf nahm die Entwicklung seit dem 6. vorchristlichen Jahrhundert im östlichen Mittelmeer, wo die Seemächte damit begannen, Schiffe speziell für die Führung von Seeschlachten zu bauen, besonderes Personal dafür auszubilden und schließlich mit ganzen Flotten gegeneinander zu kämpfen. Schlachtentscheidend war hier die Disziplin der Ruderer, von der die Schnelligkeit und Manövrierbarkeit der Schiffe abhing. Zwei Angriffsformen stachen besonders hervor: der Rammstoß in die Flanke des gegnerischen Schiffs, das so zum Sinken gebracht wurde, oder der Parallelstoß auf die Ruder des Gegners, bei dem den Ruderern der Brustkorb eingedrückt oder die Wirbelsäule gebrochen wurde. Das Schiff war dann manövrierunfähig und damit wehrlos. Es kamen aber noch andere Kampfweisen zum Einsatz: Katapulte und Schleudern.
Eine zwischen den beiden äußersten Punkten gespannte Sehne konnte angespannt die nötige Energie liefern, um einen schweren Bolzen 300 bis 400 Meter weit zu schießen. Doch man konnte mit der ballista auch runde Steinprojektile abschießen. Die Kugeln waren zwar nicht schwer genug, um feindliche Schiffe zu versenken, aber sie konnten beträchtlichen Schaden anrichten. Sie konnten sogar aus brennbarem Material bestehen und das Ziel in Brand setzen. Eine weitere Neuerung war das Abschießen von Tontöpfen mit Giftschlangen darin. Der Topf zerbrach beim Aufprall, und die befreiten Schlangen verursachten ein Chaos an Bord des gegnerischen Schiffes.
Dass der Seekrieg unkonventionelle Militärtechnologie sehr viel stärker beflügelte als der Landkrieg, zeigt die Erfindung des griechischen Feuers im 7. Jahrhundert. Byzanz stand damals am Abgrund: Von Land her wurde Konstantinopel von einer arabischen Belagerungsarmee umfasst und auf der Seeseite blockierte eine arabische Flotte den Nachschub. Da entwickelte ein gewisser Kallinikos eine Geheimwaffe, bei der mithilfe einer Pumpe ein Petroleum-Luft-Gemisch gegen den Feind geblasen wurde.
Dadurch wurden die byzantinischen Galeeren, die Dromonen, zu Kriegsschiffen ganz neuer Art. Als die byzantinische Marine sich der arabischen Flotte nahe Syllaeum stellte, schossen Bronzerohre, die in die verstärkten Kasematten des Schiffsbugs eingepasst waren, Ströme flüssigen Feuers in die arabische Armada. Schiffe und Männer verbrannten in den Flammenstößen, die arabischen Belagerer flohen vor dieser entsetzlichen neuen Waffe.
Die Stationen des Seekriegs, durch welche die Autoren führen, gliedern sich nach der Technologie des Schiffsbaus und der Bewaffnung der Schiffe. Seekriegsgeschichte ist insofern immer auch Technikgeschichte. Im Atlantik war mit der geruderten Galeere, die im Mittelmeer ob ihrer Beweglichkeit bis ins 17. Jahrhundert vorherrschend blieb, wenig anzufangen, und so begann mit dem Aufstieg des atlantischen Raums das Zeitalter der Segelschiffe, begleitet von den metallurgischen Fortschritten des Geschützbaus, die nach der Epoche der Spanier und dem beachtlichen Zwischenspiel der Holländer schließlich den Briten die Herrschaft über die Weltmeere verschaffte. Nunmehr verselbständigte sich der Seekrieg vollständig gegenüber dem Landkrieg, und die Operationen der Flotte folgten eigenen Imperativen und hatten nur noch wenig zu tun mit der Unterstützung von Landheere. Dies begriffen und glänzend praktiziert zu haben, war der Schlüssel der britischen Großreichsbildung; als die USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Position des britischen Empire übernahmen, erfolgte dies wesentlich zur See.
Aber hat nicht längst die Beherrschung des Luftraums, schließlich des Weltraums die Kontrolle der Weltmeere abgelöst? Ja und nein, meinen die Autoren: Ja, weil die letzte große Seeschlacht, die zwischen Japanern und Amerikanern 1942 bei den Midway-Inseln, in der Luft und nicht zu Lande entschieden wurde. Nein, weil es der neue Kriegsschifftyp des Flugzeugträgers war, der über die Schlachtschiffe triumphierte, und nicht das Flugzeug allein. Bis heute stützt sich die militärische Dominanz der USA auf Flugzeugträger, und die Entsendung entsprechender Verbände war im Kalten Krieg und ist bis heute die bevorzugte Krisenreaktion der westlichen Weltmacht. Was Seemacht und Seekontrolle nach wie vor bedeutet, zeigen die Piraten vor der somalischen Küste, die zeitweilig die Schlagzeilen unseres politischen und wirtschaftlichen Geschehens bestimmt haben. Wer Weltpolitik und Weltwirtschaft begreifen will, darf die See nicht aus dem Blick verlieren. Die "Geschichte der Seekriege" ist eine gute Schulung des Blicks.
Eine Rezension von Herfried Münkler über Die Geschichte der Seekriege, herausgegeben von Iain Dickie und anderen, erschienen im Theiss Verlag, 256 Seiten für 34 Euro und 90 Cent,ISBN: 978-3-8062-2250-0.