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Schlafe, meine Rose

Die deutsche Nachkriegsliteratur beginnt 1945 - noch vor allen Diskussionen über "Kahlschlag" und "Trümmerpoesie" - mit einem Fluch von Thomas Mann. Der Romancier Frank Thiess, ein Autor der "inneren Emigration", hatte gegen die Dichter des Exils in ihren "Logen des Auslands" polemisiert. Von Thomas Mann, dem berühmten Exilanten, wurde er barsch zurechtgewiesen: "Es mag Aberglaube sein," so erklärte Mann brüsk, "aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten alle eingestampft werden." So drohte schon kurz nach dem Ende der Babarei ein erster großer Schriftstellerstreit das literarische Klima im Nachkriegsdeutschland zu vergiften.

Michael Braun | 22.02.1999
    In dieser Situation avancierte die Schriftstellerin Elisabeth Langgässer einen kurzen historischen Augenblick lang zur berühmtesten Dichterin Deutschlands - es herrschte eben großer Bedarf nach einer genuin "christlichen Dichterin". Dankbar begrüßte man die Langgässer als Vertreterin eines religiösen, zugleich unpolitischen Humanismus, der die Ursachen für die Verbrechen des Nationalsozialismus in ein theologisches Erklärungsmuster von Sündenfall, Erlösung und Gnade einschrieb. Eine mustergültige politische Biographie prädestinierte die Langgässer für ihre Rolle als Vorzeigeautorin: 1899 im rheinhessischen Alzey als Tochter eines katholisch getauften Juden geboren, zog es die junge Naturlyrikerin bald in die literarischen Metropolen, wo sie zunächst Anschluß fand im linkskatholischen Milieu des "Frankfurter Kreises" um Walter Dirks und Sebastian Haffner. 1931 schloss sie sich dem Autorenkreis um die Zeitschrift "Kolonne" an, der seine metaphysische Poetik auf Naturbilder und Mythologie gründete. Nach der Machtergreifung Hitlers wurde sie von den faschistischen Kulturpolitikern als sogenannte "Halbjüdin" verfemt, 1936 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und mit Publikationsverbot belegt. Nach Kriegsende wurde die damals schon schwerkranke Autorin offiziell als Verfolgte des Nationalsozialimus anerkannt. Hinzu kam, daß sie in der berühmten Schublade tatsächlich ein Werk von Rang verwahrte, das in den ersten Nachkriegsjahren zum Inbegriff des literarischen Neubeginns wurde: den im Februar 1947 veröffentlichten Roman "Das unauslöschliche Siegel".

    Selbst Thomas Mann rühmte dieses Buch als ein "Meisterwerk verinnerlichter Prosa", sein Kollege Hermann Broch schwärmte von ihm als einem "Hexen- und Engelskessel", in dessen Tiefe es unaufhörlich gäre und koche. Wie in fast allen Büchern Langgässers ist der Roman auf ein katholisch-spirituelles Weltbild fundiert, auf eine Melange aus Mythologie, Naturmagie und christlicher Heilslehre, die die Weltgeschichte als ein ewig währendes Ringen zwischen Gott und Teufel zu deuten sucht.

    "Das Heilige Feuer", so nannte sich sinnigerweise jene katholische Monatsschrift, in der 1920 die ersten Gedichte Elisabeth Langgässers erschienen. Daß auch in ihren Gedichten ein "heiliges Feuer" lodert, hat die Autorin in einem aufschlußreichen Brief an Karl Krolow zu erläutern versucht - ein Bekenntnis, das für ihr gesamtes Oeuvre gilt: "Ich bin eigentlich kein Lyriker im strengen Sinne", heißt es da, "sondern meine Verse sind Teile einer Liturgie...Sie sind reine Mysteriengedichte." Diese katholische Mysteriendichtung geriet nach dem Tod der Dichterin im Juli 1950 bald unter Ideologieverdacht. Schon bald nach dem Aufflackern des schnellen Ruhms hatte die sich politisierende Literaturwelt ihr Werk wieder vergessen.

    Erst 1986 geriet ihr Name wieder in die Schlagzeilen, als der erschütternde Lebensbericht ihrer Tochter Cordelia Edvardson ("Gebrannntes Kind sucht das Feuer") veröffentlicht wurde. Die fromme Legende von der politisch untadeligen Schriftstellerin Langgässer schien nach Veröffentlichung dieses Buches ein für alle Mal zerstört. Cordelia Edvardson, die älteste Tochter Elisabeth Langgässers, die einer unehelichen Verbindung mit dem jüdischen Sozialisten Hermann Heller entstammt, wurde nach Vollzug der Nürnberger Rassengesetze als sogenannte "Volljüdin" eingestuft, mußte 1941 ihr Elternhaus verlassen und wurde 1944 nach Theresienstadt und später nach Auschwitz deportiert. Die unrühmliche Rolle, die Elisabeth Langgässer bei den Verhören durch die Gestapo spielte, wurde ihr von vorschnellen Exegeten (auch von der ansonsten verläßlichen Biographin Ursula El-Akramy) als Verrat und als Opferung der Tochter ausgelegt.

    In der soeben erschienenen Neubearbeitung seiner Langgässer-Biographie versucht nun Frederik Hetmann diesen Verdacht zu zerstreuen und das passive Verhalten Langgässers als Folge einer heillosen Zwangslage zu rechtfertigen. Schwerer als die biographischen Korrekturen am überlieferten Langgässer-Bild wiegen allerdings die Einsichten Hetmanns in die untergründige antisemitische Motivik der Langgässer-Romane. Unter Rückgriff auf amerikanische Studien kann Hetmann nachweisen, dass Langgässers Texte stellenweise infiziert sind von Denkfiguren der faschistischen Rassenlehre. Der Fall Elisabeth Langgässer, so zeigen die Erkenntnisse des Biographen, ist noch nicht abgeschlossen; dennoch bleibt zweifelhaft, ob ihre Bücher aus dem Staub der Bibliotheken befreit werden können.

    Literatur über Elisabeth Langgässer:

    Frederik Hetmann: Schlafe, meine Rose Die Lebensgeschichte der Elisabeth Langgässer Beltz & Gelberg, Weinheim 1999; 214 Seiten, ca. Fr. 29.80

    Ursula El-Akramy: Wotans Rabe Elisabeth Langgässer, ihre Tochter Cordelia und die Feuer von Auschwitz Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1997; 134 Seiten, Fr. 32

    Die Werke Elisabeth Langgässers erscheinen im Claassen Verlag.