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Schlaganfallgene im Viererpack

Genforschung. - Vor ein paar Jahren war jedes Krankheitsgen, das entdeckt wurde, ein Ereignis und wurde gebührend bejubelt. Heute sind die wichtigsten einfachen Erbkrankheiten entschlüsselt. Neuerdings wenden sich die Genetiker deshalb verstärkt den großen Volkskrankheiten zu: Krebs, Alzheimer, Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Hier wirken meist Gene und Umwelt in komplizierter Weise zusammen. Das Wechselspiel von Genen und Umwelt, das zu diesen Krankheiten führt, ist für die Wissenschaftler bis heute kaum zu durchschauen. Aber es gibt Fortschritte.

    Von Michael Lange

    Wenn das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird, besteht Schlaganfall-Gefahr. Nervenzellen gehen zugrunde. Lähmungen oder Ausfälle bei Wahrnehmung oder Sprache können die Folge sein. Rauchen, zu wenig Bewegung, zu fette Ernährung - das sind bekannte Risikofaktoren. Aber es gibt auch Erbanlagen, Gene, die die Schlaganfallgefahr erhöhen. Sie zu finden, ist allerdings gar nicht so leicht. Vergleichsstudien mit Zwillingen zeigen, dass die Bedeutung der Gene beim Schlaganfall kleiner ist als zum Beispiel beim Herzinfarkt. Harald Funke von der Universität Münster:

    Wenn der eine Zwilling einen Herzinfarkt hat, dass der andere dann auch einen bekommt, diese Konkordanzrate beträgt für Herzinfarkt bei eineiigen Zwillingen 60 Prozent. Bei Schlaganfall sind das nach unterschiedlichen Studien nur zwischen 16 und 22 Prozent.

    Die Erbanlagen sind also zu nur 16 bis 22 Prozent für den Schlaganfall verantwortlich. Die Umwelt und das persönliche Verhalten machen den großen Rest aus: also etwa vier Fünftel. Für die Wissenschaftler ist es deshalb besonders schwierig, die für den Schlaganfall mitverantwortlichen Gene zu finden. Die Frage, die sich stellen, lautet: Welches Gen erhöht, wenn es verändert wird, das Schlaganfall-Risiko, und wie stark erhöht es das Risiko.

    Möglicherweise sind es sehr viele Genveränderungen in sehr vielen Genen, die jede für sich das Risiko geringfügig erhöhen. Verantwortlich dafür sind Veränderungen auf diesen Genen, so genannte Polymorphismen. Die Wissenschaftler sprechen auch von "Snips". Das steht für "single nucleotide polymorphisms" - also: Veränderung einzelner genetischer Buchstaben auf einem Gen.

    Forscher der Universität Münster haben nun das Erbgut gesunder Menschen mit dem von Schlaganfall-Patienten verglichen, und sie haben tatsächlich Unterschiede gefunden. Harald Funke:

    In einer Arbeit, die wir kürzlich fertiggestellt haben, haben wir untersucht, welche Gene einen Einfluss haben auf die Entstehung von Schlaganfall. Da haben wir vier Gene identifiziert, die alle irgendetwas zu tun haben mit der Gefäßwandbiologie.

    Bestimmte Veränderungen - also Snips - in diesen vier Genen machen die Blutgefäße eines Menschen ein wenig empfindlicher. Das Schlaganfall-Risiko steigt. Meist nur geringfügig: um den Faktor 1,4 bis 1,8. Das heißt: Das Risiko wird durch jeden einzelnen dieser Snips nicht einmal verdoppelt. Im Grunde, kaum der Rede wert. Aber wenn mehrere solche Snips - oder Polymorphismen zusammenkommen, steigt das Risiko. Funke:

    Wenn wir diese Gene miteinander kombinieren, dann sehen wir, dass Träger dieser Polymorphismen, die also zwei oder mehr von diesen Polymorphismen tragen, dann schon ein um den Faktor vier gesteigertes Risiko für den Schlaganfall haben.

    Und wer ein vierfach erhöhtes Schlaganfall-Risiko trägt, sollte gewarnt werden. Harald Funke setzt deshalb auf einen Gen-Test, der die Risiko-Snips aufspürt:

    Dann könnte man einen Snip-Essay machen, der vielleicht etwa 100 Euro kosten würde für vier Snips, und könnte dadurch vielleicht ein Risiko, dass sicherlich genau so hoch ist wie das Risiko eines hohen Blutdrucks für den Schlaganfall einfach mindern, indem man eine ganz billige Medikation gibt.

    Wer die Risiko-Snips trägt könnte durch kleine regelmäßige Dosen Aspirin dem Schlaganfall vorbeugen. Ob das vertretbar ist, müsste allerdings durch eine Studie überprüft werden. Denn auch Aspirin hat Nebenwirkungen. Solange bleibt den Risikoträgern - wie allen anderen - zur Vorbeugung: Sport, gesunde Ernährung und Nichtrauchen.