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Schlechte Nachrichten vom Arbeitsmarkt

Ich möchte gemessen werden an einer einzigen Frage, an der nämlich, ob es einer neuen Regierung gelungen ist, die Arbeitslosigkeit massiv zu senken. Daran wollen wir gemessen werden. Und wenn es uns nicht gelingt, bereits in den ersten Jahren Durchbrüche zu erzielen, dann haben wir es nicht verdient, weiter zu regieren.

Gode Japs | 05.09.2001
    Gerhard Schröder vor drei Jahren auf Wahlkampf-Tour. Wenige Wochen später ist er Bundeskanzler. Lange Zeit sieht es so aus, als braucht er diese Messlatte nicht zu scheuen. Die Zahlen gehen kontinuierlich herunter - von 4,1 Millionen Ende August 1998 auf 3,8 Millionen im August vergangenen Jahres. In zwei Jahren 300.000 Arbeitslose weniger. Das kann sich sehen lassen.

    Doch seit einigen Monaten bewegt sich nur noch wenig: Stillstand auf dem Arbeitsmarkt. Mehr noch: immer mehr Beschäftigte verlieren ihren Job. Heute gab der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, die neusten Daten bekannt. Schlechte Nachrichten: Erstmals seit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung ist die Arbeitslosigkeit im August im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen - um 8.100. Bernhard Jagoda:

    Bei dieser Entwicklung stellen wir fest, dass die konjunkturelle Schwäche sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar macht. Der Stillstand des wirtschaftlichen Wachstums gepaart mit einer gestiegenen Arbeitsproduktivität bedeutet, dass saisonbereinigt die Zahl der Erwerbstätigen leicht sinkt. Zusammen damit hat sich auch die Arbeitslosigkeit bis zuletzt ungünstig entwickelt.

    Ohne Frage: Grund für die Misere ist in erster Linie die schlechte konjunkturelle Entwicklung. Aber die Opposition wirft der Bundesregierung auch vor, nicht genügend zu tun, um gegen die Arbeitslosigkeit vorzugehen. CDU-Fraktionschef Friedrich Merz:

    Es gibt eine massive Verantwortung der Bundesregierung dafür, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland seit sechs Monaten steigende Arbeitslosigkeit haben. Das alles sind hausgemachte Probleme in einem sich immer schwieriger darstellenden konjunkturellen Umfeld. Aber Deutschland muss nicht 'Bremsklotz' sein in Europa, muss nicht Schlusslicht sein. Es könnte Lokomotive sein.

    Ähnlich sieht es auch der Chef der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Gerhard. Er fordert mehr politische Aktivitäten von der Bundesregierung, hält nichts von der "Politik der ruhigen Hand" des Kanzlers.

    Das wird eine ruhige Kugel. Und das ist das Gefährliche, denn in Deutschland haben wir noch keine Beschäftigungsdynamik. Und die Bundesregierung unternimmt gegenwärtig nichts, um zu einer solchen Beschäftigungsdynamik zu kommen. Der Arbeitsmarkt ist ziemlich stranguliert.

    Unruhige Zeiten für Gerhard Schröder. Ohne Trendwende am Arbeitsmarkt, wächst auch der Druck aus den eigenen Reihen, neue Maßnahmen zu entwickeln. Schon jetzt fordern grüne und rote Sozialpolitiker zusätzliche Anstrengungen von der Bundesregierung. Dabei hatte der Kanzler bei seiner Halbzeitbilanz vor gut einem Jahr noch erklärt:

    Wir wollen uns messen lassen an der Senkung der Arbeitslosigkeit. Und ich glaube, wir können es schaffen, bis zum Ende der Legislaturperiode auf unter dreieinhalb Millionen zu kommen.

    Das wäre im Herbst 2002. Doch an dieses Ziel glaubt kaum noch jemand. Auch Bernhard Jagoda musste sich schon korrigieren. Seine Anstalt hatte für dieses Jahr im Durchschnitt 3,7 Millionen Beschäftigungslose prognostiziert. Eine Zahl, die nicht mehr zu halten ist. Sie wird erheblich höher liegen. Dennoch möchte die Sozialpolitikerin der Grünen, Thea Dückert, an dem von Gerhard Schröder vorgegebenen 3,5-Millionen-Ziel festhalten:

    Ich denke, dass wir dieses Ziel sehr ernst nehmen müssen und jetzt wirklich auch Hand anlegen müssen, um es erreichen zu können. Es wird sehr, sehr schwer sein. Das heißt nicht, dass wir das jetzt einfach so laufen lassen können. Wir werden ja auch tätig werden. Aber ich denke, dass man darüber hinaus für bestimmte Bereiche am Arbeitsmarkt noch zusätzliche Angebote schaffen muss.

    Auch der Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, Ottmar Schreiner, möchte im Herbst nächsten Jahres die Arbeitslosigkeit bei der 3,5-Millionen-Marke sehen:

    Das Ziel wäre erreichbar, wenn es gelingt, die Konjunktur wieder anzukurbeln. Und wenn gleichzeitig flankierende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eingesetzt werden.

    Der Ruf nach neuen beschäftigungspolitischen Aktivitäten wird immer lauter. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für eine "aktive Arbeitsförderung" gibt die Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr 44 Milliarden Mark aus. Ihr Gesamtetat liegt bei gut 100 Milliarden. Der größte Brocken dabei ist das Arbeitslosen- und Insolvenzgeld mit fast 48 Milliarden Mark. Die Verwaltung "frisst" weitere neun Milliarden.

    Ein Riesenetat. Da mag manches versickern oder falsch platziert sein. Die Kritik an der Bundesanstalt für Arbeit jedenfalls wächst. Die Vorwürfe: Zweifelhafte Programme. Stümperhafte Vermittlung. Mangelhafte Kontrolle.

    Was fehlt, ist eine "passgenaue Arbeitsmarktpolitik", wie sie die Wirtschaft seit langem fordert. Infrage gestellt wird zum Beispiel die Effektivität der aus Nürnberg geförderten Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für z.Z. rund 350.000 Teilnehmer.

    Auch Ottmar Schreiner setzt hier seine Kritik an: Bei fast vier Millionen Arbeitslosen und gleichzeitig rund 1,5 Millionen offenen Stellen mit einem großen Mangel an Fachkräften gebe es einen "erheblichen Verbesserungsbedarf" in der Arbeitsweise der Ämter. Der SPD-Bundestagsabgeordnete verlangt daher, die Weiterbildungsmaßnahmen der Bundesanstalt - jährlich rund 20 Milliarden Mark - einer "Generalüberprüfung" zu unterziehen:

    Hier besteht meiner Ansicht nach absoluter Optimierungsbedarf bei den Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit.

    Auf den Prüfstand gehören auch die Arbeitsbeschaffungsnahmen (ABM) und die Strukturanpassungsmaßnahmen, die - etwa durch Lohnzuschüsse - vor allem in Regionen mit extrem hoher Arbeitslosigkeit zum Zuge kommen. Rund 220.000 Erwerbslose sind zur Zeit in diesen Maßnahmen "geparkt". Sie werden von der Nürnberger Anstalt per anno mit rund zehn Milliarden Mark finanziert. Immer häufiger wird die Frage gestellt: Sind die Beschäftigungsprogramme noch zeitgemäß? Nicht längst überholt als geeignete Instrumente?

    Durchweg schlechte Noten für ABM: Keine nachhaltigen Beschäftigungseffekte. Im Gegenteil: die geringen Qualifikationsanforderungen bei ABM wirken stigmatisierend. Sie mindern die Chancen der Eingliederung. So zum Beispiel das Fazit einer Arbeitsgruppe beim Bündnis für Arbeit.

    Ein weiterer Vorwurf an die Bundesanstalt für Arbeit: Arbeitslose werden zu häufig nur verwaltet. Für intensive Beratung fehlt die Zeit. In der Tat: Die Mammutbehörde hat über 80.000 Mitarbeiter. Lediglich knapp 10.000 beschäftigen sich mit der Vermittlung von Arbeitslosen.

    Das Gros der BfA-Mitarbeiter dagegen behandelt Arbeitslosengeld-Anträge, bewilligt Unterhaltsgelder, verwaltet ABM. Ein Berater betreut heute bis zu 700 Arbeitssuchende, ist damit überlastet. Das soll anders werden. Die Vermittlerdienste werden ausgebaut, teilweise auch privatisiert. Thea Dückert:

    Die Arbeitsämter haben einen schweren Job. Und es gibt andere Möglichkeiten der direkten Betreuung, die auch dritte Einrichtungen leisten können als Flankierung dessen, was die Arbeitsämter machen: also in die Betriebe gehen, direkt für die entsprechenden Personen auch Beschäftigung zu suchen. Ich denke, wir müssen alles tun, um zu vermitteln. Und da sind Dritte sehr hilfreich.

    Auch die Sozialdemokraten wollen die Vermittlungsaktivitäten verstärken. Aber anders als die Grünen wollen sie den privaten Vermittlern nicht so viele Spielräume geben - wie auch der DGB. In der Berliner Gewerkschaftszentrale ist man der Ansicht, private Vermittler sind keineswegs so effektiv und kostengünstig, wie es immer wieder dargestellt wird. Deshalb müsse der Ausbau der BfA-Vermittlerdienste Priorität haben.

    Hierfür stellt Schreiner sogar die Organisationsstruktur der Nürnberger Bundesanstalt in Frage. Er hält es für sinnvoll, statt einer stark besetzten Zentrale und den gut ausgestatteten Landesarbeitsämtern die örtlichen Arbeitsämter personell zu stärken und somit die Vermittlerdienste zu forcieren.

    Darüber sind sich übrigens Koalition und Opposition einig: Den größten Effekt für den Arbeitsmarkt bringt eine Intensivierung und Modernisierung der Arbeitsvermittlung. Allein elf Milliarden Mark können eingespart werden, wenn etwa die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von bislang sieben auf sechs Monate gesenkt wird.

    Ein erster Schritt in Richtung mehr Vermittlertätigkeiten soll mit dem Job-Aktiv-Gesetz erfolgen. Der Bundestag will es noch in diesem Monat in erster Lesung beraten. Das geplante Gesetz verpflichtet die Arbeitsämter, sich intensiver und nachhaltiger um die Stellenvermittlung zu kümmern. Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Peter Struck umschreibt die Zielsetzung des Job-Aktiv-Gesetzes so:

    Fördern und Fordern. Wir wollen die Arbeitslosen fördern durch ein schnelleres System der Betreuung, eine individuelle Betreuung durch die Bundesanstalt für Arbeit. Wir fordern sie aber auch. Sie müssen mehr bereit sein, auch Jobs anzunehmen.

    Doch das Job-Aktiv-Gesetz reicht vielen nicht aus. Viel effektiver zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei ein Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform, meinen etwa CDU und FDP. Aber hier sperrt sich die Bundesregierung: Wer soll das bezahlen? Oder ein Konjunkturprogramm? Das bringt nichts, sagt die Regierung - diesmal in Überstimmung mit der FDP und den Arbeitgebern. Vielversprechender sei da der tarifpolitische Ansatz, wie er bei VW mit dem "5000 x 5000"-Modell - das 5000 neue Arbeitsplätze schaffen soll - gefunden wurde.

    Bewegung am Arbeitsmarkt erhoffen sich manche Politiker vor allem durch kräftige Sanktionen. So schlägt SPD-Vize Rudolf Scharping vor, arbeitsunwilligen jungen Sozialhilfeempfängern jegliche staatliche Unterstützung zu streichen. Und Hessens Ministerpräsident Roland Koch propagiert das Modell Wisconsin: "Wer kann, muss ran".

    Uneingeschränkten Beifall finden diese Vorschläge bei CDU und CSU. Die Bundestagsfraktion der Union will zum Beispiel arbeitsfähigen Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfängern per Gesetz die Unterstützung streichen, wenn sie ein Arbeitsangebot ablehnen. Der stellvertretende Fraktions-Chef Horst Seehofer (CSU) hat noch für diesen Monat einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt, der in die gleiche Richtung zielt, wie die Vorschläge von Koch und Scharping:

    Die richtige Antwort kann nur sein: Wenn jemand angebotene Arbeit ablehnt, dass er dann den Anspruch auf Solidarität, auf öffentliche Unterstützung verliert. Das ist das qualitativ Neue. Und zwar per Gesetz, nicht durch einen Verwaltungsakt der Behörden, der nach Ermessens- und Einzelfallabwägung stattfindet.

    Zustimmung zur Gesetzesinitiative der CDU/CSU signalisiert der Bundesverband der Deutschen Industrie. Präsident Michael Rogowski:

    Ich bin tatsächlich der Meinung, dass, wenn angebotene Tätigkeiten nicht angenommen werden, dass dann die Kürzungsmechanismen viel stärker greifen müssen, und dass am Schluss, wenn jemand wirklich sich weigert, angebotene Arbeit anzunehmen, er auch nur wirklich nur noch das erhält, was zum Lebensminimum notwendig ist.

    Auch die Liberalen wollen das Arbeitslosengeld, die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe neu "justieren". FDP- Fraktionschef Wolfgang Gerhard:

    Das jemand auch Druck verspürt, in den Arbeitsmarkt- und in ein Beschäftigungssystem hineinzugehen. Aus der Koalition redet ja jeder darüber - bis zu Herrn Scharping -, aber die Bundesregierung ist nicht in der Lage zu entscheiden. Wir haben einen völlig verkrusteten Arbeitsmarkt.

    Den "verkrusteten Arbeitsmarkt" kritisieren auch viele Koalitions-Politiker, und manche liebäugeln auch mit den Vorschlägen von Koch und Scharping. Aber wenn es nach den Sozial- und Arbeitsmarktpolitikern der Koalition geht, dann wird die Bundesregierung diese Hau-Ruck-Vorschläge nicht aufgreifen. Ottmar Schreiner und Thea Dückert jedenfalls sind sich einig:

    Schreiner: Nein, das ist überhaupt kein geeigneter Weg, zumal seit Längerem die Möglichkeit besteht, für den Fall, dass zumutbare Arbeit abgelehnt wird, die Leistungen zu kürzen. Unser Problem sind nicht faule Sozialhilfeempfänger. Das Kernproblem sind fehlende Arbeitsplätze.

    Dückert: Erstens Mal ist das der völlig falsche Weg. Was wir brauchen, sind Anreize für die Arbeitslosen, Hilfestellungen für die Arbeitslosen, nicht einfach Sanktionen, die über das, was heute schon im Gesetz möglich ist, hinausgehen. Sanktionen schaffen keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz.

    Die Grünen zählen auf zusätzliche Jobs durch die Schaffung eines Kombi-Lohnes. Sie fordern, dass Sozialhilfeempfänger, die einen Job annehmen, die Hälfte ihres Zuverdienstes behalten dürfen. Zudem soll der Staat Erwerbslosen, die im Niedriglohnbereich eine Arbeit finden, einen Zuschuss zu den Sozialabgaben zahlen. Thea Dückert glaubt,...

    ... dass es hilfreich wäre, dass ein befristetes Kombi-Lohn-Modell hier umgesetzt wird oder ein sogenanntes Einstiegsgeld für Arbeitslose, um hier besser einen Einstieg zu finden in den ersten Arbeitsmarkt. Ich denke, dass wir neben dem Job-Aktiv-Gesetz jetzt in dieser Situation durchaus noch über solche Modelle reden müssen und sie möglichst auch noch auf den Weg bringen sollten.

    Vielleicht gelingt dies ja im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens für das Job-Aktiv-Gesetz. SPD-Fraktionschef Peter Struck jedenfalls hat den Grünen zugesichert, ihre Vorschläge "intensiv" zu prüfen. Auch BDI-Präsident Michael Rogowski unterstützt das Vorhaben. Er fordert eine staatliche Subventionierung des Niedriglohnsektors und ist davon überzeugt, dass ein Kombilohn-Modell zu wesentlichen Reduzierungen der Arbeitslosigkeit führen kann:

    Wir haben in Deutschland ungefähr 1,5 Millionen unbesetzte Stellen. Davon sind sehr viele Einfachtätigkeiten, die nicht besetzt werden können, weil einfach die Arbeitslosen sagen: Das ist mir nicht attraktiv genug, zu den Bedingungen in Arbeit zu gehen. Und dann würde ein solches Kombilohnmodell sicherlich helfen.

    Hilfen für den Arbeitsmarkt erhofft sich die Bundesregierung auch von der beabsichtigten Verdoppelung der gesetzlichen Frist für die Leiharbeit von Langzeitarbeitslosen auf zwei Jahre. Ein weiterer Vorschlag, der die Beschäftigungs-Situation verbessern soll, kommt von Arbeitsminister Walter Riester. Er will - allerdings erst in der nächsten Legislaturperiode - einen Gesetzentwurf einbringen, um die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen. Dazu die grüne Thea Dückert:

    Ich unterstütze diesen Vorschlag mit dem Ziel, eine Grundsicherung für heutige Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosenhilfeempfänger einzuführen. Also das finde ich schon vernünftig. Ich finde es auch völlig unsinnig, dass auf kommunaler Ebene da mehrere Institutionen sich im Wege stehen. Da brauchen wir eine Beratung und auch eine Transferberechnung und Leistung aus einer Hand.

    Auch der SPD-Politiker Ottmar Schreiner hält eine bessere Verzahnung von Sozial- und Arbeitsämtern für dringend erforderlich. Doch vor einer Fusion müssten noch einige problematische Fragestellungen geklärt werden. Schreiner:

    Ich hätte nichts dagegen, wenn klar gestellt wird, dass es zu keinen weiteren Leistungskürzungen kommt, denn in beiden Bereichen - sowohl bei der Sozialhilfe wie bei der Arbeitslosenhilfe - sind die Leistungsstandards so minimal, dass sie nicht weiter unterschritten werden können. Im übrigen wird man über eine Reihe von Fragen reden müssen. Beispielsweise wird ja die Sozialhilfe von den Kommunen finanziert, die Arbeitslosenhilfe aus dem Bundeshauhalt. Da wird es schwierige Finanzgespräche geben.

    Der Deutsche Städtetag befürchtet neue Belastungen für die Kommunen. Für Hauptgeschäftsführer Stefan Articus ist der Gedanke an eine Fusion von Arbeits- und Sozialamt ein "Alptraum". Er glaubt: Die Kommunen können diese Aufgabe nicht schultern, sind schlicht überfordert. Allerdings - und da ist sich der Städtetag einig mit den Politikern aller Parteien: Die verkrusteten Strukturen bei der Arbeitsförderung müssen möglichst schnell aufgebrochen werden.

    Ein weiteres Problem für den Arbeitsmarkt ist das Versprechen der Bundesregierung, die Lohnnebenkosten zu senken. Gut 93 Milliarden Mark wird in diesem Jahr je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in die Arbeitslosenversicherung bezahlt. Das ist zu viel, meint auch die Bundesregierung. Bei ihrem Amtsantritt hatte sie angekündigt, diesen Beitragssatz von heute 6,5 Prozent um einen Prozentpunkt oder jährlich 14 Milliarden Mark zu reduzieren. Doch davon ist keine Rede mehr. Kein Spielraum vorhanden, lautet die Absage von der Regierungsbank. Bei derzeit 3,8 Millionen Arbeitslosen und schlechten Wirtschaftsaussichten sei die Entlastung zur Zeit nicht realisierbar. Das sieht SPD-Sozialexperte Ottmar Schreiner genauso:

    Wenn die Konjunktur weiter vor sich hindümpelt, dann wird natürlich das Ergebnis steigende Arbeitslosigkeit sein, sofern nicht andere, nochmals flankierende Maßnahmen ergriffen werden. Aber für diesen Fall ist an eine Absenkung der Versicherungsbeiträge nicht mehr zu denken.

    Andere Experten bestreiten das. Etwa Christoph Kannengießer. Er sitzt als Arbeitgeber-Vertreter im Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit. Kannengießer sieht für die nächsten zwei Jahre bei der BfA ein Sparpotential von über 21 Milliarden Mark.

    Auch die Grünen haben noch genügend Gestaltungsmöglichkeiten ausgemacht zur Senkung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung. Ihre Sozial- und Arbeitsmarktexpertin Thea Dückert:

    Ich glaube, dass die Spielräume vorhanden sind, im nächsten Jahr die Arbeitslosenversicherung zu senken, selbst dann, wenn die Arbeitsmarktentwicklung so angespannt bleibt wie sie jetzt ist.

    Sie rechnet mit Einsparungen durch eine in Zukunft geringere durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit. Außerdem werde die Bundesanstalt mehr Einnahmen durch die zu erwartenden Tariferhöhungen in 2002 erhalten. Und zu guter Letzt würde ein Rückgang der Arbeitslosigkeit die Finanzsituation der Bundesanstalt für Arbeit weiter verbessern. Wenn diese Verbesserungen allerdings nicht eintreten, dann wird es für die Bundesregierung schwer werden, ihre Versprechen einzuhalten. Das gilt für die Senkung der Lohnnebenkosten genauso wie für den Abbau der Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen bis zum Herbst nächsten Jahres.

    Link: (Arbeitslose betreten das Berliner Arbeitsamt (AP Photo/Jan Bauer)==>/ramgen/hintergrund/.ram)