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Schleswig-Holstein
Umbenennung der Marseille-Kaserne in der Bevölkerung umstritten

In Deutschland werden derzeit die Namen von Bundeswehr-Standorten auf deren Verbindung zur NS-Zeit geprüft. Die Marseille-Kaserne in Appen bei Hamburg wurde 1975 nach einem Kampfpiloten benannt, den Adolf Hitler persönlich ehrte. Für viele Anwohner ist das aber kein Grund, die Kaserne umzubenennen.

Von Johannes Kulms | 23.05.2017
    Asphaltierte Einfahrt zu einer Kaserne der Bundeswehr. Auf der rechten Seite steht eine große Tafel. Darauf prangt der Name des Standorts: "Marseille-Kaserne".
    Die Bundeswehr-Standort in Appen erhielt 1975 seinen jetzigen Namen. (Johannes Kulms / Deutschlandradio)
    Es geht beschaulich zu in Appen, einer 4.800-Einwohner-Gemeinde, eine halbe Autostunde nordwestlich von Hamburg. An der Hauptstraße steht ein Schild: "Letzte Tankstelle vor der Kaserne" steht dort geschrieben. Gemeint ist die Marseille-Kaserne.
    Die beiden jungen Mitarbeiterinnen hinter dem Tresen wollen zu der Diskussion über den Namensgeber des Bundeswehr-Standortes nichts sagen. Nur soviel: Sie bekommen davon nicht viel mit. Anders Tankstellen-Kunde Dietmar Thieß. Der 58-jährige Gärtner wünscht sich, dass der Name Marseille-Kaserne bleibt:
    "Ja, welchen Namen soll man denn nehmen?"
    "Es wurde angeblich vorgeschlagen: Europa-Kaserne."
    "Das ist Tüdelkram. Weil der andere, nach dem das benannt worden ist, ist im Ersten Weltkrieg ein Held gewesen."
    "Zweiter Weltkrieg."
    "Zweiter Weltkrieg? Das war ja nicht so schön."
    Zahlreiche Auszeichnungen als Soldat – eine von Adolf Hitler persönlich
    Hans-Joachim Marseille war Kampfpilot im Zweiten Weltkrieg. Aus damaliger militärischer Sicht ein sehr erfolgreicher: Weil Marseille viele Flugzeuge abschoss, erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, eine davon von Adolf Hitler höchstpersönlich. Die NS-Propaganda nannte Marseille den "Stern von Afrika". Marseille wurde 1942 getötet.
    1975 erhielt die Appener Kaserne den Namen des Kampfpiloten. Hier befindet sich die Unteroffizierschule der Luftwaffe. 5.800 Lehrgangsteilnehmer durchlaufen jedes Jahr die allgemeinmilitärische Ausbildung und passieren das von Rhododendronbüschen umrahmte Kasernen-Tor.
    Ein Interview mit dem Kommandeur der Unteroffiziersschule zum Namensgeber der Kaserne ist derzeit nicht möglich – Entscheidung aus dem Bundesverteidigungsministerium in Berlin. Was aber zu vernehmen ist: Das Thema wird hinter den Kasernenmauern durchaus diskutiert. Und es scheint sehr wahrscheinlich, dass die Marseille-Kaserne bald einen anderen Namen erhalten wird und damit auch dem Wunsch der Bundesverteidigungsministerin nachkommt.
    Mitte Mai hatte Ursula von der Leyen in einem Zeitungsinterview gesagt: Die Bundeswehr müsse "nach innen und außen klar signalisieren, dass sie nicht in der Tradition der Wehrmacht steht."
    In den 70ern stellte die Kaserne eine Uniform von Hermann Göring aus
    "Viel eher gab’s hier mal Probleme in den 70er-Jahren, als hier noch ein privat geführtes Luftwaffenmuseum auf dem Kasernengelände war. Da war zum Beispiel die Uniform von Hermann Göring ausgestellt und solche Dinge, die dann auch Interessierte anlockten, die nicht unbedingt eine demokratische Gesinnung hatten."
    Ein Mann in einem hellen Hemd, dunklen Jeans und Brille steht vor einem Backsteinhaus. Der Mann heißt Walter Lorenzen, er ist stellvertretender Bürgermeister des Ortes Appen bei Hamburg.
    Appens Vize-Bürgermeister Walter Lorenzen. Einer Umbenennung der Kaserne steht er offen gegenüber, will aber auf die Stimmung im Ort hören. (Johannes Kulms / Deutschlandradio)
    Walter Lorenzen ist der stellvertretende Bürgermeister von Appen. In den 1970er-Jahren hat er vor dem Kasernentor gegen das Museum demonstriert. Heute betont der SPD-Politiker: Die Gemeinde ist eng verzahnt mit der Bundeswehr, viele aktive und frühere Soldaten wohnen in Appen. Für die Bäcker, Handwerker und Fleischer im Ort bedeutet die Kaserne vor allem eines: Kundschaft. An den Namen Marseille-Kaserne habe man sich nun mal gewöhnt.
    "Sollte sich herausstellen in der Diskussion, dass mit dem Namen Marseille tatsächlich noch schlimmere Sachen verbunden sind, dann muss man eben auch die Entscheidung treffen. Und da vertraue ich eben auch, dass Politik und Parlament konsequent sind. Ich möchte nur nicht, dass hier mit dem Rasenmäher jetzt durchgegangen wird und alle Namen, die irgendeinen Bezug zum Dritten Reich haben oder die damals Soldaten waren, dass man sagt: 'Das darf nicht mehr sein!'"
    Lorenzen selber sagt, er persönlich habe da vielleicht eine etwas andere Meinung. Doch als stellvertretender Bürgermeister von Appen will er auf die Bevölkerung vor Ort hören. Und die gibt sich erstaunlich passiv:
    "Es ist so, dass von den Bürgerinnen und Bürgern kaum einer bisher den Bezug Marseille zu einem Kampfflieger gemacht hat, der im Zweiten Weltkrieg viele Flugzeuge abgeschossen hat."
    "Das waren Menschen, die ihr Bestes gegeben haben"
    Volker Behlke kennt die Geschichte vom Kampfpiloten Hans-Joachim Marseille – und ist gegen eine Umbenennung der Kaserne:
    "Damals jedenfalls, das waren Menschen, die in den Krieg geschickt wurden und ihr Bestes gegeben haben. Und dann bin ich der Meinung, dass man jetzt diese Leute ehren sollte und diese Ehrung kam eben durch die Namensgebung der Kaserne."
    Marseille habe damals keine andere Wahl gehabt, glaubt Behlke rückblickend. Der 72-Jährige frühere Banker hat selber zwei Jahre bei der Bundeswehr gedient. Als stellvertretender Vorsitzender des TuS Appen kennt er die Truppe, im Winter nutzt der Verein die Sportstätten in der Bundeswehrkaserne.
    Neben Behlke steht Alexander Vasel, der Wirt des Vereinslokals des TuS Appen. Der 28-Jährige wurde bei seiner damaligen Musterung für tauglich befunden, aber nicht eingezogen für den Wehrdienst. Von den Diskussionen über eine Umbenennung der Marseille-Kaserne hält auch Vasel wenig:
    "Also, im Groben ist mir das sogar egal. Aber ich finde trotzdem, dass die Politiker andere Sachen zu tun haben, dabei bleibe ich. Und warum jetzt die Kaserne umbenennen? Also, in meinen Augen ist das irgendwie Langeweile vertreiben oder ich habe keine Ahnung. Aber es macht einfach keinen Sinn für mich."