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Schleswig-Holstein will glückliche Schweine

In vielen Schweineställen in Deutschland ist es ziemlich eng. Die Landwirtschaftskammer in Schleswig-Holstein hat nun eine neue Modellanlage für eine verhaltensgerechtere Schweinehaltung vorgestellt. Doch Tierschützer stehen den neuen Maßnahmen eher skeptisch gegenüber.

Von Dietrich Mohaupt | 02.02.2012
    Von Schweinen – keine Spur. Noch glänzt und funkelt alles, die Luft riecht so gar nicht nach Stall, eher nach frischer Farbe. Neugierig schauen sich die Besucher in den insgesamt zwölf sogenannten Mastabteilen um, in denen künftig Schweine in Gruppen zwischen zehn und 200 Tieren gehalten werden sollen. In einem der Abteile fällt sofort auf: Der sonst übliche kahle Betonboden mit schmalen Spalten für die Entsorgung der tierischen Hinterlassenschaften ist an einigen Stellen mit dicken Gummimatten beziehungsweise mit einer geschlossenen Betonschicht bedeckt – Schweine teilen sich ihren Lebensraum ganz genau ein, erläutert der Leiter der Lehr- und Versuchsanstalt, Eckhard Boll:

    "Wir legen großen Wert auf Unterteilung von Funktionsbereichen und diese Bereiche sollen die Liegeflächen für die Tiere sein – nicht die Aktivitäts- und Kotecken, sondern da wo die Tier sich dann auch hinlegen und das eben auf einer geschlossenen Fläche und nicht auf einem geschlitzten Boden."

    Schweine fühlen sich eben wohler, wenn sie nicht in ihrem eigenen Kot liegen müssen – eigentlich also ein sinnvoller Ansatz in Richtung tierschutzgerechte Haltung, aber eben nur ein Ansatz, kritisiert Tierschützerin Sabine Ohm vom Verein ProVieh. So richtig funktioniert das nicht, meint sie, wenn Schweine nicht genügend Auslauf in ihrem Stall haben – das haben Erfahrungen in den Niederlanden gezeigt.

    "Dort wurde schon mit Gummimatten oder mit Betonteilen der Ställe gearbeitet und es wurden sehr schlechte Erfahrungen damit gemacht in vielen Fällen, weil letztendlich die Schweine sich zu stark einkoten, weil sie auf die vorgesehenen Liegeflächen koten – und das sehen wir ein bisschen problematisch."

    Es ist einfach nicht genug Platz für die Tiere, bemängelt die Tierschützerin. Da hilft es ihrer Meinung nach auch nicht, dass den Schweinen einiges an Spielzeug oder Beschäftigungsmaterial angeboten wird – zum Beispiel Strohpellets. Die stecken in einer langen Metallröhre mit einer Öffnung am unteren Ende, an der die Schweine gerne herumknabbern, erklärt der Tierzuchtexperte der Kammer, Werner Lüpping.

    "Beschäftigungsmaterial muss ja von den Schweinen verformbar sein, es muss ernährungsphysiologisch unbedenklich sein – die Schweine fressen das ja auch zum Teil. Nach den Erfahrungen, die wir bisher haben, nehmen die Schweine das auch gerne hier auf, weil es gepresst ist, kauen sie auch länger darauf rum ... "

    ... und doch sieht Sabine Ohm in diesen Pellets keinen echten Ersatz für eine vernünftige Einstreu mit Stroh, Torf oder anderem organischen Material. Die Schweine brauchen das, sagt sie, sonst fangen sie häufig an, sich aus Langeweile gegenseitig die Schwänze anzuknabbern. Das gibt ganz schnelle böse Entzündungen – und um die zu verhindern, werden fast allen Ferkeln aus konventioneller Zucht gleich nach der Geburt die Schwänze kupiert. Eine Tierquälerei, die sich durch Stroheinstreu ganz einfach vermeiden ließe, meint Sabine Ohm. Die Schweine könnten dann ihren angeborenen Wühltrieb ausleben.

    "Das ist weniger Spieltrieb, sondern das ist wirklich Nahrungssuche. Und das ist ein ganz tief verankerter Instinkt, den man auch nicht durch diese Hochleistungszucht rausgezüchtet hat. Wenn man versuche macht und Schweine der heutigen Rassen ins Freiland setzt, dann tun sie wieder genau das, was auch Wildschweine tun – nämlich 80 Prozent der Zeit nach Nahrung suchen. Und das wir hier leider in dieser Form nicht gewährleistet sein und deshalb wird man auch hier nicht auf das Schwänze kupieren verzichten können, nehme ich an."

    Können wir doch – wir wollen es jedenfalls versuchen, betont Eckhard Boll. Das gehöre genauso zu dem Versuch der Kammer, mit dem neuen Schweinemaststall auch neue Wege beim Tierschutz zu gehen, wie der Verzicht auf die umstrittene Kastration der männlichen Ferkel.

    "Wir haben die ersten Ferkel, die auch dann für den Stall hier vorgesehen sind, nicht kastriert, deren Schwänze sind nicht eingekürzt worden. Wir sind gespannt auf die ersten Ergebnisse und wir werden sehen, ob das funktioniert oder nicht."

    In etwa 14 Tagen werden die ersten Schweine in den neuen Maststall kommen – und dann muss sich tatsächlich zeigen, welche von den Maßnahmen für eine verhaltensgerechtere Schweinehaltung sich bewähren, und vielleicht auch ihren Weg aus dem Stall der Lehr- und Versuchsanstalt in die Schweineställe der Mäster finden. Sabine Ohm vom Verein ProVieh ist da eher skeptisch – vieles ist nur ein erster Schritt, nicht konsequent zu Ende gedacht. Sie will sich auf jeden Fall in ein paar Monaten noch einmal ein Bild von der Lage in dem neuen Musterstall der schleswig-holsteinischen Landwirtschaftskammer machen.