Reden wir also ausschließlich vom Ich-Erzähler. Der ist von seiner Frau verlassen worden und braucht gut 200 Seiten, um darüber hinweg zu kommen, mit den üblichen Phasen von Wut - er verbrennt die gemeinsame Matratze, zertrümmert das Ehebett -, Desorientierung - "Wie soll ich je wieder Fuß fassen in der Zeit, im Leben?" -, dem "jämmerlichen Pathos des Verlassenen" und verfrühter Gelassenheit.
Am Ende ist er gleichwohl gesundet und bereit für Neues: Das verdankt er Niamh, einer alten Irin, die ihm ihre Lebensgeschichte erzählt und die er in ihren letzten Lebenswochen betreut - sie hat Krebs im Endstadium. Auch die irische Landschaft steuert das ihre zur Gesundung bei; der Erzähler - er nennt sich selbst Sean, weil sein Schweizer Vorname zu kompliziert auszusprechen ist - durchstreift sie als Läufer, Autofahrer und Wanderer und begreift, angesichts der großen und mächtigen Natur: "Es gibt Wichtigeres als dich." Er findet also aus seiner narzisstischen Verletztheit heraus zu einer Einstellung, die das Gegebene annimmt - und dass ein neues Lebensglück nicht lang auf sich warten lässt, wird auf den letzten Seiten angedeutet.
Entscheidender Katalysator dieser Bewältigungsbewegung ist aber Niamhs Geschichte. Sie führt in die Zeit, da Irland noch das Armenhaus Europas war. Eine vielköpfige Familie, allerlei Unglücksfälle, Ausbildung zum Dienstmädchen, Arbeit in der Fabrik in London - wo die Iren ausgebeutet und angefeindet werden und Gaststätten noch Schilder mit der Aufschrift "no dogs, no cats, no irish, no blacks" trugen -, die lebenslange Freundschaft mit der Deutschen Nella und ihrer Familie. Und eine große Liebe, der Sohn eines Dienstherrn, der sie aber bald, schwanger, sitzenlässt. Das Kind gibt sie zur Adoption frei und bleibt fortan allein. Ein verpfuschtes Leben? Keineswegs, lautet Niamhs Fazit doch: "Ich habe mir nie ein anderes Leben gewünscht oder vorgestellt. Sich ein anderes Leben zu wünschen bedeutet doch, dass man ein anderer Mensch sein möchte. Dass man lieber andere Erfahrungen gemacht hätte . Und das ist doch eine unerträgliche Vorstellung, nicht? Bin ich zufrieden mit dem Leben, das ich hatte? Ja, das bin ich."
Wer nach dem bisher Erzählten den Eindruck hat, es mit einem Lebenskrisenbewältigungsroman zu tun zu haben, liegt nicht ganz falsch. Für den Roman spricht allerdings die gelungene Konstruktion und der Sicherheitsabstand zur - bei Thema und Schauplatz drohenden - Trivialität. Die Weisheit Niamhs, auch wenn sie sich manchmal in arg hausbackenen Sprüchen äußert, wirkt nicht aufgesetzt, sie sickert langsam in den Erzähler ein. Auch ist die Geschichte fein gebaut, weiß der Autor die Entwicklung geschickt mit symbolischen Aktionen zu begleiten; Sean lässt den Papagei frei, der ihm von seiner Frau geblieben war; ein in seine Windschutzscheibe geflogener Vogel scheint nur tot, erhebt sich dann aber doch wieder in die Lüfte; ein an den Strand gespülter, toter Wal wird ins Meer hinausgeschleppt - alles Bilder von Abschied und Ablösung.
Dennoch wirkt der Roman unfrei und farblich etwas blass. Das liegt zweifellos an der Schlichtheit, die sich Schertenleib auferlegt hat, um den Lebensbericht Niamhs glaubwürdig wiederzugeben. Dieses Bemühen um Authentizität ist nicht unangenehm, führt aber zu vielen Sätzen, die man nur mit Zähneknirschen liest: "Unser Wochenende war einmalig"; "Sein Tod brach Mutter das Herz". Die Sprache ist nicht gesucht, sondern genau das Gegenteil davon, das heißt, sie findet immer das nächstliegende Wort - eine Krankenschwester ist also "resolut", was auch sonst. Bei diesem "sonst" würde es aber erst richtig interessant.
Hansjörg Schertenleib: Das Regenorchester. Roman.
Aufbau, Berlin 2008. 230 S., 19,95 Euro.
Am Ende ist er gleichwohl gesundet und bereit für Neues: Das verdankt er Niamh, einer alten Irin, die ihm ihre Lebensgeschichte erzählt und die er in ihren letzten Lebenswochen betreut - sie hat Krebs im Endstadium. Auch die irische Landschaft steuert das ihre zur Gesundung bei; der Erzähler - er nennt sich selbst Sean, weil sein Schweizer Vorname zu kompliziert auszusprechen ist - durchstreift sie als Läufer, Autofahrer und Wanderer und begreift, angesichts der großen und mächtigen Natur: "Es gibt Wichtigeres als dich." Er findet also aus seiner narzisstischen Verletztheit heraus zu einer Einstellung, die das Gegebene annimmt - und dass ein neues Lebensglück nicht lang auf sich warten lässt, wird auf den letzten Seiten angedeutet.
Entscheidender Katalysator dieser Bewältigungsbewegung ist aber Niamhs Geschichte. Sie führt in die Zeit, da Irland noch das Armenhaus Europas war. Eine vielköpfige Familie, allerlei Unglücksfälle, Ausbildung zum Dienstmädchen, Arbeit in der Fabrik in London - wo die Iren ausgebeutet und angefeindet werden und Gaststätten noch Schilder mit der Aufschrift "no dogs, no cats, no irish, no blacks" trugen -, die lebenslange Freundschaft mit der Deutschen Nella und ihrer Familie. Und eine große Liebe, der Sohn eines Dienstherrn, der sie aber bald, schwanger, sitzenlässt. Das Kind gibt sie zur Adoption frei und bleibt fortan allein. Ein verpfuschtes Leben? Keineswegs, lautet Niamhs Fazit doch: "Ich habe mir nie ein anderes Leben gewünscht oder vorgestellt. Sich ein anderes Leben zu wünschen bedeutet doch, dass man ein anderer Mensch sein möchte. Dass man lieber andere Erfahrungen gemacht hätte . Und das ist doch eine unerträgliche Vorstellung, nicht? Bin ich zufrieden mit dem Leben, das ich hatte? Ja, das bin ich."
Wer nach dem bisher Erzählten den Eindruck hat, es mit einem Lebenskrisenbewältigungsroman zu tun zu haben, liegt nicht ganz falsch. Für den Roman spricht allerdings die gelungene Konstruktion und der Sicherheitsabstand zur - bei Thema und Schauplatz drohenden - Trivialität. Die Weisheit Niamhs, auch wenn sie sich manchmal in arg hausbackenen Sprüchen äußert, wirkt nicht aufgesetzt, sie sickert langsam in den Erzähler ein. Auch ist die Geschichte fein gebaut, weiß der Autor die Entwicklung geschickt mit symbolischen Aktionen zu begleiten; Sean lässt den Papagei frei, der ihm von seiner Frau geblieben war; ein in seine Windschutzscheibe geflogener Vogel scheint nur tot, erhebt sich dann aber doch wieder in die Lüfte; ein an den Strand gespülter, toter Wal wird ins Meer hinausgeschleppt - alles Bilder von Abschied und Ablösung.
Dennoch wirkt der Roman unfrei und farblich etwas blass. Das liegt zweifellos an der Schlichtheit, die sich Schertenleib auferlegt hat, um den Lebensbericht Niamhs glaubwürdig wiederzugeben. Dieses Bemühen um Authentizität ist nicht unangenehm, führt aber zu vielen Sätzen, die man nur mit Zähneknirschen liest: "Unser Wochenende war einmalig"; "Sein Tod brach Mutter das Herz". Die Sprache ist nicht gesucht, sondern genau das Gegenteil davon, das heißt, sie findet immer das nächstliegende Wort - eine Krankenschwester ist also "resolut", was auch sonst. Bei diesem "sonst" würde es aber erst richtig interessant.
Hansjörg Schertenleib: Das Regenorchester. Roman.
Aufbau, Berlin 2008. 230 S., 19,95 Euro.