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"Schlüsselkompetenzen wieder in den Vordergrund stellen"

Die Bildungsdirektorin der OECD, Barbara Ischinger, möchte die Schlüsselkompetenzen von Erwachsenen beim Arbeiten mit Texten mehr in den Vordergrund zu stellen. Die Förderung von Menschen mit bislang wenig Qualifikationen sei eine weitere große Herausforderung.

Barbara Ischinger im Gespräch mit Manfred Götzke | 08.10.2013
    Manfred Götzke: Wie alltagstauglich sind Erwachsene aus Deutschland im internationalen Vergleich, wie gut kommen sie so klar mit ihren Kompetenzen, ihrem Wissen im Alltag? Das wollte die OECD in ihrer PIAAC-Studie herausfinden, quasi der ersten PISA-Studie für Erwachsene. Durchgeführt hat die Studie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die OECD. Ihre Bildungsdirektorin heißt Barbara Ischinger und ist jetzt am Telefon. Guten Tag, Frau Ischinger!

    Barbara Ischinger: Ja, schönen guten Tag!

    Götzke: Frau Ischinger, wir haben es gehört, die Ergebnisse der Studie, die sind zum Teil ja erschreckend: Jeder sechste Erwachsene in Deutschland liest wie ein Zehnjähriger. Wie ist das zu erklären?

    Ischinger: Ja, das ist in der Tat eine Herausforderung. Und hier wurde ja auch schon heute Morgen heftig drüber diskutiert, wie man das Problem angehen kann. Es wird wichtig sein, dass man gerade diese Gruppe ganz besonders anspricht und fördert und hier mit den besten zur Verfügung stehenden Maßnahmen auch wirklich eingreift.

    Götzke: Was müsste da geschehen.

    Ischinger: Hier müssen Weiterbildungsprogramme angeboten werden, die sich eben auch mit diesen Schlüsselkompetenzen befassen. Sehr oft ist man eingestiegen, nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern, mit weiteren berufsqualifizierenden Maßnahmen, aber das ist es nicht allein, was das Problem ist. Man muss den Menschen jetzt wieder beibringen, dass sie besser mit Texten umgehen können, dass sie besser Texte interpretieren können, bearbeiten können und auch ein mathematisches Verständnis. Diese Schlüsselkompetenzen müssen wieder in den Vordergrund gestellt werden, auch bei Weiterbildung und Fortbildung.

    Götzke: Das heißt, wenn Unternehmen Weiterbildungen anbieten, dann sollte es nicht um bestimmte berufsspezifische Computerprogramme gehen, sondern eher ums Lesenlernen.

    Ischinger: Eine Kombination. Und man hat bei den berufsspezifischen Weiterbildungen die Lesekompetenzen und mathematischen Fähigkeiten, das hat man nicht immer berücksichtigt. Und hier unterstreichen wir, wie wichtig diese Kompetenzen sind, und dass es keinen Berufserfolg geben kann, wenn hier nicht nachgeholfen wird.

    Götzke: Wer trägt denn aus Ihrer Sicht vor allem die Verantwortung für dieses, ja, Bildungsdesaster muss man eigentlich sagen – die Schulen, weil sie ihren Schülern den Spaß am Lernen ausgetrieben haben, oder eher die Unternehmen, die ihren Mitarbeitern zu selten ermöglichen, sich weiterzubilden?

    Ischinger: Nun ist die jüngere Generation ja viel besser dran, und wir haben gesehen, dass die Reformmaßnahmen an den Schulen in Deutschland auch wirklich Verbesserungen erbracht haben. Und man muss aber sowohl der jüngeren Generation weiterhelfen als auch bei den Älteren kräftig einsteigen, und das muss ein Verbund von Maßnahmen sein. Hier ist der Staat gefordert, aber auch die Arbeitgeber und auch die Gewerkschaften und die sozialen Partner.

    Götzke: Das heißt, wenn man in zehn, fünfzehn Jahren die Studie noch mal macht, dann würden die Ergebnisse besser ausfallen, weil die Schulen jetzt auch was dazugelernt haben?

    Ischinger: Ja, und auch bei den Weiterbildungs- und Fortbildungsprogrammen ist es so in Deutschland, dass für die Hochqualifizierten ein großes Maß an Weiterbildungen angeboten wird. Und die werden auch genutzt. Da sticht Deutschland richtig heraus und ist ein Beispiel für andere Länder. Was aber nicht geschieht, ist, dass die mit wenigen Qualifikationen, dass die auch gefördert werden. Und das ist jetzt eine ganz große Herausforderung.

    Götzke: Frau Ischinger, schauen wir uns noch ein paar interessante Einzelergebnisse an. Die USA, Italien, Spanien haben eine hohe Akademikerquote bei den bis 34-Jährigen, dennoch sind deren Ergebnisse unterdurchschnittlich ausgefallen. Schauen wir uns dagegen die niederländischen Abiturienten an, die schneiden überdurchschnittlich gut ab. Kann man also sagen, ein holländisches oder japanisches Abitur ist mehr wert als ein US-Studium?

    Ischinger: Das wird man nicht so über einen Kamm scheren können, aber wir werden ja auch anbieten ein Programm, ein Projekt, das die Lernergebnisse an Universitäten testen könnte, wenn die Mitgliedsländer das befürworten, dann würden wir hier sehr viel qualifizierbare Ergebnisse vorlegen können. Es ist aber in der Tat erschreckend, dass gerade in Italien und Spanien, wo eine so große Jugendarbeitslosigkeit herrscht, hier die jungen Menschen viele Jahre in Bildung investiert haben und nun auch noch die Quittung bekommen, dass sie dort nicht das gelernt haben, was sie lernen sollten. Das ist schwierig.

    Götzke: Vor allem, da es ja um ganz grundlegende Kompetenzen geht. Wir haben ja jetzt nicht - Sie haben ja keine Fachqualifikation abgefragt.

    Ischinger: Richtig. Die Tests sind teilweise vergleichbar mit dem PISA-Test und stellen nicht die allerhöchsten Erwartungen. Beim Problemlösen und den höher auf der Skala, nämlich Stufe drei, Problemlösen, da wird schon mehr der Einzelne gefordert. In den USA, Sie sprachen eben von den Beispielen USA, und ich will da auch noch Großbritannien hinzufügen, was dort erschreckender ist, ist, dass es keine Entwicklung gegeben hat zwischen den Generationen. Das heißt, die sind auf einem Kompetenzstand stehen geblieben, während Korea, Finnland an diesen Ländern vorbeigezogen ist. Auch Deutschland steht da besser da in dem Fortschreiten der Generationen als in Amerika. Wenn Sie das in Zahlen erfahren wollen, in Deutschland ist einer von zehn Erwachsenen in dem Kompetenzbereich Stufe fünf, die höchste, in Amerika ist es nur einer von 20. Demgegenüber in Japan aber einer von fünf.

    Götzke: Schlechter geht's immer. Barbara Ischinger war das, die Bildungsdirektorin der OECD. Ihre Organisation hat heute die Ergebnisse der ersten Erwachsenen-PISA-Studie vorgestellt, bei der Deutschland nur mittelmäßig abschneidet. Danke schön!

    Ischinger: Danke!


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