Mittwoch, 08. Mai 2024

Archiv


Schluss mit dem Ladenschluss?

Wer kennt das nicht? Die Milch ist aus, die Eier für den Kuchen fehlen, der Kasten Bier ist leer. Aber die Geschäfte haben schon alle geschlossen. Also schnell zur nächsten Tankstelle oder zum Bahnhof – dort bekommt man, was man braucht.

Von Annamaria Sigrist | 08.06.2004
    Genau das ist dem Kaufhof-Konzern ein Dorn im Auge. Wegen des bestehenden Ladenschlussgesetzes sieht er einen Wettbewerbsnachteil: Wieso dürfen Tankstellen, Geschäfte an Bahnhöfen und Flughäfen jenseits der gesetzlich festgelegten Öffnungszeiten verkaufen, andere Geschäfte aber nicht? Kaufhof will das bestehende Ladenschlussgesetz kippen und hat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klage eingereicht. Die Entscheidung fällt morgen. Der Konzern will, dass die Ladenöffnungszeiten freigegeben werden – auch an Sonntagen. Kaufhof-Vorstandsvorsitzender Lovro Mandac argumentiert, bereits heute würden viele Deutsche ins benachbarte Ausland reisen, um da den Sonntagsverkauf zu nutzen. Kaufhof ist der Meinung, auch in Deutschland sollen die Menschen die Möglichkeit haben, am Sonntag ohne Einkaufsstress mit der ganzen Familie einen Einkaufsbummel zu machen.

    Bei den Kunden können die Meinungen dazu nicht unterschiedlicher sein.

    Ich finde das sollte liberalisiert werden. Überall im Ausland kann man länger einkaufen als bei uns, und an Wochenenden – das ist schon sehr angenehm.

    Länger aufhaben, auf jeden Fall. Weil ich komme erst um 7 Uhr nach Hause und dann haben die meisten Lebensmittelgeschäfte schon ZU. Von mir aus könnten sie ruhig länger aufhaben – so bis 10:00 Uhr.

    Für mich haben die Läden lang genug auf. Und wer es von morgens 8:00 bis 20:00 Uhr nicht schafft einzukaufen, der ist selber schuld.

    Auf keinen Fall länger. Ich bin selbst Verkäuferin. Ich möchte auf keinen Fall länger arbeiten, als die Läden jetzt hier in der Stadt aufhaben. Ich finde der Samstag gehört der Familie, Lebensqualität und das heißt nicht hinter der Theke stehen.

    Die sollen eigentlich liberalisiert werden, weil das ein besserer Service für den Kunden ist. Ich kann aber auch verstehen, wenn die Belegschaft damit nicht zufrieden ist, weil die unmögliche Arbeitszeiten kriegen würden. Aber ich als Kunde würde es auch nutzen, wenn ich nachts um 12:00 Uhr einkaufen gehen könnte.

    Also ich fände es schon besser, wenn die Läden selber entscheiden, wann sie aufmachen und wieder zumachen.

    Selber über Öffnungszeiten entscheiden können und konnten die Einzelhändler bisher nur in dem gesetzlich vorgegebenen Zeitfenster. Das ist schon seit 1956. Damals regelte das Ladenschlussgesetz: Geschäfte dürfen an Werktagen nur bis 18:30 Uhr geöffnet haben; an den Samstagen bis 14:00 Uhr, bzw. bis 18:00 Uhr an den ersten Samstagen im Monat. Änderungen gab es dann noch einmal 1996 und letztes Jahr. Jetzt dürfen Geschäfte an allen Werktagen, also auch samstags, bis 20:00 Uhr offen haben.

    An Sonn- und Feiertagen müssen die Geschäfte weiterhin zu bleiben. Das Gesetz sieht allerdings bei besonderen Anlässen Ausnahmen an maximal vier Sonntagen im Jahr vor.
    Die Kaufhof-Klage kommt Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement nicht ungelegen. Er selbst hat kürzlich die Diskussion um das Ladenschlussgesetz neu entfacht. Im Rahmen des Bürokratieabbaus hatte er für die Freigabe der Öffnungszeiten plädiert. An Werktagen, so Clements Vorschlag, solle es keine Grenzen mehr bei den Ladenöffnungszeiten geben. Und über die Regelung an Sonn- und Feiertagen sollten die Bundesländer selbst entscheiden können.

    Alles das sollte in Deutschland leichter werden, etwas lockerer und etwas weniger von oben gesteuert, als von unten geführt.

    Wir sind auf diesem Gebiet schrecklich durchorganisiert in Deutschland. Sie können nicht von Berlin aus entscheiden, warum in Bochum zu einer bestimmten Zeit ein Geschäft geöffnet haben soll. Jedenfalls macht das keinen Sinn, wenn Sie das tun.


    Diese Meinung wird von vielen Politikern geteilt, auch parteiübergreifend. Die unionsgeführten Länder wie Bayern, Hessen, das Saarland, aber auch Baden-Württemberg setzen sich schon lange für eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten ein. Allerdings wollen sie an der Sonntagsruhe festhalten.
    Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Walter Döring, FDP, setzt im übrigen auf freies Unternehmertum:

    Das bestehende Ladenschlussgesetz passt überhaupt nicht in die Landschaft, es passt schon lange nicht mehr in die Landschaft. Meiner Meinung nach wäre es am Besten, wenn man unter der Woche sagen würde, die Einzelhändler (..) erhalten die Gelegenheit ihre Geschäfte dann zu öffnen, wenn sie es aus Kundenfreundlichkeit für notwendig und richtig erachten, also die so genannte Rund-um-die Uhr Öffnungsmöglichkeit. Das wird kein Mensch machen, aber den Sonntag außerordentlich restriktiv fahren.

    Während Länder wie Berlin, Schleswig-Holstein die Sonntag im Rahmen des Gesetzes bereits jetzt sehr liberal handhaben, geht das Land Mecklenburg-Vorpommern noch einen Schritt weiter. Es will des Sonntag komplett freigeben. Es profitiert zwar jetzt schon von der gesetzlichen Ausnahmereglung für Kur- und Erholungsgebiete. Diese erlaubt bestimmten Geschäften, auch am Sonntag zu öffnen. Dabei soll sich der Verkauf auf auf Souvenir-Artikel, ortstypische Waren, Schmuck und Kunstobjekten beschränken - und auf Gegenstände des täglichen Verbrauchs. Die Folge: In Mecklenburg-Vorpommern haben nach der dort geltenden Bäderregelung schon jetzt viele Geschäfte in den Feriengebieten sonntags offen. Staatssekretär Reinhard Meyer vom Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern:

    Also unser Hauptinteresse, was die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten angeht, bezieht sich nicht auf die Werktage, sondern auf die Sonn- und Feiertage. Wir in Mecklenburg-Vorpommern haben als ein ganz ausgeprägtes Tourismusland natürlich das Interesse, dass die Urlauber, die Menschen, die nach Mecklenburg-Vorpommern kommen, an den Sonn- und Feiertagen auch bei uns einkaufen können. Das gehört einfach zu einem kompletten Urlaubsangebot dazu.

    Die bestehenden Regelungen gehen dem Wirtschaftsministerium nicht weit genug. Denn vor allem Geschäfte in den Städten dürften nach dem jetzigen Ladenschlussgesetz am Sonntag nicht aufmachen. Staatssekretär Meyer.

    Nehmen Sie eine Stadt wie Schwerin, die touristisch hoch interessant ist. Dort muss die Bäderregelung auf der Basis des vorhandenen Ladenschlussgesetzes im Moment wirklich auf originäre touristische Bereiche beschränkt werden, also rund um das Schloss zum Beispiel. Dort finden Sie aber keine angemessenen Verkaufsstellen oder Geschäfte, die möglicherweise die Urlauber gerne an Sonntagen benützen möchten. Die wiederum liegen in Bereichen, die wir nicht zur Genehmigung freigeben können. Und daran zeigt sich schon, dass der Bürger wenig Verständnis dafür hat, warum es hier geht innerhalb einer Stadt und dort nicht. Und deswegen ist es notwendig, das Ladenschlussgesetz zu reformieren.

    Und die Einzelhändler selbst? Längst nicht alle wollen ihren Laden wirklich länger offen halten. Hubertus Pellengahr, Sprecher des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels, HDE:

    Die Meinungen im Einzelhandel über das Ladenschlussgesetz gehen weit auseinander. Die einen wollen das Ladenschlussgesetz ganz abschaffen und denken vor allem daran, an Sonntagen die Geschäfte zu öffnen. Andere würden lieber zu den alten Zeiten zurückkehren. als die Geschäfte bis 18:30 Uhr geöffnet hatten. Dazwischen muss der HDE eine vermittelnde Kompromissposition einnehmen, weil wir den gesamten Einzelhandel vertreten. Und wir haben uns vor einigen Jahren dazu durchgerungen, dass wir der Meinung sind, die Geschäfte sollten an den Werktagen ganz frei sein mit ihren Öffnungszeiten. Von Montag bis Samstag sollte es keine gesetzlichen Vorschriften geben. Die Sonntagsöffnung sollte allerdings nur mit wenigen Ausnahmen erlaubt sein.

    Eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten verschärfe jedoch den Wettbewerb im Einzelhandel, gibt Pellengahr zu. Der Druck auf die Unternehmen werde größer. Profitieren würden vornehmlich die Geschäfte in den Innenstädten. Ländliche Regionen, oder Geschäfte am Stadtrand hätten eher das Nachsehen.

    Tatsächlich hat der Einzelhandel trotz der schon bestehenden längeren Öffnungszeiten am Samstag auch im Jahr 2003 weniger Umsatz gemacht. Schon das vierte Jahr in Folge klagen die Einzelhändler über immer schlechtere Geschäfte. Schuld ist wohl die schlechte Wirtschaftslage, die hohe Arbeitslosigkeit und die allgemeiner Verunsicherung. Längere Öffnungszeiten ziehen also nicht unbedingt einen höheren Umsatz nach sich. Doch der Einzelhandelsverband argumentiert mit den Interessen des Kunden.

    Aus unserer Sicht hat Einzelhandel etwas mit Service und Dienstleistung zu tun. Da ist es natürlich wichtig, dass die Geschäfte dann öffnen können, wenn die Kunden auch einkaufen möchten. Nicht die Kunden müssen sich nach dem Handel richten, sondern die Geschäfte müssen sich nach den Kunden richten. Das ist einmal der Grundsatz. Ob dann mehr ausgegeben wird, oder nicht, ist eine zweite Frage. Sicherlich führen längere Öffnungszeiten nicht dazu, dass die Verbraucher weniger einkaufen. In der Tendenz werden sie mehr einkaufen. Man darf allerdings die Umsatzerwartungen nicht zu hoch ansetzen..

    Die Gewerkschaften sehen das allerdings ganz anders. Sie zeichnen ein düsteres Bild für den Fall, dass das Ladenschlussgesetz fallen sollte. Ver.di verweist auf die etwa 10.000 Geschäftsinsolvenzen im letzten Jahr. Längere Öffnungszeiten würde die Lage noch verschlimmern, so Franziska Wiethold, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Ver.di.

    Vor einem Jahr sind verlängerte Öffnungszeiten am Samstag möglich gemacht worden, und seitdem haben wir den stärksten Personalabbau seit Jahren im Einzelhandel. Das Hauptproblem im Einzelhandel ist, dass die Umsätze seit Jahren zurückgehen, weil den Kunden das Geld fehlt und nicht die Zeit zum Einkaufen. Wenn dann aber in einem dramatischen Verdrängungswettbewerb auch längere Öffnungszeiten möglich werden, dann bedeutet das weniger Umsatz, längere Öffnungszeiten. Diesen Spagat halten nur die Einzelhändler aus, die die niedrigsten Personalkosten haben, die die größte Wirtschaftskraft haben. Sie konkurrieren die anderen schlicht zu Tode.

    Das eigentliche Problem, sagt Wiethold, seien die Personalkosten. Die seien schlichtweg zu hoch. Und so könnten sich viele Läden bei längeren Öffnungszeiten einfach kein zusätzliches Personal leisten. Fachgeschäfte wie Metzger oder Bäcker, die auf gute und intensive Bedienung angewiesen sind, hätten kaum Überlebenschancen.

    Gerade die Inhabergeführten Läden sagen, wir schaffen es nicht mehr. Wir müssen sowieso schon sehr sehr lange arbeiten. Wir schaffen es nicht, noch längere Öffnungszeiten hinzuzubekommen. Und irgendwann geben sie dann auf.

    Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels ist allerdings der Meinung, jeder Geschäftsinhaber müsse selbst entscheiden können, wann und wie lange er sein Geschäft öffnen wolle. Deshalb sei die Argumentation der Gewerkschaften falsch. Hubertus Pellengahr:

    Sie widerspricht auch dem Freiheitsgedanken. Wir wollen, dass die Einzelhändler genauso wie alle anderen Unternehmen auch die Freiheit haben, ihre Geschäftszeiten selbst zu bestimmen.

    Einige Einzelhändler haben schon jetzt einen Weg für sich gefunden. So zum Beispiel Elisabeth Holtorf aus Bonn. Sie führt ein gehobenes Bekleidungsgeschäft für Damen in der Innenstadt. Noch stimmen ihre Umsätze, weil sie einen festen Kundenstamm hat. Allerdings, so sagt sie, hätte sie Schwierigkeiten, geeignetes Fachpersonal für die langen Abendstunden zu finden. Denn darauf legt sie Wert: sie will keine Aushilfen beschäftigen, sondern nur geschultes Fachpersonal. Und da sie die Erfahrung gemacht hat, abends und samstags nicht mehr Umsatz zu machen als tagsüber, hat sie sich entschlossen, einfach früher zu schließen. Das allerdings war ein Lernprozess.

    Für mich hat es die Konsequenz gehabt, dass ich ein halbes Jahr jeden Samstag bis 19:30 Uhr hier gestanden habe und mir selber ein Bild gemacht habe, ob es sich in der Zukunft lohnt zu öffnen bis 19:30 Uhr. Feststellung war, ich habe Null Mark Umsatz gemacht. Der Umsatz war bis fünf Uhr getätigt. Ich habe meine Kunden auch alle angeschrieben, und ich werde in Zukunft nur auf Wunsch der Kunden länger aufhalten. Ich denke, wir müssen den Mut haben, unsere eigenen Arbeitszeiten herauszufinden, die für uns wichtig sind und die uns mit jedem einzelnen Laden weiterbringen.

    Ob sie weiter dem Druck standhalten kann, sollten die Öffnungszeiten ganz frei gegeben werden, da ist sie sich nicht so sicher.

    In meinem hochwertigen Bereich wird das nicht so sein, es sei denn, meine Mitbewerber machen auch bis halb zehn auf. Dann könnte es für mich kritisch werden. Ansonsten sehe ich einfach auch, dass meine Kunden keine Lust haben, abends um zehn zu shoppen.

    Claudia Krüger im Geschäft nebenan sieht das allerdings ganz anders. Sie verkauft so genannte Lifestyle Artikel – Schuhe und modische Damenbekleidung. Sie profitiert von Laufkundschaft. Zu ihrem Kundenstamm zählen vor allem Berufstätige, die eben nur abends oder samstags einkaufen können. Fachpersonal ist ihr nicht so wichtig. Sie beschäftigt auch Aushilfen auf 400 Euro Basis. Das rechnet sich:

    Meine Erfahrung ist gut. Wir machen es seit gut eineinhalb Jahren, dass wir täglich Montags bis Samstags von 9:30 Uhr bis 20:00 Uhr geöffnet haben und es ist gewinnbringend - gerade der Zeitraum von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr. Den Umsatz verstärke ich durch die längeren Öffnungszeiten. Hätte ich die nicht, wäre mein Umsatz geringer. Also nehme ich das natürlich mit.

    Trotz ihrer verschiedenen Strategien und Erfahrungen - in einer Sache sind sich die beiden Einzelhändlerinnen einig: am Sonntag wollen sie ihr Geschäft nicht öffnen. Elisabeth Holtorf.

    Ich denke da nicht nur an die Mitarbeiter und an mich selber. Ich denke auch an die Familien. Ich denke, wenn wir eine Gesellschaft werden, die nur noch shoppen will, die nur noch unterwegs sein will, wo bleiben dann irgendwelche familiären Zusammenkünfte, einfach etwas Gemütliches, was auch zu Hause stattfindet und nicht nur mit Shoppen zu tun hat.

    Auch die Kirchen sind strikt gegen geöffnete Geschäfte an Sonntagen. Dabei stützen sie sich auch auf das Grundgesetz, das die Sonntage und die gesetzlichen Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der so genannten "seelischen Erhebung" sieht. So hatte schon die Weimarer Reichsverfassung von 1919 die Sonn- und Feiertage beschrieben. Der Sonntag ist aus Sicht der Kirchen auch der Tag des Gottesdienstes, an dem jeder Bürger teilnehmen können soll. Es geht aber noch um mehr. Pater Hans Langendörfer von der Deutschen Bischofskonferenz:

    Wir leben in einer Zeit der Beschleunigung. Alle klagen darüber, es gehe viel zu schnell. Man müsse Mobilität bringen, die nicht mehr menschlich ist. Und gerade in dieser Zeit wollen wir dagegen halten und sagen: zuviel Mobilität, zuviel Flexibilität sind nicht gut. Wir wollen entschleunigen. Und der Sonntag ist da ein ganz wichtiges Element zu einer Entschleunigung unserer Zeit. Deswegen müssen wir an ihm festhalten.

    Auch mit dem Vorschlag von Wirtschaftsminister Clement, die Regelung der Öffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen den einzelnen Bundesländern zu überlassen, ist die Deutsche Bischofskonferenz nicht einverstanden. Der Bund solle die Ladenöffnungszeiten weiterhin zentral regeln.

    Der Bund ist verpflichtet vom Grundgesetz her auf den Sonntag Acht zu geben. Das ist ein Tag, wie immer das auch komisch klingt, der geistigen Erhebung. Und dafür ist entsprechend Sorge zu tragen.

    Damit ist auch das Land Baden-Württemberg einverstanden. Doch die dortige Regierung misst mit zweierlei Maß. Einerseits soll an der Sonntagsruhe nicht gerüttelt werden - es soll auf traditionelle Werte Rücksicht genommen werden. Doch andererseits will die Stuttgarter Regierung die Ausnahmeregelung für den Verkauf an Sonntagen in Kur- und Erholungsgebieten auf keinen Fall aufgeben. Im Gegenteil, sie will sie lockern: damit die Einzelhändler noch mehr Umsatz machen können als bislang. Generell vertritt Wirtschaftsminister Döring die Ansicht, jedes Bundesland solle selbst über die Öffnungszeiten entscheiden können.

    Wissen Sie, mir ist es vollkommen wurscht, wie der Hamburger bei sich in Hamburg die Ladenöffnungszeiten regelt. Ich will sie hier in Baden-Württemberg regeln können. Mich interessiert auch nicht, ob der Saarländer über die Grenze läuft zum Einkaufen oder nicht. Das ist nicht Thema von uns. Das soll jedes Land für sich entscheiden. Die Länder haben ganz unterschiedliche Strukturen. Wir sind Bäder- und Kurland Nummer eins, Tourismusland Nummer zwei. Da sind auch andere Anforderungen von den Gästen her zu sehen, als in Ländern, wo kein Mensch hin will.

    Auch Mecklenburg Vorpommern will die Entscheidung über die Ladenöffnungszeiten selbst bestimmen können. Staatssekretär Meyer:

    Im Rahmen der Föderalismusreform sollte man ernsthaft darüber nachdenken, diese Kompetenz, was die Ladenöffnungszeit angeht, den Ländern zu übertragen, so dass jeder frei entscheiden kann.

    Hubertus Pellengahr, Sprecher des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels sieht das kritisch. Er fordert gleiches Recht für alle Einzelhändler.

    Den Sonntag in die Zuständigkeit der Länder zu geben, wäre falsch. Dann hätten wir 16 verschiedene Regelungen in Deutschland. Das würde zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen in nahen Grenzregionen. Es gäbe Einkaufstourismus. Die Geschäfte, die wirtschaftsfreundliche Landesregierungen haben, hätten Vorteile, andere das Nachsehen. Das kann nicht richtig sein und das entspricht nicht unseren Vorstellungen von Chancengleichheit.

    Chancengleichheit hin oder her: Franziska Wiethold von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di glaubt, dass ein liberaleres Ladenschlussgesetz den Einzelhändlern nur eine scheinbare Wahlfreiheit ließe, ob sie ihre Geschäfte Der wirtschaftliche Druck, fürchtet sie, werde die Einzelhändler zwingen, ihre Geschäfte zu öffnen.

    Wenn das Ladenschlussgesetz kippen sollte, dann wissen wir, dass auch die Sonn- und Feiertagsruhe gefährdet ist. Und Schrittchen für Schrittchen, Scheibchen für Scheibchen wird eine Stadt nach der anderen versuchen, sich zu Lasten der Nachbarstadt ein bisschen vom Umsatzkuchen zu holen, indem sie auch Sonderöffnungszeiten am Sonntag machen.

    Die Gewerkschaften sind skeptisch, der Einzelhandelsverband jedoch beharrt darauf, dass das Ladenschlussgesetz überholt sei. Für Hubert Pellengahr steht fest: Was damals in den 50er Jahren bei der Formulierung des Gesetztes wichtig gewesen sei, sei heute nicht mehr zeitgemäß.

    Da geht es um Erntezeit und ländliche Regionen, da geht es um verderbliche Produkte. Das sind alles Themen, die sind inzwischen durch Kühltechnik und anderes längst gelöst. Das brauchen wir nicht mehr mit dem Ladenschlussgesetz zu machen. Es gibt keinen Haushalt mehr ohne Kühlschrank und deshalb muss man keine Ausnahmeregel für den sonntäglichen Verkauf von Milch mehr haben. Das sieht aber das Ladenschlussgesetz irgendwo vor. Der Entrümpelungsbedarf ist riesengroß, aber dann muss man irgendwie natürlich im Zweifel für die Freiheit aber am Ende doch einen Kompromiss wieder finden, mit dem dann alle leben können, der einfach zu handhaben ist.

    Morgen wird das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung bekannt geben, ob das bestehende Ladenschlussgesetz verfassungswidrig ist oder nicht. Sollte die Entscheidung für eine Reform fallen, ist wieder die Politik gefordert. Sie muss entsprechend neue Regelungen für die Öffnungszeiten festlegen. Ob wir wirklich rund um die Uhr und auch am Sonntag in ganz Deutschland einkaufen gehen können, wird sich dann erst noch zeigen.