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Schnee von gestern unter dem Mikroskop

Klimaforschung. - Wie das Klima und die Atmosphäre früherer Zeiten ausgesehen haben, das wollen Wissenschaftler mittels Eisproben aus dem Inneren der Gletscher am Südpol herausbekommen. Zehn europäische Länder beteiligen sich an (European Project for Ice Coring in Antarctica) - so nennt sich das Forschungsprojekt, an dem auch das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut maßgeblich beteiligt ist. An zwei Stellen wird in der Antarktis gebohrt. In der vergangenen Saison haben die Polarforscher Eiskerne aus einer Tiefe von 3200 Metern ans Licht geholt. In diesen Tagen werden die Proben - ihr Alter wird auf 900.000 Jahre geschätzt - in untersucht.

Folkert Lenz |
    Der Physiker Josef Kipfstuhl steht an der Bandsäge - bei minus 25 Grad. Schnee von gestern: In der Kältekammer des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts wird er in handliche Stücke getrennt. Eine weißlich schimmernde Eisstange liegt vor Kipfstuhl. Sie wurde aus dem Eispanzer der Antarktis heraus gebohrt.

    Der Kern ist zehn Zentimeter im Durchmesser. Das muss man sich als einen Meter oder als halben Meter langen Zylinder vorstellen. Da schneiden wir zunächst zehn Millimeter oben ab, damit wir eine flache Fläche kriegen. Der nächste Schnitt ist dann 33 Millimeter tiefer. Und dann wird dieses 33 Millimeter dicke Stück unterteilt.

    Viertelstäbe, Halbprofile... - das Schnittmuster für die Eiskerne steht von vorn herein fest. Dünne Scheiben Gefrorenes landen danach auf der Werkbank von Johannes Freitag. Die zerbrechlichen Stücke werden von unten durchleuchtet. Den Physiker interessiert vor allem die Struktur des Eises: Einzelne Lagen, verschiedene Jahresschichten, Unregelmäßigkeiten wie Staub oder Luftblasen fotografiert er für die spätere Auswertung.

    Diese Kamera fährt nun kontinuierlich diesen Kern entlang. Das ist also hier ein Meterstück. Diese Kamera ist eine Line-Scan-Kamera. Das heißt, es wird millimeterweise dieser gesamte Bereich abgescannt und später dann digital analysiert. Das sind ungefähr 30 Sekunden, dann ist der Kern eingescannt.

    Mit Hilfe der Eisschichten können die Polarforscher rekonstruieren, wie das Klima und die Erdatmosphäre in früheren Zeiten ausgesehen haben. Rückschlüsse ziehen sie auch aus den Kristallformen des Eises. Doch die müssen erst mal sichtbar gemacht werden. Dazu haben die Wissenschaftler ein Mikrotom, einen Schneideapparat aus der Medizin, zweckentfremdet: als Hobel. Josef Kipfstuhl fixiert ein Eisstück auf einer Glasscheibe. Ein Tropfen Wasser dient im Dauerfrost als Kleber. Dann schabt der Meteorologe Millimeter für Millimeter ab:

    Wir nehmen ein Mikrotom, um eine polierte Oberfläche zu erhalten. Diese polierten Oberflächen sind wichtig, damit wir die Probe auch wieder planparallel auf eine zweite Glasplatte auffrieren können. Dann wird anschließend die Scheibe Eis abgehobelt auf eine Dicke von einem halben Millimeter oder drei Zehntel Millimeter.

    Dieser so genannte Dünnschnitt kommt unter einen gekreuzten Polarisationsfilter. Ein grellbuntes Puzzlespiel entsteht im Licht. Der Physiker Johannes Freitag:

    Man kann also hier, wenn man durch die Polarisationsfilter schaut, die Kristallstruktur erkennen. Das wird plötzlich ganz bunt. Zuerst sieht man gar nichts, da ist alles durchsichtig. Und wenn man jetzt hier rüber schaut, dann sieht man also die einzelnen Kristalle in verschiedenen Farben. Und hier haben wir ein Stück, das ungefähr aus der Tiefe von 3.000 Meter stammt, also 800.000 bis 900.000 Jahre alt ist. Und da sind die Kristalle schon Zentimeter groß. Und wenn Sie das vergleichen mit dem anderen Stück, da sehen Sie die ursprünglichen kleinen Schneekristalle.

    Nicht immer müssen die Polarforscher aber im tiefen Dauerfrost arbeiten. Die Untersuchung von Lufteinschlüssen kann im Warmen stattfinden. Im Nachbarlabor steht eine selbst gebaute Apparatur mit verschiedenartigen Glaskolben und einem komplizierten Röhrensystem für die Gasanalyse:

    Methan, da kann man Eis schmelzen. Kohlendioxid, da darf man nicht schmelzen, weil da Karbonatreste im Staub enthalten sind. Und die würden das Kohlendioxid -Signal verändern. Man muss also das Eis verdunsten. So dass letztlich die paar Mikroliter Luft aus dem Eis in die eigentliche Messzelle gelangen. Die Konzentrationen werden mit einem Gaschromatographen gemessen, teilweise gekoppelt mit einem Massenspektrometer.

    Fünf Mal hat Josef Kipfstuhl schon selbst im Antarktis-Eis gebohrt und ist mit Proben nach Deutschland zurückgekehrt. Seit 18 Jahren liest der Physiker die Wetter- und Lebensbedingungen der vergangenen Jahrtausende aus dem Eis heraus. Sein vorsichtiges Fazit: Das Weltklima ist unterschiedlicher gewesen als die Forscher bislang angenommen haben. Für die Zukunft hält sich der Wahl-Bremerhavener aber mit Vorhersagen zurück.

    Das Interessante am Klima sind jetzt erst mal die nächsten Dekaden bis Hunderte von Jahren. Ich kann gar nichts prognostizieren. Die Klimamodelle prognostizieren eine Erwärmung - und denen darf man durchaus trauen.