und Kladeos vor dem Jahre 700 v. Chr. nicht stattgefunden haben.
Der Würzburger Archäologe Ulrich Sinn ist zwar nicht der erste, der auf diesen Umstand hinweist. Aber anlässlich der Heimkehr der modernen Olympischen Spiele in das Land ihrer antiken Vorläufer stehen die Chancen momentan so günstig wie nie, mit einem differenzierteren Bild endlich mehr Gehör zu finden.
In Olympia wurde der griechische Sport keineswegs erfunden. "Als Austragungsort von athletischen Wettkämpfen trat Olympia sogar erst vergleichsweise spät auf den Plan", stellt der Würzburger Professor für Klassische Archäologie in seinem Buch über Das antike Olympia fest.
Der Wettkampfsport ist demnach ein gesamtgriechisches Kulturgut, das irgendwann auch in Olympia erblühte.
Selbst diese wunderbare Friedensidee, die für Olympia so typisch gewesen sein soll, hält einer Überprüfung nicht stand. Es gab zwar spätestens seit dem 5. Jahrhundert eine mehrmonatige Waffenruhe. Diese war aber kein olympisches und schon gar kein sportpolitisches Phänomen, sie war bei vielen Festveranstaltungen in Griechenland üblich. Und sie war den Göttern, nicht etwa dem Sport geschuldet.
Seine wahrscheinlich erst im 7. Jahrhundert einsetzende "nationale" Popularität verdanke der Kultort dagegen einem Orakel, das ausgerechnet in Kriegsfragen konfrontiert wurde, glaubt Ulrich Sinn. Olympias Seher hätten sich, gewissermaßen als "Feldgeistliche", bei der im 8.
Jahrhundert einsetzenden Kolonisierung Unteritaliens und Siziliens hohe Verdienste erworben. Und das Zeusfest samt seiner wohl erst im Lauf der Zeit hinzugekommenen Wettkampfspiele habe sich als Heimkehrerfest westgriechischer Auswanderer etabliert.
Tatsächlich seien in keinem anderen griechischen Heiligtum derartig viele Waffen und Rüstungen gefunden worden. Sie waren dem Kriegslenker Zeus geweiht, dem ein Zehntel der Kriegsbeute zustand. Kann es da noch verwundern, dass Olympia durch seine ganze Geschichte hindurch von allen großen Festen in Griechenland das unmusischste blieb?
Um dies alles festzustellen, muss Ulrich Sinn nicht einmal als radikaler Provokateur auftreten. Was den Sportsfreund erstaunen und den friedensbewegten Romantiker vielleicht sogar empören mag, ist in der wissenschaftlichen Diskussion längst ein Allgemeinplatz. Aber natürlich ist selbst ein von falschem Schein befreites Olympia noch immer glanzvoll genug. Davon zeugt alleine schon die Darstellung des im 5. Jahrhundert – wiederum aus Kriegsbeute – finanzierten Zeustempels. In ihm errichtete der Athener Bildhauer Phidias mit dem zwölf Meter hohen Kultbild des Zeus aus Gold und Elfenbein eines der sieben Weltwunder des Altertums.
Die Zeit ist nicht nur für ein modifiziertes Bild antiker Olympien reif. Auch manch prominenter Gast pocht immer stärker auf eine Korrektur seines Bildes in der Geschichte. Den römischen Kaiser Nero etwa dürfen wir uns nach der Lektüre von Ulrich Sinns Buch nicht mehr länger als Sportbetrüger und Kunsträuber denken. Die Forscher haben in den letzten Jahren immer mehr Indizien zusammengetragen, die für eine Gönnerrolle Neros in Olympia sprechen.
Wie wenig tiefere Kenntnisse über die antiken Olympischen Spiele und ihre Rolle im Kontext antiker Kultur allgemein herrschen, erstaunt Fachleute angesichts des enormen, weltweiten Interesses am Thema Olympia immer wieder. Für sie muss die Rückkehr der Olympischen Spiele in das Land ihrer Herkunft daher ein wahrer Segen sein – so viel Aufmerksamkeit hat die antike Olympiageschichte lange nicht mehr erregt. Und neben Ulrich Sinn hat mit Michael Siebler ein weiterer Archäologe rechtzeitig zu den Athener Spielen ein Olympiabuch herausgebracht, das eine
deutliche Abwendung vom gängigen Klischee darstellt. Es trägt den Titel Olympia. Ort der Spiele, Ort der Götter.
Siebler schlägt in den Schlüsselfragen olympischer Geschichte in die gleiche Kerbe wie Ulrich Sinn. Ausdrücklich weist auch er das problematische Anfangsdatum 776 v. Chr. zurück. Und er diskutiert ausgiebig, wie es zu dieser offensichtlich falschen, gleichwohl bis heute hochwirksamen Vorstellung über die Anfänge Olympischer Spiele kommen konnte: An der Schwelle zum 5. Jahrhundert soll der Universalgelehrte Hippias von Elis eine zweifelhafte Heiligtumschronik verfasst haben, die den Beginn der Wettkampfspiele fälschlicherweise weit ins Dunkel der
Vergangenheit zurückführte. Und die die Olympien als elische Erfindung auswies - was ebenfalls glatt gelogen war. Der Historiker Plutarch kritisierte später, Hippias habe die Chronik erstellt, "ohne auf einer zuverlässigen Grundlage fußen zu können".
Hinter diesem mutmaßlichen Datierungsschwindel verbergen sich wahrscheinlich politische Motive. Die 60 Kilometer von Olympia entfernte Stadt Elis war im Peloponnesischen Krieg (431 bis 404 v. Chr.) an der Seite Athens den Spartanern unterlegen. Die Polis musste um ihren Status
als Veranstalter in Olympia fürchten, den sie 580 v. Chr. der einheimischen Bevölkerung gewaltsam entrissen hatte. Eine ganz andere Geschichte in Olympia ist die Geschichte der Ausgrabungen. Ihr räumt Michael Siebler über ein Drittel seines Buches ein. Darin tritt uns der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck 1880 als Gegner der Ausgrabungen in Olympia entgegen, weil für seinen Geschmack zu wenig Kunstgegenstände in die deutschen Museen gelangten. Kaiser Wilhelm I dagegen trat als Förderer jener gerade auch in Olympia sich etablierenden Wissenschaft auf, die nicht auf Kunsterwerb, sondern auf Erkenntnisgewinn aus war.
Was hätten die Ausgräber Olympias nur ohne ihren Pausanias gemacht? Dessen antiker Reisebeschreibungen war die problemlose Bestimmung zahlreicher ausgegrabener Bauten, Statuen oder Altäre zu verdanken. Über Pausanias selbst jedoch wissen wir so gut wie nichts. Ungefähr 115 nach Christus wurde er in Lydien in der heutigen Türkei geboren. 40-jährig erst begann er dann wohl mit seinen "Reisen in Griechenland", die ihn auch nach Olympia führten.
Seiner streng sachorientierten schriftstellerischen Arbeit war zu seiner Zeit offenbar kein Erfolg beschieden. Umso mehr Aufmerksamkeit hat Pausanias im Zuge der Wiederentdeckung Olympias genossen. Für den Besucher des antiken Zeusheiligtums ist es, als würde er mit Pausanias Hilfe eine Zeitreise ins Griechenland des 2. Jahrhunderts antreten. Und auch Rosmarie Günther macht sich in ihrem Olympia-Buch Kult und Spiele in der Antike mit dem Reiseführer Pausanias in der Hand auf zu einem Rundgang durch die Altis, Olympias Heiligen Bezirk.
Rosmarie Günther, die am Seminar für Alte Geschichte an der Universität Mannheim lehrt, liefert ihre Leser dem Reiseführer Pausanias jedoch nicht unkontrolliert aus – ist dieser doch selbst Opfer von Lügen, Irrtümern und künstlich zurechtgemachten Mythen geworden. Vorsicht ist geboten, wenn uns Pausanias in seiner Naivität genau jene falschen Geschichten auftischt, die die Ausgräber im 19. und 20. Jahrhundert lange Zeit häufig wortwörtlich glaubten. Dass ein gewisser Koroibos von Elis bei den angeblich ersten Olympischen Spielen 776 v. Chr. den Stadionlauf gewonnen habe, auch dieses Märchen wird der Nachwelt durch Pausanias überliefert.
Besondere Spannung erzeugt dieser Rundgang durch die Altis, wenn auf die weibliche Seite der Geschichte Olympias die Rede kommt. Und die Frühgeschichte Olympias, das zeigen auch Günthers Kollegen Sinn und Siebler auf, ist weiblich! Zeus knüpfte bei seinem Einzug in Olympia um die vorchristliche Jahrtausendwende an eine feminine Vorgeschichte an.
Eingerichtet wurde das Heiligtum offenbar für die hier zunächst ausschließlich verehrten weiblichen Gottheiten. An Hinweisen auf deren einstiger Dominanz fehlte es auch später nicht. Eine Priesterin der Vegetations- und Fruchtbarkeitsgöttin Demeter schaute bei Olympischen Spielen von ihrem Altar aus den Ereignissen im Stadion zu. Und es gab bis in die späte Zeit gesonderte Frauenläufe, die der Hera geweiht waren.
Hatten Jungfrauen hier in den frühen Tagen bereits Wettläufe als Initiationsritus ausgetragen? Tatsächlich stelle sich die Frage, schreibt Rosmarie Günther, "ob das männlichste aller antiken Feste, bei dem ja verheiratete Frauen ausgeschlossen waren, seinen Ursprung einem alten weiblichen Fruchtbarkeitskult zu verdanken hat".
Neue, verblüffende Einsichten bleiben dem Leser unserer vierten Neuerscheinung zum Thema Olympia in der Antike eher verwehrt. Die Engländerin Judith Swaddling, Kuratorin der Abteilung für Griechische und Römische Antike des Britischen Museums in London, verlässt sich in
ihrem Buch mit dem Titel Die Olympischen Spiele in der Antike eher auf die bekannten Standards.
Schon der erste Satz ist, nach allem, was wir bislang gehört haben, unannehmbar – nicht nur wegen des darin enthaltenen Rechenfehlers: "1000 Jahre lang, von 776 v. Chr. bis 395 n. Chr., zog alle vier Jahre die Pracht des olympischen Festes Bürger aus der gesamten griechischen Welt
in ihren Bann", so beginnt Judith Swaddling ihr Buch. Es wurde in seiner englischen Originalfassung 1980 erstmals, 2004 dann in dritter Auflage in London gedruckt. Und es hat den Anschein, als seien seit dem ersten Erscheinen neue Forschungsergebnisse nicht berücksichtigt worden. Wie schade!
In ihrem Überblick über die Olympischer Spiele schert Judith Swaddling mehr als 1000 Jahre Geschichte viel zu pauschal über einen Kamm. So berichtet sie von den Herolden, die in Griechenland, von Anfang an, wie die Autorin behauptet, den Festfrieden zu verkünden hatten. Es ist jedoch höchst ungewiss, ab wann ein solcher Festfrieden in Hellas ausgerufen wurde.
Ein bisschen differenzierter dürfte es schon sein. Nicht nur, was die Ereignisse in Olympia selbst angeht, sondern auch in Bezug auf Olympias Stellung im Kanon antiker Festkultur. Es ist nämlich keineswegs so gewiss, dass Olympische Spiele bereits in ihren Anfängen in ganz Griechenland überragende Bedeutung genossen, wie Swaddling das behauptet. Vielleicht glaubt die Autorin ja, ihren Lesern solche Feinheiten des Wissens nicht zumuten zu können. Sie bemüht sich um
größtmögliche Verständlichkeit, doch dabei kommen grauenerregende Sätze heraus. "Obwohl es gemäßigt zuging, war der Fünfkampf gewiss kein lascher Wettbewerb", schreibt sie etwa.
Und weil sich der gemeine Neuzeitler anscheinend nicht vorstellen kann, wie der antike Zecher ordentlich einen drauf machte, hat Judith Swaddling es für ihn rekonstruiert: "Der Wein floss in Strömen, Lieder ertönten, es wurde fröhlich gefeiert. Die Sieger und ebenso ihre Freunde schmückten sich mit Girlanden und zogen, Siegerhymnen singend, rund um die Altis." – spätestens hier hat der populärwissenschaftliche Karneval am Alpheios seinen feuchtfröhlichen Höhepunkt erreicht.
Judith Swaddling
Die Olympischen Spiele in der Antike
Verlag Philipp Reclam jun., 200 S., EUR 5,-
Ulrich Sinn
Das antike Olympia. Götter, Spiel und Kunst
Verlag C.H. Beck, 276 S., EUR 29,90
ders.
Olympia – Kult, Sport und Fest in der Antike
Verlag C.H. Beck, 126 S., EUR 7,90
Michael Siebler
Olympia. Ort der Spiele, Ort der Götter
Verlag Klett Cotta, 266 S., EUR 25,-
Rosmarie Günther
Olympia. Kult und Spiele in der Antike
Primus Verlag, 175 S., EUR 19,90
Der Würzburger Archäologe Ulrich Sinn ist zwar nicht der erste, der auf diesen Umstand hinweist. Aber anlässlich der Heimkehr der modernen Olympischen Spiele in das Land ihrer antiken Vorläufer stehen die Chancen momentan so günstig wie nie, mit einem differenzierteren Bild endlich mehr Gehör zu finden.
In Olympia wurde der griechische Sport keineswegs erfunden. "Als Austragungsort von athletischen Wettkämpfen trat Olympia sogar erst vergleichsweise spät auf den Plan", stellt der Würzburger Professor für Klassische Archäologie in seinem Buch über Das antike Olympia fest.
Der Wettkampfsport ist demnach ein gesamtgriechisches Kulturgut, das irgendwann auch in Olympia erblühte.
Selbst diese wunderbare Friedensidee, die für Olympia so typisch gewesen sein soll, hält einer Überprüfung nicht stand. Es gab zwar spätestens seit dem 5. Jahrhundert eine mehrmonatige Waffenruhe. Diese war aber kein olympisches und schon gar kein sportpolitisches Phänomen, sie war bei vielen Festveranstaltungen in Griechenland üblich. Und sie war den Göttern, nicht etwa dem Sport geschuldet.
Seine wahrscheinlich erst im 7. Jahrhundert einsetzende "nationale" Popularität verdanke der Kultort dagegen einem Orakel, das ausgerechnet in Kriegsfragen konfrontiert wurde, glaubt Ulrich Sinn. Olympias Seher hätten sich, gewissermaßen als "Feldgeistliche", bei der im 8.
Jahrhundert einsetzenden Kolonisierung Unteritaliens und Siziliens hohe Verdienste erworben. Und das Zeusfest samt seiner wohl erst im Lauf der Zeit hinzugekommenen Wettkampfspiele habe sich als Heimkehrerfest westgriechischer Auswanderer etabliert.
Tatsächlich seien in keinem anderen griechischen Heiligtum derartig viele Waffen und Rüstungen gefunden worden. Sie waren dem Kriegslenker Zeus geweiht, dem ein Zehntel der Kriegsbeute zustand. Kann es da noch verwundern, dass Olympia durch seine ganze Geschichte hindurch von allen großen Festen in Griechenland das unmusischste blieb?
Um dies alles festzustellen, muss Ulrich Sinn nicht einmal als radikaler Provokateur auftreten. Was den Sportsfreund erstaunen und den friedensbewegten Romantiker vielleicht sogar empören mag, ist in der wissenschaftlichen Diskussion längst ein Allgemeinplatz. Aber natürlich ist selbst ein von falschem Schein befreites Olympia noch immer glanzvoll genug. Davon zeugt alleine schon die Darstellung des im 5. Jahrhundert – wiederum aus Kriegsbeute – finanzierten Zeustempels. In ihm errichtete der Athener Bildhauer Phidias mit dem zwölf Meter hohen Kultbild des Zeus aus Gold und Elfenbein eines der sieben Weltwunder des Altertums.
Die Zeit ist nicht nur für ein modifiziertes Bild antiker Olympien reif. Auch manch prominenter Gast pocht immer stärker auf eine Korrektur seines Bildes in der Geschichte. Den römischen Kaiser Nero etwa dürfen wir uns nach der Lektüre von Ulrich Sinns Buch nicht mehr länger als Sportbetrüger und Kunsträuber denken. Die Forscher haben in den letzten Jahren immer mehr Indizien zusammengetragen, die für eine Gönnerrolle Neros in Olympia sprechen.
Wie wenig tiefere Kenntnisse über die antiken Olympischen Spiele und ihre Rolle im Kontext antiker Kultur allgemein herrschen, erstaunt Fachleute angesichts des enormen, weltweiten Interesses am Thema Olympia immer wieder. Für sie muss die Rückkehr der Olympischen Spiele in das Land ihrer Herkunft daher ein wahrer Segen sein – so viel Aufmerksamkeit hat die antike Olympiageschichte lange nicht mehr erregt. Und neben Ulrich Sinn hat mit Michael Siebler ein weiterer Archäologe rechtzeitig zu den Athener Spielen ein Olympiabuch herausgebracht, das eine
deutliche Abwendung vom gängigen Klischee darstellt. Es trägt den Titel Olympia. Ort der Spiele, Ort der Götter.
Siebler schlägt in den Schlüsselfragen olympischer Geschichte in die gleiche Kerbe wie Ulrich Sinn. Ausdrücklich weist auch er das problematische Anfangsdatum 776 v. Chr. zurück. Und er diskutiert ausgiebig, wie es zu dieser offensichtlich falschen, gleichwohl bis heute hochwirksamen Vorstellung über die Anfänge Olympischer Spiele kommen konnte: An der Schwelle zum 5. Jahrhundert soll der Universalgelehrte Hippias von Elis eine zweifelhafte Heiligtumschronik verfasst haben, die den Beginn der Wettkampfspiele fälschlicherweise weit ins Dunkel der
Vergangenheit zurückführte. Und die die Olympien als elische Erfindung auswies - was ebenfalls glatt gelogen war. Der Historiker Plutarch kritisierte später, Hippias habe die Chronik erstellt, "ohne auf einer zuverlässigen Grundlage fußen zu können".
Hinter diesem mutmaßlichen Datierungsschwindel verbergen sich wahrscheinlich politische Motive. Die 60 Kilometer von Olympia entfernte Stadt Elis war im Peloponnesischen Krieg (431 bis 404 v. Chr.) an der Seite Athens den Spartanern unterlegen. Die Polis musste um ihren Status
als Veranstalter in Olympia fürchten, den sie 580 v. Chr. der einheimischen Bevölkerung gewaltsam entrissen hatte. Eine ganz andere Geschichte in Olympia ist die Geschichte der Ausgrabungen. Ihr räumt Michael Siebler über ein Drittel seines Buches ein. Darin tritt uns der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck 1880 als Gegner der Ausgrabungen in Olympia entgegen, weil für seinen Geschmack zu wenig Kunstgegenstände in die deutschen Museen gelangten. Kaiser Wilhelm I dagegen trat als Förderer jener gerade auch in Olympia sich etablierenden Wissenschaft auf, die nicht auf Kunsterwerb, sondern auf Erkenntnisgewinn aus war.
Was hätten die Ausgräber Olympias nur ohne ihren Pausanias gemacht? Dessen antiker Reisebeschreibungen war die problemlose Bestimmung zahlreicher ausgegrabener Bauten, Statuen oder Altäre zu verdanken. Über Pausanias selbst jedoch wissen wir so gut wie nichts. Ungefähr 115 nach Christus wurde er in Lydien in der heutigen Türkei geboren. 40-jährig erst begann er dann wohl mit seinen "Reisen in Griechenland", die ihn auch nach Olympia führten.
Seiner streng sachorientierten schriftstellerischen Arbeit war zu seiner Zeit offenbar kein Erfolg beschieden. Umso mehr Aufmerksamkeit hat Pausanias im Zuge der Wiederentdeckung Olympias genossen. Für den Besucher des antiken Zeusheiligtums ist es, als würde er mit Pausanias Hilfe eine Zeitreise ins Griechenland des 2. Jahrhunderts antreten. Und auch Rosmarie Günther macht sich in ihrem Olympia-Buch Kult und Spiele in der Antike mit dem Reiseführer Pausanias in der Hand auf zu einem Rundgang durch die Altis, Olympias Heiligen Bezirk.
Rosmarie Günther, die am Seminar für Alte Geschichte an der Universität Mannheim lehrt, liefert ihre Leser dem Reiseführer Pausanias jedoch nicht unkontrolliert aus – ist dieser doch selbst Opfer von Lügen, Irrtümern und künstlich zurechtgemachten Mythen geworden. Vorsicht ist geboten, wenn uns Pausanias in seiner Naivität genau jene falschen Geschichten auftischt, die die Ausgräber im 19. und 20. Jahrhundert lange Zeit häufig wortwörtlich glaubten. Dass ein gewisser Koroibos von Elis bei den angeblich ersten Olympischen Spielen 776 v. Chr. den Stadionlauf gewonnen habe, auch dieses Märchen wird der Nachwelt durch Pausanias überliefert.
Besondere Spannung erzeugt dieser Rundgang durch die Altis, wenn auf die weibliche Seite der Geschichte Olympias die Rede kommt. Und die Frühgeschichte Olympias, das zeigen auch Günthers Kollegen Sinn und Siebler auf, ist weiblich! Zeus knüpfte bei seinem Einzug in Olympia um die vorchristliche Jahrtausendwende an eine feminine Vorgeschichte an.
Eingerichtet wurde das Heiligtum offenbar für die hier zunächst ausschließlich verehrten weiblichen Gottheiten. An Hinweisen auf deren einstiger Dominanz fehlte es auch später nicht. Eine Priesterin der Vegetations- und Fruchtbarkeitsgöttin Demeter schaute bei Olympischen Spielen von ihrem Altar aus den Ereignissen im Stadion zu. Und es gab bis in die späte Zeit gesonderte Frauenläufe, die der Hera geweiht waren.
Hatten Jungfrauen hier in den frühen Tagen bereits Wettläufe als Initiationsritus ausgetragen? Tatsächlich stelle sich die Frage, schreibt Rosmarie Günther, "ob das männlichste aller antiken Feste, bei dem ja verheiratete Frauen ausgeschlossen waren, seinen Ursprung einem alten weiblichen Fruchtbarkeitskult zu verdanken hat".
Neue, verblüffende Einsichten bleiben dem Leser unserer vierten Neuerscheinung zum Thema Olympia in der Antike eher verwehrt. Die Engländerin Judith Swaddling, Kuratorin der Abteilung für Griechische und Römische Antike des Britischen Museums in London, verlässt sich in
ihrem Buch mit dem Titel Die Olympischen Spiele in der Antike eher auf die bekannten Standards.
Schon der erste Satz ist, nach allem, was wir bislang gehört haben, unannehmbar – nicht nur wegen des darin enthaltenen Rechenfehlers: "1000 Jahre lang, von 776 v. Chr. bis 395 n. Chr., zog alle vier Jahre die Pracht des olympischen Festes Bürger aus der gesamten griechischen Welt
in ihren Bann", so beginnt Judith Swaddling ihr Buch. Es wurde in seiner englischen Originalfassung 1980 erstmals, 2004 dann in dritter Auflage in London gedruckt. Und es hat den Anschein, als seien seit dem ersten Erscheinen neue Forschungsergebnisse nicht berücksichtigt worden. Wie schade!
In ihrem Überblick über die Olympischer Spiele schert Judith Swaddling mehr als 1000 Jahre Geschichte viel zu pauschal über einen Kamm. So berichtet sie von den Herolden, die in Griechenland, von Anfang an, wie die Autorin behauptet, den Festfrieden zu verkünden hatten. Es ist jedoch höchst ungewiss, ab wann ein solcher Festfrieden in Hellas ausgerufen wurde.
Ein bisschen differenzierter dürfte es schon sein. Nicht nur, was die Ereignisse in Olympia selbst angeht, sondern auch in Bezug auf Olympias Stellung im Kanon antiker Festkultur. Es ist nämlich keineswegs so gewiss, dass Olympische Spiele bereits in ihren Anfängen in ganz Griechenland überragende Bedeutung genossen, wie Swaddling das behauptet. Vielleicht glaubt die Autorin ja, ihren Lesern solche Feinheiten des Wissens nicht zumuten zu können. Sie bemüht sich um
größtmögliche Verständlichkeit, doch dabei kommen grauenerregende Sätze heraus. "Obwohl es gemäßigt zuging, war der Fünfkampf gewiss kein lascher Wettbewerb", schreibt sie etwa.
Und weil sich der gemeine Neuzeitler anscheinend nicht vorstellen kann, wie der antike Zecher ordentlich einen drauf machte, hat Judith Swaddling es für ihn rekonstruiert: "Der Wein floss in Strömen, Lieder ertönten, es wurde fröhlich gefeiert. Die Sieger und ebenso ihre Freunde schmückten sich mit Girlanden und zogen, Siegerhymnen singend, rund um die Altis." – spätestens hier hat der populärwissenschaftliche Karneval am Alpheios seinen feuchtfröhlichen Höhepunkt erreicht.
Judith Swaddling
Die Olympischen Spiele in der Antike
Verlag Philipp Reclam jun., 200 S., EUR 5,-
Ulrich Sinn
Das antike Olympia. Götter, Spiel und Kunst
Verlag C.H. Beck, 276 S., EUR 29,90
ders.
Olympia – Kult, Sport und Fest in der Antike
Verlag C.H. Beck, 126 S., EUR 7,90
Michael Siebler
Olympia. Ort der Spiele, Ort der Götter
Verlag Klett Cotta, 266 S., EUR 25,-
Rosmarie Günther
Olympia. Kult und Spiele in der Antike
Primus Verlag, 175 S., EUR 19,90