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Schneller Weg in die Sucht

Medizin. - Kaum eine Droge ist in unserer Gesellschaft so verwurzelt und akzeptiert wie der Alkohol. Bislang galten zwei Gläser Bier oder ein Glas Wein am Abend als unbedenklich. Zu ganz anderen Ergebnissen kommt indes eine neue Studie des Stockholmer Karolinska Instituts.

    Ethanol - Hauptwirksubstanz des Feierabendbierchens - ist tatsächlich ein echter Killer: bis zu 100.000 Nervenzellen gehen nach dem Genuss eines einzigen Glases Bier zugrunde, schätzen Experten. In diese Lücken wachsen - entgegen früherer Lehrmeinung - dann jedoch neue Neuronen nach. Mit diesem Prozess beschäftigt sich Professor Stefan Brené vom Institut für Neurowissenschaften am Stockholmer Karolinska-Institut. Seine Testtrinker sind aber Labormäuse.

    "Jede Maus hatte zwei Trinkflaschen: eine mit Wasser und eine mit zehnprozentigem Alkohol. Sie konnten selbst auswählen. Der Versuch ging über zwei Monate. Und nach den zwei Monaten tranken sie etwa zu 60 Prozent aus der Alkoholflasche."

    Die Mäuse erreichten während des zweimonatigen Experiments regelmäßig einen Alkoholspiegel von etwa 0,2 Promille - das entspricht einem Alkoholgehalt des Blutes nach dem Konsum von ein bis zwei Gläsern Bier beim Menschen. Und genau darauf waren Brené und sein Team aus: sie interessierte nicht der Vollrausch, sondern der moderate, aber regelmäßige Alkoholkonsum. Nach zwei Monaten seligen Dauerrausches kam dann das böse Ende - die Mäuse wurden seziert, um herauszufinden, in welchen Arealen neue Gehirnzellen heranwuchsen.

    "Wir entdeckten, dass sich bei den Mäusen, die Alkohol getrunken hatten, vermehrt Nervenzellen im so genannten Hippocampus gebildet hatten. Dieser Bereich des Gehirns ist besonders wichtig für das Erinnern und Lernen."

    Eine schwedische Boulevardzeitung belohnte diese Erkenntnis mit einer eigenwilligen Interpretation: "Saufen schafft neue Gehirnzellen!", titelte das Blatt. Darüber kann der Neurowissenschaftler nur den Kopf schütteln. Er ist überzeugt, dass die sich in der Folge des Langzeitkonsums von Alkohol bildenden Zellen keinesfalls Indiz gesteigerter intellektueller Leistungen seien. Welche Bedeutung dem Ersatzgewebe zukommt, ist jetzt das nächste Ziel der Forscher:

    "Da die neuen Zellen in einem Bereich gebildet wurden, der mit Lernen und Erinnern zu tun hat, kam uns der Gedanke: Vielleicht sind diese Zellen die Träger einer Art Alkoholerinnerungsvermögens und damit die Grundlage zur Sucht."

    Das könnte erklären, warum "trockene" Alkoholiker so lange gefährdet sind, in die Sucht zurück zu fallen. Wenn sie erneut mit der Droge in Kontakt geraten, so Brené, könnte diese, in den neuen Zellen repräsentierte Erinnerung dazu beitragen, wieder exzessiv zu trinken. Eine weitere Parallele sehen die schwedischen Wissenschaftler zu dem Nachwachsen von Nervenzellen nach der Einnahme von Antidepressiva.

    "Eine Hypothese dazu ist, dass die Mäuse deprimiert sind und den Alkohol trinken, um sich besser zu fühlen. Also Alkohol als Antidepressivum. Und wie diese regt Alkohol die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus an."

    Trotz aller Ergebnisse - Ratschläge für den Umgang mit Alkohol wollen die Hirnforscher dennoch nicht geben. Nur so viel: Am besten sei es, man trinke so wenig wie möglich.

    [Quelle: Sascha Ott]