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Schöne neue Arbeitswelt

Die Zahl der Berufstätigen, die mit dem Lohn aus prekären Arbeitsverhältnissen wie 400-Euro-Job oder Leiharbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, steigt stetig. Ist das reguläre Angestelltenverhältnis ein Auslaufmodell?

Von Clemens Finzer | 26.09.2009
    Frankfurt am Main: In Deutschland gibt es immer weniger Menschen, die ein normales Arbeitsverhältnis haben. So ist die Quote in den vergangenen zehn Jahren von 72,6 auf nur noch 66 Prozent gesunken. Schuld daran ist die wachsende Zahl derer, die in Teilzeit, in 400-Euro-Jobs, als Leiharbeiter oder mit befristeten Verträgen arbeiten.
    Süddeutsche Zeitung vom 20. August 2009.
    Berlin: Die Chancen von Arbeitslosen, schnell eine neue Stelle zu finden, sind deutlich gesunken. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums gelang es 2006 noch fast jedem fünften Arbeitnehmer nach einer Kündigung nahtlos eine Anschlussstelle zu finden. 2008 war es nur noch fast jeder Achte, obwohl die Wirtschaftskrise noch keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hatte.
    Evangelischer Pressedienst vom 13. August 2009.
    Wiesbaden: Das Statistische Bundesamt hat bestätigt, dass überdurchschnittlich viele junge Menschen keine normale Vollzeitstelle mehr haben. Befristete Arbeitsverträge, Teilzeitarbeit, Zeitarbeit und Minijobs prägen den Berufseinstieg der Jugend in Deutschland. Eine Familie könne ein junger Mensch als Alleinverdiener damit nicht ernähren.
    Süddeutsche Zeitung vom 10. September 2008.

    "Flug 9430 nach Palma de Mallorca."
    Yvonne Alba Garcia kennt sich aus am Nürnberger Flughafen. Die 23-jährige Studentin ist in der Passage tätig, das heißt, sie checkt die Fluggäste und deren Gepäck ein, gibt bereitwillig Auskunft und sucht nach Lösungen, wenn ein Flugzeug mal wieder Verspätung hat und die Anschlussmaschine nicht warten will.
    Adrett in Uniform gekleidet, sitzt sie normalerweise an einem der vielen Schalter und verteilt die Passagiere auf Wunsch an einen Fenster- oder Gangplatz. Heute sind Yvonne und ihre Kollegin Marta Skowron aber nur Zuschauer, denn der erste Teil ihrer Schicht ist an diesem späten Vormittag bereits zu Ende. Von 6 Uhr 45 bis 9 Uhr 45 waren sie im Einsatz. Abends müssen beide dann noch mal ran. Von 17 Uhr 45 bis 20 Uhr 45. Daher können sie jetzt unbeschwert ihren Kollegen bei der Arbeit zusehen.

    Marta: "Wenn Sie sich die Koffer so angucken, ist das typisch für die Türkei, dass es riesige Gepäckstücke sind und meistens über 30 kg wiegen. Und gerade bei Flügen in die Türkei muss man sich oft mit den Passagieren streiten, wenn es um das Übergepäck bezahlen geht, das ist typisch."
    Die Türkei-Passagiere, aber auch innerdeutsche Geschäftsflieger, wenn ihre Maschinen Verspätung haben, kosten die meisten Nerven, sagen die Studentinnen. Geschäftsführer Karl-Heinz Krüger:
    "Für uns als Flughafen ist es sehr wichtig, auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen zu können, weil wir sehr stark operativ tätig sind und mit Spitzenzeiten dieses operative Arbeiten einhergeht. Das ist eigentlich der Hauptgrund. Man kann in den Spitzenzeiten oder muss in den Spitzenzeiten auf Personal zurückgreifen können, um die gesamten Arbeiten leisten zu können."
    Auch Yvonne und Marta gehören zur Leiharbeitsfirma Airpart, einer hundertprozentigen Tochter der "Flughafen Nürnberg GmbH". Für die beiden Studentinnen ist dieses Arbeitsverhältnis optimal: Zeitlich begrenzt für die Dauer des Studiums oder vielleicht auch noch kurz danach und mit flexiblen Arbeitszeiten. So können sie das gut mit ihrem Studium takten.
    "Ich kann mal eine Woche viel arbeiten, dann mal eine Woche wenige. Das ist für mich perfekt, dass ich sage, ich habe Klausuren, ich komme zwei Wochen gar nicht. Das geht bei einem festen Job nicht so leicht."

    "Also acht Stunden am Stück ist natürlich angenehm, weil wir eben bestimmte Stundensätze im Monat erfüllen müssen und wenn wir dann längere Schichten haben, desto weniger müssen wir eben hier reinkommen."
    Was die beiden Studentinnen mental arbeiten, wie sie sagen, das müssen die Männer in der Gepäckabfertigung mit ihrer Körperkraft tun. Über eine Rutsche fallen ihnen die Koffer geradezu vor die Füße. Sie müssen diese dann auf den Gepäckwagen hieven und später in den Flieger. Bei übergewichtigen Koffern beispielsweise in Richtung Türkei eine Knochenarbeit.

    In Spitzenzeiten sind alle zwanzig Rutschen in Betrieb, teilweise sogar doppelt belegt. Dann müssen hier sechzig Mitarbeiter ran. An diesem späten Vormittag geht es dort aber eher ruhiger zu. Reto Manitz, Pressesprecher des Flughafens Nürnberg:

    "Auch das ist Arbeitsalltag vom Prinzip her, das sich aufgrund der unterschiedlichen Flugplanzeiten ergibt. Man hat natürlich Zeiten, wo extremer Stress ist und dann gibt es Zeiten, wo man in Ruhe auch mal eine Zigarette rauchen kann. Ich denke, das gehört zum Flughafen dazu und die Auslastung ist nicht über den ganzen Tag gleich. Aber auf der anderen Seite, bei der körperlichen Arbeit, ist das auch mal wichtig."
    Atemholen in ruhigeren Zeiten, aber auch stundenlanges Warten, wenn ein Flieger Verspätung hat. Für viele Mitarbeiter ist das verlorene Zeit. Für die Festangestellten gibt es Überstunden, sagt Betriebsrat Friedrich Bauer. Bei den Leihmitarbeitern ist das anders:

    "Da werden die Mitarbeiter einfach angesprochen: Ihr müsst heute ein oder zwei Stunden länger arbeiten, weil – ja das sehen sie dann meistens selber – dann ist eine Lücke da. Die Flugzeuge fehlen einfach. Dann müssen sie entsprechend weitermachen, es hilft nichts."
    Etwa so viele Leiharbeiter wie feste Mitarbeiter sind am Nürnberger Flughafen beschäftigt. Für Geschäftsführer Krüger ein wichtiger Bestandteil, um im Wettbewerb bestehen zu können. Gerade als Unternehmer in öffentlicher Trägerschaft – der Flughafen gehört je zur Hälfte dem Freistaat und der Stadt Nürnberg – muss er besonders gut wirtschaften. Genau dafür sind aber auch Leiharbeitskräfte da: um in Spitzenzeiten oder unter besonderen Belastungen den Betrieb aufrechterhalten zu können. Finanziell lohnt sich das für den Flughafen. Denn im Durchschnitt kosten Leihmitarbeiter die Firmen ein Viertel weniger als die Stammbelegschaft.
    Betriebsrat Friedrich Bauer:
    "Es gibt sicher bestimmte Lebenssituationen, wo man sich mit einem flexiblen Arbeitsverhältnis gut über die Runden retten kann. Stichwort Studenten oder Schüler, die etwas dazu verdienen wollen. Auch am Anfang der beruflichen Laufbahn ist es auch mal zu ertragen, dass man fünf Jahre vielleicht mal nicht so ein stabiles Arbeitsverhältnis hat. Aber gerade dann, wenn man Familien mit Kindern hat, möchte man auch eine gewisse Lebensplanung einfach machen. Das ist bei Leihmitarbeitern schwerlich möglich und wir haben auch aktuell festgestellt, dass in anderen Branchen Leihmitarbeiter die Ersten sind, die unter einer schlechten Wirtschaftslage leiden."
    Aber nicht nur dort. Denn die Finanz- und Wirtschaftskrise hat auch den Flughafen Nürnberg erreicht. Die Auslastung dort ist gesunken, das operative Aufkommen macht derzeit weniger Arbeitskräfte erforderlich. Geschäftsführer Krüger.
    "Klar ist natürlich auch, dass in Problemzeiten, wie wir sie jetzt auch haben, dass dann natürlich ein gewisser Teil an Leiharbeitern reduziert wird. Das ist ganz klar und ist auch normal, so schlimm es auch wieder für den Einzelnen ist, der dadurch betroffen wird. Für die andere Seite ist das wieder die Sicherheit zu wissen, dieses Unternehmen ist stabil, das garantiert uns die Arbeitsplätze und es gibt eben eine gewisse Anzahl, die die Spitzen abdecken und das andere Geschäft übernehmen müssen."
    Sowohl Geschäftsführer Krüger als auch Betriebsratsvorsitzender Bauer sind sich einig, dass – verglichen mit anderen Flughäfen - die Verhältnisse für Leihmitarbeiter am Nürnberger Flughafen einigermaßen zufriedenstellend sind. Vor etwa zehn Jahren konnten Betriebsrat und Geschäftsführung ein Abkommen vereinbaren, das Umfang und Bedingungen der Leiharbeit regelt. Von der "Insel der Seligen" spricht Bauer seither gerne und verweist auf die Malediven. Doch auch diese versänken langsam im Meer. So ist Kündigungsschutz in der Praxis so gut wie nicht existent und gerade ältere und kranke Leihmitarbeiter hätten es besonders schwer. Anders als Festangestellte, könnten diese nicht anderswo eingesetzt werden, wenn sie ihre fünf Tonnen Gepäck in 20 Minuten nicht mehr schafften. Geschäftsführer Krüger:
    "Das ist ein anderes Arbeiten, das ist eine andere Beschäftigung. Da soll man auch gar nicht drum herum reden. Wir versuchen im einen oder anderen Fall mit einzuwirken, aber das können Sie gar nicht machen. Das ist Aufgabe dieser Firma, die vermittelt und da kommt es darauf an, dass die eben auch ihre Vorgaben und moralische Verpflichtung darin sieht, damit umgehen zu können. Aber das Geschäft ist natürlich hart und das weiß man auch."

    Moralische Verpflichtungen in der Arbeitswelt: Das ist etwas, was sich
    viele wünschen. Doch Zeitarbeit oder Leiharbeit sei ein hartes Geschäft und besonders in Zeiten wie diesen, sagt Jürgen Reinhardt, Betriebsrat der Zeitarbeitsfirma Randstad. Er kennt die Vorwürfe, die immer wieder gegen seine Branche erhoben werden, sehr gut.
    "Es gibt viele Zeitarbeitsfirmen, die würden liebend gerne vernünftig mit ihren Leuten umgehen, aber es gibt auch viele Firmen, die überall Ja sagen und jedes Geschäft mitnehmen und das muss in der Regel der Mitarbeiter ausbaden. Und dann kommen solche Sachen: Wenn kein Einsatz da ist, unbezahlter Urlaub genommen werden muss oder die Leute rausschmeißt und die Stunden nicht mal bezahlt in die Kündigungsfrist hinein und und und, das passiert schon relativ oft."
    Im Rahmen der sogenannten Deregulierung wurden die einst relativ strengen Vorschriften über Leiharbeit so weit gelockert, dass sie heute kaum noch jemand kennt. Ein Beispiel: Der Gesetzgeber hat die Befristung eines Leiharbeitsverhältnisses schrittweise aufgeweicht. Waren ursprünglich nur drei Monate erlaubt, wurden es sechs, später neun und schließlich 24 Monate. Seit 2004 gilt sogar überhaupt keine Befristung mehr.
    "In der Zeit, wo die Fristen noch da waren, da ist sehr viel übernommen worden vom Kunden. Die haben gesehen, ich habe einen Auftrag, ich muss den abarbeiten. Dazu hole ich mir einen Zeitarbeiter rein oder mehrere und wenn die Auftragsbücher voll waren, dann hat man die irgendwann übernommen. Und das brauchen die Firmen jetzt nicht mehr, weil keine Befristung mehr da ist. Das hat sich 2004 geändert und seitdem sind die Übernahmen sehr stark zurückgegangen vor allem im Helfer-, im unqualifizierten Bereich."
    Doch wer kennt die Details? Ein Faktum, das unseriösen Anbietern und Leiharbeitsfirmen in die Hände spielt. Denn die Angst vor der Arbeitslosigkeit ist immens. Angst war auch für Rudolf Plankl ein Motiv, sich einen neuen Job zu suchen, umzuschulen und noch mal ganz von vorne zu beginnen. Als er 44 Jahre alt war, hat seine Firma dichtgemacht. Der gelernte Konditor im Außendienst stand von einem Tag auf den anderen auf der Straße. Zwei Kinder, verheiratet, da musste etwas geschehen. Doch sei er, wie Plankl sagt, zu alt und vor allem zu teuer gewesen für einen Job in seiner Branche.
    "Und da ich eine Bekannte gehabt habe in der ehemaligen Arbeitsstelle, deren Mann war im Sicherheitsdienst und habe hier, nachdem ich dort angefangen habe, meine Sicherheitsfachkraft-Prüfung gemacht."
    Seit nunmehr 15 Jahren ist Plankl nun bei einer Münchner Sicherheitsfirma. Vor etwa drei Jahren schickte ihn sein Arbeitgeber erstmals zum Einsatz bei einem Medienunternehmen. Dort sitzt er nun am Empfang, meistens nachts. Denn zwei Drittel seiner monatlichen Dienste dort sind Nachtschichten, manchmal sogar bis zu sieben nacheinander. Dann beginnt seine Arbeit um 6 Uhr abends und endet um 6 Uhr in der Früh.
    "Zwölf Stunden sind hart, aber wir haben immer etwas zu tun. Das sieht nur so aus, wenn wir da sitzen, weil das immer so stoßweise kommt und das kriegen die meisten ja gar nicht mit. Die gehen durch, das sind ein paar Bruchteile, ein paar Sekunden und den Rest sieht man dann nicht mehr, was hinter den Kulissen abläuft. Wie in jedem anderen Beruf auch. Wenn dann ein Promi kommt oder ein Moderator und den kennt man, dann ist das schon nett, bringt einen Lichtblick in die Arbeit."
    Kameraüberwachung, Rundgänge, Telefonate, Schlüsselausgabe, Zeitungen bereitstellen und vieles mehr. Die Nacht sei niemals langweilig, so Plankl. Sein "toter Punkt" liege meist zwischen drei und vier und wenn es auf das Ende der Schicht zugehe. Dann müsse er an die frische Luft und dann gehe es schon wieder, so Plankl. Dennoch hinterlassen die vielen Nachtdienste Spuren, fordert der Körper seinen Tribut.

    "Jeder Tag ist nicht gleich. Manchmal hängt einem das nach, das heißt, da ist man nicht Fisch und nicht Fleisch, da ist man zu nichts fähig. Wenn man mittags aufsteht, dann ist man eigentlich schon müde und man kommt nicht in die Gänge und andere Tage schläft man, dann ist man fit, dann kann man etwas unternehmen, was ich meistens auch mache."
    Das Einkommen reiche ihm, so Plankl. Dank der Nachtzuschläge komme er sogar auf bis zu siebzehnhundert Euro netto. Damit könne er seinen Lebensstandard halten, bis er in ein paar Jahren in Rente gehen wird. Angst habe er jetzt keine mehr, weder vor Arbeitslosigkeit noch vor irgendwelchen Gefahren im Dienst.
    "Was mich fuchst, ist, dass man über 50 keinen Job mehr kriegt. Das ist Tatsache. Man erlebt das nicht nur am eigenen Leib, ich erlebe es auch immer wieder bei anderen. Sobald man um die Mitte 40 ist, dann wird es schon kritisch, dann bewirbt man sich, ruft an, weil drin steht nur Telefon und dann wird schon gefragt 'Ja, wie alt sind Sie denn?' Dann sage ich 55 und dann sagt sie: 'Ja, ist eigentlich kein Problem, aber ich habe diese Woche noch zwei, drei Vorstellungsgespräche. Ich melde mich dann bei Ihnen!' Und Sie hören nie wieder etwas."
    Deshalb hat sich Wolfgang Ewald selbstständig gemacht: "World of Works" heißt seine Firma. Sein Slogan: "Die Vielfalt der Dienstleistungen". Das sind Kleintransporte, Umzüge, Kurierfahrten oder Hausmeisterdienste - alles, was ein Einmannunternehmen und sein Fahrzeug so leisten können. Mit 50 wurde er als Disponent bei einer großen Logistikfirma schlichtweg wegrationalisiert.
    "Habe schon versucht, Arbeit zu finden, weil es mir lieber gewesen wäre, wenn ich eine Stelle gefunden hätte, aber es kam nicht, es ging nichts. Egal, wo ich mich vorgestellt habe, Ausreden gab es Tausende, warum es gerade nicht geht und warum ich nicht der Richtige bin und da ich fast die zwei Jahre ausgereizt hatte mit dem Arbeitslosengeld, da musste ich irgend etwas unternehmen, dann hat es gebrannt, da war die Zeit da. Was machst Du jetzt? Resignierst Du oder machst Du doch etwas? Und da ich nicht der Mensch zum Resignieren habe ich halt etwas gemacht."
    Zwei feste Jobs hat Ewald derzeit für sein kleines Unternehmen an Land gezogen. Morgens fährt er Bücher vom Großhandel zu den einzelnen Buchhändlern. Dafür muss er um halb vier Uhr morgens aufstehen, im Winter sogar etwas früher. Man könne ja nie wissen, wie die Straßenverhältnisse sind, sagt er. Wenn er die Bücher ausgeliefert hat, dann macht er weiter bei einem Post-Abholservice für Großkunden. Zwei Touren stehen täglich auf dem Programm. Wenn dann noch Zeit bleibt, übernimmt er auch noch Kurierdienste – je nach Bedarf. Für Ewald dürften es aber noch ein paar Aufträge mehr sein, gerne auch mit einigen eigenen Angestellten.

    "Ich will mich mit aller Macht vergrößern, zwei, drei Autos haben zum Schluss, damit ich sagen kann, ich kann einigermaßen davon in der Rente leben. Ja, bleibt mir keine Wahl, kommt leider keiner vorbei und schenkt mir etwas. Der Staat sowieso nicht."
    Mehr als viertausend Euro Umsätze kann Wolfgang Ewald monatlich verbuchen. Das hört sich gut an. Doch abzüglich aller Kosten für den Wagen, Sprit, Versicherungen, die Firma, Buchhaltung, Krankenversicherung usw. blieben ihm kaum mehr als fünf- bis sechshundert Euro, wie er sagt. Deshalb ist der 55jähirge immer auf der Suche nach neuen Aufträgen. Doch das ist gar nicht so einfach.

    "Ich habe versucht, die letzten Monate etwas zu finden und habe jede Menge Kurierunternehmen angesprochen und habe mir, bevor ich eine Unterschrift druntergesetzt habe, erst einmal den Vertrag kommen lassen. Bei dem einen heißt es dann 1100 Euro in einen Fonds einzahlen, jeden Monat 45 Euro plus Mehrwertsteuer, Mitgliedsbeitrag und 38 Prozent erst einmal Abzug von jedem Auftrag. Der andere hatte für jedes, was ich falsch gemacht habe, Paket verschwunden, Paket kaputt oder sonst etwas 3000 Euro Strafe."
    Wer also einen dieser Jobs haben möchte, muss quasi noch Geld mitbringen. Aber nicht alle dieser Haken und Ösen sind auch illegal. Der Gesetzgeber hat viele Freiräume zugelassen, ganz gleich ob bei Zeitarbeit, 400-Euro-Jobs oder bei der Vergabe von Aufträgen. Und trotzdem sei die Nachfrage nach solchen Jobs ungebrochen groß, sagt Wolfgang Ewald. Vor allem Ausländer ließen sich darauf ein. Deutsche, so der Berufsfahrer, seien sich oft zu fein für diesen Job.
    Eigentlich müsste Wolfgang Ewald seine Hüften dringend operieren lassen. Aber er schiebt einen Eingriff immer wieder heraus. Schließlich muss er für diese Zeit einen Ersatz haben, der seine Geschäfte weiterführt. Aber einen guten Fahrer zu finden, sei gar nicht so leicht, so Ewald. Deshalb rückt er oft auch dann noch selber aus, wenn eine Grippe im Anflug ist, denn krank sein, kann er sich eigentlich nicht erlauben.

    "Ich spüre das manchmal, weil Leute mich fragen, was machen Sie für einen Beruf? Und dann habe ich so eine Scheu, zu sagen, ich bin Zimmermädchen, weil ich spüre die Tendenz darin, wenn man in diesem Beruf nicht ausreichend verdient, warum macht man das? - Und ich denke, jeder kann wissen, der es wissen möchte, wenn es ums Geld ginge, dann macht es keinen Sinn, das zu tun."
    Petra Köberlein ist Zimmermädchen in München. Sie hat Hotelfachfrau gelernt und ist mit Unterbrechungen seit 20 Jahren in diesem Beruf tätig. Bis vor einem Jahr hatte sie auch noch einen Job, von dem sie einigermaßen leben konnte. Doch dann passierte das, was in Fachkreisen der "Drehtüreffekt" genannt wird. Die Belegschaft wird rausgekegelt und zu schlechteren Bedingungen über eine Zeitarbeitsfirma wieder eingestellt. Bei Petra Köberlein war es der neue Geschäftsführer, der das Personal austauschte.

    "Wir alle haben den ganzen Tag normal gearbeitet, habe noch extra Arbeit bekommen und dann kam der Besitzer und hat uns die Briefumschläge gegeben und gesagt, morgen brauche ich nicht mehr zu kommen. Es war kein Dank für die geleistete Arbeit, kein Angebot, 'wie machen wir das jetzt? Ich schreibe Ihnen ein Zeugnis' oder 'Es tut mir leid', nichts dergleichen."
    Aus Angst arbeitslos zu bleiben, heuerte sie bei der Firma an, die künftig im Hotel die Zimmer reinigen sollte, aber zu erheblich schlechteren Bedingungen.

    "Was wirklich anders ist, ist erst einmal das Einkommen. Es ist nicht nur etwas weniger, ich sage mal fast die Hälfte weniger, weil einfach auch der ganze Abrechnungsmodus anders ist. Ich werde nicht nach Zeit bezahlt, sondern nach der Zahl der Zimmer, die ich fertigmache und die kontrolliert werden. Ich fühle mich auch nicht mehr so frei in meiner Arbeit. Ich werde wirklich kontrolliert, obwohl ich gut eigenverantwortlich arbeiten kann und es fehlt, was man an vielen Dingen merken kann, die persönliche Wertschätzung."
    Ihre Lebensfreude hat die 51-jährige Unterfränkin aber dennoch nicht verloren. Und ein kleiner Lichtblick hat sich aufgetan: Sie hat eine feste Stelle in Aussicht in einem Münchner Hotel. Vielleicht erhält sie endlich dort die Wertschätzung, die ihr für ihre Arbeit zusteht.

    Politikerversprechen und Stammtischparolen wie "Hauptsache Arbeit!" machen sie bis heute sprachlos.