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Schönheit und Wahrheit

Dieter Henrich und Robert Spaemann haben beide die Fragen der Ästhetik befasst, Henrich in Büchern, Spaemann zuletzt in Vorlesungen zur Kunstphilosophie. Das Philosophische Seminar der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität hat den Jubilaren jetzt die Ehre erwiesen, mit einem eigens eingerichteten Symposium, in dem ein klassisches Thema verhandelt wurde. Überschrift: "Zur Bedeutung ästhetischer Fragen für die Philosophie".

Von Knut Cordsen |
    Man hatte sie willkommen geheißen als "die beiden majores", die beiden Alten - Dieter Henrich und Robert Spaemann -, und erwies ihnen in Form einer Tagung Reverenz in den etwas geheimlogenhaft hinter geschlossenen Fensterläden gelegenen Räumen der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung am Südlichen Schlossrondell im nobeln Münchner Stadtteil Nymphenburg. Es galt, zwei "Hebammen" eines besseren Kunstverständnisses, der philosophischen Ästhetik zu feiern. Im Arbeitszimmer seines Lehrers Spaemann, berichtete sein Schüler Thomas Buchheim, habe ein Bild des spanischen Malers Antonio Tàpies gehangen.

    "Was das Kunstwerk von sich aus tut, nämlich sehen lehren oder etwas zeigen, das tut es leichter und sicherer, wenn Robert Spaemann einem hilft, es zu entdecken."

    Robert Spaemann seinerseits machte in seinen Anmerkungen darauf aufmerksam, dass so mancher Philosoph zur Erklärung oder Verdeutlichung weltlicher Phänomene auf berühmte Kunstwerke zurückgegriffen habe ...
    " ... weshalb ja zum Beispiel Leibniz, wenn er seine Definition der Liebe exemplifiziert, ganz ungeniert ein Bild von Raffael als Beispiel wählt. Wenn er verdeutlichen will, was Liebe ist, sagt er: unser Verhältnis zu einem Bild von Raffael."

    Dass die Kunst ein von Lust begleitetes Erkunden der Welt ermögliche, indem sie bewegt, erschüttert, und dass sie gerade indem sie befremdet auch befreit, kurz: dass die Kunst erst dem Leben "eine Bewandtnis" verleiht, das ist einer der zentralen Sätze von Dieter Henrich. Wie wir aber Kunst aufnehmen - rein kognitiv oder doch eher sehr emotional -, das war eine der Fragen, über die man auf der Münchner Tagung stritt. Henrich gestand zu, dass man das gefühlsmäßige Moment bei der Wahrnehmung, bei der ästhetischen Wertschätzung nicht zu gering achten dürfe.

    "Wenn die Philosophie auch dazu tendiert, sich als höchste Form der Selbstverständigung des Menschen zu verstehen, so ist dem doch oft nicht nur von Priestern, sondern auch von Künstlern widersprochen worden. Unter ihnen sind auch von der Philosophie selbst inspirierte Künstler wie Beethoven, Hölderlin und Beckett gewesen."

    Auf Samuel Beckett kam auch der Philosoph Ulrich Pothast zu sprechen. Er berichtete davon, dass sich in Becketts Roman "Murphy" einige Verweise auf Leibnizsche Monaden finden ließen und verwies darauf, dass der Lieblingsspruch des Iren aus "Malone Dies" - "Nichts ist wirklicher als das Nichts" - vulgarisierter Demokrit ist. Pothast, der vor vielen Jahren schon eine Untersuchung über die Anwendung von Schopenhauers Ästhetik durch Samuel Beckett vorlegte, hatte gerade im Trinity College Dublin unveröffentlichte Manuskripte Becketts gesichtet.

    "Es gibt zum Beispiel ein über 500 Seiten langes, in Becketts ganz kleiner Handschrift oder im einzeiligen Typoskript verfasstes Manuskript, in dem er sich die Geschichte der Philosophie zu vergegenwärtigen versucht, häufig mit Exkursen zu ästhetischen Fragen. Also es scheint mir so, dass dieser Autor Beckett doch außerordentlich intensiv sich mit Philosophie befasst hat und von Philosophie sehr viel genommen hat."

    Ebenfalls auf ein Beispiel aus der Literaturgeschichte bezog sich Martin Seel. Er zitierte ein kurzes Gedicht des Amerikaners William Carlos Williams und demonstrierte anhand dieses zum langsamen, vertiefenden Lesen zwingenden Poems die "zeitgebende und gegenwartspendende Energie" aller großen Kunst. "Between walls", Zwischen Mauern, heißt das scheinbar einfache Gedicht.

    "Hans Magnus Enzensberger hat das Gedicht folgendermaßen ins Deutsche übertragen: 'Zwischen Mauern / die Hinter - / höfe eines Krankenhauses / wo gar nichts / wächst / dort liegt / Asche / aus der die / Scherben / einer grünen Flasche / glitzern."

    Dieses Gedicht, so Seel, handele nicht nur von einem verweilenden Blick, sondern verlange ein ebensolches Verweilen, ein Sich-Vertiefen, die "rückhaltlos kontemplative Betrachtung der Welt". Auch wenn keiner der Teilnehmer des Münchner Symposiums der Kunstreligion das Wort reden wollte, so war doch am Ende klar, dass die Philosophie mit einem gewissen Neid auf die Möglichkeiten der Kunst sieht, mit der die die "Komplexion der Welt" einzufangen vermag. Die Kunst ist nach Meinung von Dieter Henrich eine große "Integrationswelt". Und so gilt nach wie vor der Satz von Albert Camus: "Wäre die Welt in sich klar, gäbe es keine Kunst."