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Schon jeder Dritte leidet unter Allergien

Jeder Dritte leidet hierzulande mittlerweile unter einer Allergie und dieser Anteil steigt noch immer. Doch wer reagiert auf welche Faktoren allergisch? Oft wird das schon im Mutterleib entschieden. So das Resultat verschiedener europäischer Langzeit-Studien. Experten aus 16 Ländern haben sich letzte Woche in Berlin getroffen und auf der Jahreskonferenz des Europäischen Allergie- und Asthma-Netzwerkes GA2LEN über Ursachen und neue Behandlungsmöglichkeiten diskutiert.

Von William Vorsatz |
    Nahezu jede Familie ist betroffen. Irgendein Mitglied reagiert fast immer auf irgendetwas allergisch. Professor Torsten Zuberbier, Generalsekretär des europäischen Allergie- und Asthma-Netzwerks "GA2LEN"

    "Wir haben in den letzten zwanzig Jahren gesehen, es ist kontinuierlich angestiegen. Inzwischen sind ungefähr 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung von verschiedenen Formen der Allergie betroffen. Es kommt langsam, langsam zu einem Plateau, aber wir haben noch keine Studien, die zeigen, dass wir wirklich dieses Plateau erreicht haben. "

    So sind Kinder und Jugendlich beispielsweise besonders stark von der Pollenallergie betroffen. Bei einer Allergie reagiert das Immunsystem praktisch auf Fehlalarm: Der körpereigenen Abwehr wird signalisiert, dass da ein gefährlicher Angriff drohe - bei eigentlich harmlosen Stoffen. Ob das Immunsystem später mit Kanonen auf Spatzen schießt, wird oft schon recht früh entschieden. Das Allergienetzwerk GA2LEN hat erstmals ein Dutzend großer Studien verschiedener europäischer Länder ausgewertet.

    Für diese Studien haben die Experten werdende Mütter und ihre Kinder untersucht und befragt. Außerdem führten sie Schadstoffmessungen im Wohnbereich durch. Professorin Erika von Mutius vom Kinderspital der Ludwig-Maximilian-Universität München:

    " Der Faktor, der in allen Studien wirklich auftaucht und in allen Studien konsistent auftaucht, ist die Rauchbelastung. Vor allem durch die Mutter. Wenn die Mutter auch schon in der Schwangerschaft geraucht hat, dass das ein ganz erheblicher Risikofaktor ist für die Entstehung von Asthma und auch Allergien. Es ist dieser Schwangerschaftsfaktor. Es ist irgendetwas: wenn die Mutter in der Schwangerschaft raucht, dass das irgendwie auf das ungeborene Kind diesen Einfluss hat. Wie das genau funktioniert, wissen wir nicht, aber das verändert offenbar irgendwie das Immunsystem in einer Art und Weise, dass es das Risiko für Asthma und Allergien erhöht. "

    Der Ruß aus Dieselfahrzeugen ist ebenfalls sehr problematisch. Die Studien belegen, dass der Feinstaub stark belasteter Gegenden rund 50 Meter um viel befahrene Straßen auch zu Allergien und Asthma führen. Hier reagieren die Kinder doppelt bis dreimal so häufig allergisch. Und der seit längerem gehegte Verdacht, Schadstoffe verändern hier die Pollen und machen sie aggressiver, scheint sich zu bestätigen.

    Zu anderen Faktoren sind die Resultate widersprüchlicher. Beispielsweise bei Haustieren. Hunde scheinen in der Regel keine Allergien auszulösen, Katzen dagegen eventuell. Proffessorin Muntius:

    "Früher war ja immer das Bild, dass man gesagt hat, eine Katze im Haushalt, wenn die Familie allergisch ist, gehört nicht in dieses Haus. Es gibt jetzt Daten, die sagen, dass, wenn die Katze schon vorhanden war, vor der Geburt des Kindes, dass das möglicherweise gar nicht so schlecht sondern gut sein kann, aber die Datenlage ist verwirrend. "

    Warum sind dann aber Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen und mit vielen Tieren in Kontakt kommen, weniger betroffen? Die Experten glauben, das Immunsystem habe hier durch die natürlichen Erreger und Mikroorganismen aus der Umgebung genügend "zu tun". Selbst erzeugte Lebensmittel wie die frische Kuhmilch vom eigenen Hof fordern die körpereigene Abwehr ebenfalls heraus. Asthma und Allergien werden so seltener auftreten, auch wenn diese Kinder später unter anderen Bedingungen leben, etwa in einer Großstadt. Dieses Beispiel zeigt, wie bedeutend die Umwelt ist. Allergien haben zwar auch etwas mit den Erbanlagen zu tun. In bestimmten Familien häufen sich die Fälle. Aber die europäischen Studien zeigen auch: Immer häufiger erkranken heute Kinder aus Familien, die bisher komplett verschont wurden.

    Nur jede zehnte Allergie werde bisher richtig behandelt, schätzt GA2LEN-Generalsekretär Zuberbier. Noch immer werden die Nebenwirkungen vieler Allergie-Medikamente befürchtet:
    " Das war früher so. Das ist richtig. Aber es hat erhebliche Neuentwicklungen gerade in den letzten Jahren nochmals gegeben, gegeben. Das wir inzwischen so genannte Antihistaminika zur Verfügung haben, die nicht mehr ins Gehirn gehen. Die garantiert nicht müde machen. Und die auch nicht mehr in der Leber verstoffwechselt werden und dadurch auch keine Wechselwirkungen mit Medikamenten, mit Alkohol, mit Nahrungsmitteln haben. Und ähnlich wie eine Steckdosensichereung wirken. Die blockieren diesen Allergiewirkstoff Histamin an den Zellen und dadurch schaffen sie Erleichterung. "

    Neuere kortisonhaltige Nasensprays sind inzwischen ebenfalls gut verträglich, weil sie besser abgebaut werden. Auch mit der Hyposensibilisierung haben die Allergologen weitere gute Erfahrungen gesammelt: hier werden den Patienten die allergieauslösenden Substanzen zwar gespritzt oder als Tropfen verabreicht: allerdings nur in langsam steigende Dosierungen - der Körper kann die richtige Reaktion trainieren. Die Akupunktur wird mittlerweile ebenfalls von der Schulmedizin akzeptiert.

    Eltern können jedoch einiges tun, um ihre Kinder frühzeitig vor einer Allergie zu schützen: Vor allem durch Nichtrauchen und schadstoffarme Umgebung. Und indem sie den Nachwuchs immer wieder zu Spiel und Bewegung in frischer Luft animieren. Obst und Gemüse beugen ebenfalls vor.