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Schon wieder ein Junge

Medizin. - Eltern mögen es gerne ausgewogen - zu der Tochter einen Sohn und vice versa. Doch manchmal ist es wie verhext, es kommen nur Töchter oder Söhne. Wie Forscher jetzt herausfanden, stammt das Gesetz zu solchen Serien aus den Genen.

Von Michael Lange |
    Es ist wie verhext. Familie Müller hat schon drei Töchter und immer noch keinen Stammhalter. Während die Schmidts von nebenan sich nach drei Jungs nichts sehnlicher wünschen als eine Tochter. Ob sich die Wünsche der beiden Familien erfüllen, entscheidet nicht nur der Zufall. Die Wahrscheinlichkeit – ob Sohn oder Tochter - hat auch mit Genetik zu tun. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Statistik, die Corry Gellatly von der Universität Newcastle erstellt und in einer Fachzeitschrift für Evolutionsbiologie veröffentlicht hat.

    "Wenn man die Brüder und die Schwestern von Männern zählt und das Zahlenverhältnis berechtet, und sich dann die Kinder dieser Männer anschaut, dann stellt man fest: das Verhältnis von männlichem zu weiblichem Nachwuchs vererbt sich irgendwie von einer Generation zur nächsten."

    Durch reines Rechnen hat Gellatly herausgefunden, dass die Vererbung über die väterliche Linie stattfinden muss. Biologisch macht das Sinn. Denn bei der Befruchtung entscheidet das Spermium, ob ein weiblicher oder ein männlicher Embryo entsteht. Befruchtet ein Spermium mit X-Chromosom die Eizelle, entsteht ein Mädchen, bei einem Spermium mit Y-Chromosom ein Junge.

    "Ich habe mir nahezu tausend Familienstammbäume angeschaut, meist aus Europa oder Nordamerika. Dann habe ich das Geschlechterverhältnis von Generation zu Generation verglichen. Dabei habe ich festgestellt: Das Verhältnis von Söhnen zu Töchtern wird über die Söhne weiter vererbt und nicht über die Töchter."

    Aus seinen Ergebnissen schließt der Populationsökologe Corry Gellatly, dass es ein Gen geben muss, dass die Wahrscheinlichkeit von männlichem oder weiblichem Nachwuchs irgendwie beeinflusst.

    "Ich kann vorhersagen, dass das Gen autosomal verebt wird. Das heißt: Es befindet sich nicht auf den Geschlechtschromomen X oder Y. Aber es wird nur in Männern aktiv, indem es die Zahl der X und Y-Chromosomen in den Spermien der Männer beeinflusst, und damit die Wahrscheinlichkeit, ob dieser Mann mehr Söhne oder mehr Töchter bekommt."

    An dieser Stelle endet die Forschung des Wissenschaftlers von der Universität Newcastle. Den statistische Effekt hat er mit Hilfe der Stammbäume eindeutig nachweisen können. Jetzt sind die Genetiker an der Reihe, das möglicherweise verantwortliche Gen zu finden. An dieser Stelle beginnt die Spekulation. Dieser Effekt, so heißt es in einer Pressemeldung der Universität Newcastle, liefert eine Erklärung, warum nach den beiden Weltkriegen in den betroffenen Ländern die Zahl der Jungen auf deutlich über 50 Prozent anstieg. Corry Gellatly hält das für plausibel.

    "Damals gab es Familien, die mehr Söhne hatten, und solche mit mehr Töchtern. Und bei den Familien mit mehreren Söhnen war die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Sohn lebend aus dem Krieg heimkehrte. Und wegen der Vererbung dieser Wahrscheinlichkeiten hatten die heimkehrenden Söhne ihrerseits mehr Söhne."

    Das freilich macht nur dann Sinn, wenn aus Familien mit mehreren Söhnen nicht alle eingezogen wurden, während Familien mit einem Sohn, diesen im Durchschnitt häufiger im Krieg verloren haben. Die Forschungsarbeit des Doktoranden Corry Gellatly ging samt Interpretationen um die Welt. Sogar das Zentralorgan der kommunistischen Partei von Vietnam berichtete darüber. Viele Medien machten leider keinen Unterschied zwischen Fakten und umstrittenen Interpretationen.