"- "Leon, sag mir doch bitte mal auf Englisch, wie viel Fenster in deinem Haus sind?"
- "I have twelve windows."
- "Sehr gut, Leon.""
Lobt Lehrerin Anna Gebbers-Fritsche ihren zwölfjährigen Schüler. Leon sitzt ihr jedoch nicht in einem Klassenzimmer gegenüber. Gut 100 Kilometer entfernt in Xanten folgt Leon den Lernübungen vor einem Computer in seinem Zimmer. Über das Dialogsystem Skype ist er seiner Lehrerin auf deren Computermonitor in Bochum zugeschaltet:
"Wir haben jetzt gerade Vokabeln vom Haus geübt. Und Leon hat ein Playmobil-Haus. Und wir haben auf Englisch besprochen, was alles in dem Haus ist."
Der Unterricht findet im Internet statt. Ganz individuell, denn Leon war nicht in der Lage, zusammen mit anderen Schülern zu lernen, erläutert Anna Gebbers-Fritsche:
"Weil er wegen seines Asperger-Autismus diese Gruppenkonstellation nicht ertragen konnte. Das ist für diese Kinder oft eine so große Stresssituation, dass sie einfach das, was sie können, nicht entfalten können."
Über den Monitor kann die Lehrerin beobachten, wie sehr sich Leon auf den Unterricht konzentriert. In seiner Heimatschule war das für ihn als Außenseiter nicht möglich.
"Die Schule, die ich vorher besucht hab, war schrecklich. Ich war vorher auf der Hauptschule und da haben mich immer alle gemobbt."
Vor der Internetkamera kennt er inzwischen keine Scheu mehr:
"Für viele Asperger-Autisten ist es schwer, eine direkte Situation, so wie wir jetzt gegenüberstehen, uns in die Augen schauen, auszuhalten. Deswegen ist oft der Bildschirm ein Medium, was dazwischen ist. Und dann können sie viel besser lernen und sich auf die Situation einstellen."
In den Anfangsjahren, als man kaum ein Dutzend Schüler betreute, standen am Jahresende rote Zahlen. Inzwischen aber, sagt Schulleiterin Sahra Lichtenberger, schreibe man ab etwa 60 Schülern zarte schwarze Zahlen, um solide wirtschaften zu können. Die jährlichen Einnahmen durch Gebühren liegen bei rund 600.000 Euro. Der Verdienst der Lehrkräfte orientiert sich an dem Tarif für angestellte Lehrer im öffentlichen Dienst. Bei den Betriebskosten schlagen vor allem die Leasingkosten und die Wartung der Computer und des Servers zu Buche. Eben den Unterrichtsmitteln einer Schule ohne Schulhof oder Klassenzimmer. Kein Lärm auf dem Flur. Lediglich große Abbildungen der Comicfiguren Tim und Struppi an den Wänden lassen Rückschlüsse auf die Arbeit mit Jugendlichen zu. Trotzdem werden in diesem hellen, lichtdurchfluteten Flachbau am Rand der Bochumer Innenstadt 60 Kinder und Jugendliche unterrichtet.
Und zwar hinter den Türen, die zu den Arbeitszimmern der fünf fest angestellten Lehrer führen, die an ihren Computern und vor Bildschirmen sitzen und ihren über Deutschland verstreuten oder im Ausland lebenden Schülern den Lernstoff vermitteln - über Skype, per Chat oder Telefon.
Die meisten der betreuten Schüler, sagt Schulleiterin Sarah Lichtenberger, sind bisher durch das Raster des Schulsystems gefallen. Aus unterschiedlichen Gründen:
"Chronisch kranke Kinder, psychisch kranke Kinder, Kinder in der Jugendhilfe oder auch Kinder, die aufgrund ihrer Karriere nicht mehr in die Schule gehen können."
Zu den Karriereschülern gehörten unter anderem Bill und Tom Kaulitz von "Tokio-Hotel", die auch während ihrer Tourneen rund um den Globus via Internet unterrichtet wurden und ihren Realschulabschluss geschafft haben. Aber auch die Jungdarsteller aus den Wickie-Filmen haben während der Dreharbeiten via Internet bei der Web-Individualschule keinen Lernstoff verpasst. Ebenso wenig, wie eine Elfjährige, deren Eltern auf der Südseeinsel Tonga ein Hotel betreiben.
Via Internet sind die Schüler überall zu erreichen, quer durch alle Zeitzonen. Auch Lynn Max Kempten, der eine Karriere als Tennisspieler anstrebt und nach eineinhalb Jahren die Realschulabschlussprüfung bestanden hat:
"Ich habe halt jeden Tag fünf bis sechs Stunden Training und bin auch oft im Ausland zu Turnieren mehrere Wochen unterwegs, sodass eine normale Regelschule es halt nicht mitmachen würde in dem Maße."
Die Lehrer der Web-Individualschule unterrichten außerdem Kinder, deren Eltern von großen deutschen Unternehmen ins Ausland versetzt werden, damit sie bei der Rückkehr an ihre Heimatschule keine Wissenslücken mitbringen.
Chronisch oder psychisch kranke Kinder benötigen dagegen eine andere Art der Vermittlung des Lernstoffes, betont Schulleiterin Lichtenberger. Schwierige Jugendliche wie etwa langjährige Schulverweigerer könne man kaum mit Mathematikbüchern motivieren, die sie schon aus ihrer Schulzeit kennen. Darum entwickeln die Pädagogen in solchen Fällen eigene Materialien, die sich am Interesse der Schüler orientieren:
"Wie zum Beispiel Formel 1 oder so was. Dass man dann einfach sagt: Wie viel Jahreskilometer fährt der Schumi. Oder jetzt der Vettel. Was sind das für Kurven, lass' uns die mal berechnen. Durch welche Länder fährt der, was sind da für Regierungen und so weiter."
Es geht aber nicht nur um eine einfallsreiche, individuelle Vermittlung des Stoffes. Gefragt sind bei gravierenden psychischen Problemen außerdem fraglos Einfühlungsvermögen und Geduld. Darum betreuen die fünf Lehrkräfte auch nur eine überschaubare Zahl von Schülern:
"Wir haben zum Beispiel auch Kinder und Jugendliche, die bei einem Amoklauf dabei waren und jetzt nicht mehr in der Lage sind, die Schule zu besuchen."
Die monatlichen Kosten in Höhe von rund 790 Euro übernehmen bei über 80 Prozent der Schüler die zuständigen Jugendämter. Klotzige Gewinne sind damit nicht zu erzielen, doch zehn Jahre nach der Gründung steht diese etwas andere Schule wirtschaftlich auf einem soliden Fundament. Bildung ganz individuell zu vermitteln, kann sich rechnen. Vorbereitet werden die Schüler auf den Haupt- und den Realschulabschluss sowie auf die Fachoberschulreife. Die Prüfungen finden übrigens vor einer externen Kommission an einer Kooperationsschule statt. Danach gibt es ein staatlich anerkanntes Abschlusszeugnis. Von den bisher etwa 140 Prüflingen ist noch niemand durchgefallen.
- "I have twelve windows."
- "Sehr gut, Leon.""
Lobt Lehrerin Anna Gebbers-Fritsche ihren zwölfjährigen Schüler. Leon sitzt ihr jedoch nicht in einem Klassenzimmer gegenüber. Gut 100 Kilometer entfernt in Xanten folgt Leon den Lernübungen vor einem Computer in seinem Zimmer. Über das Dialogsystem Skype ist er seiner Lehrerin auf deren Computermonitor in Bochum zugeschaltet:
"Wir haben jetzt gerade Vokabeln vom Haus geübt. Und Leon hat ein Playmobil-Haus. Und wir haben auf Englisch besprochen, was alles in dem Haus ist."
Der Unterricht findet im Internet statt. Ganz individuell, denn Leon war nicht in der Lage, zusammen mit anderen Schülern zu lernen, erläutert Anna Gebbers-Fritsche:
"Weil er wegen seines Asperger-Autismus diese Gruppenkonstellation nicht ertragen konnte. Das ist für diese Kinder oft eine so große Stresssituation, dass sie einfach das, was sie können, nicht entfalten können."
Über den Monitor kann die Lehrerin beobachten, wie sehr sich Leon auf den Unterricht konzentriert. In seiner Heimatschule war das für ihn als Außenseiter nicht möglich.
"Die Schule, die ich vorher besucht hab, war schrecklich. Ich war vorher auf der Hauptschule und da haben mich immer alle gemobbt."
Vor der Internetkamera kennt er inzwischen keine Scheu mehr:
"Für viele Asperger-Autisten ist es schwer, eine direkte Situation, so wie wir jetzt gegenüberstehen, uns in die Augen schauen, auszuhalten. Deswegen ist oft der Bildschirm ein Medium, was dazwischen ist. Und dann können sie viel besser lernen und sich auf die Situation einstellen."
In den Anfangsjahren, als man kaum ein Dutzend Schüler betreute, standen am Jahresende rote Zahlen. Inzwischen aber, sagt Schulleiterin Sahra Lichtenberger, schreibe man ab etwa 60 Schülern zarte schwarze Zahlen, um solide wirtschaften zu können. Die jährlichen Einnahmen durch Gebühren liegen bei rund 600.000 Euro. Der Verdienst der Lehrkräfte orientiert sich an dem Tarif für angestellte Lehrer im öffentlichen Dienst. Bei den Betriebskosten schlagen vor allem die Leasingkosten und die Wartung der Computer und des Servers zu Buche. Eben den Unterrichtsmitteln einer Schule ohne Schulhof oder Klassenzimmer. Kein Lärm auf dem Flur. Lediglich große Abbildungen der Comicfiguren Tim und Struppi an den Wänden lassen Rückschlüsse auf die Arbeit mit Jugendlichen zu. Trotzdem werden in diesem hellen, lichtdurchfluteten Flachbau am Rand der Bochumer Innenstadt 60 Kinder und Jugendliche unterrichtet.
Und zwar hinter den Türen, die zu den Arbeitszimmern der fünf fest angestellten Lehrer führen, die an ihren Computern und vor Bildschirmen sitzen und ihren über Deutschland verstreuten oder im Ausland lebenden Schülern den Lernstoff vermitteln - über Skype, per Chat oder Telefon.
Die meisten der betreuten Schüler, sagt Schulleiterin Sarah Lichtenberger, sind bisher durch das Raster des Schulsystems gefallen. Aus unterschiedlichen Gründen:
"Chronisch kranke Kinder, psychisch kranke Kinder, Kinder in der Jugendhilfe oder auch Kinder, die aufgrund ihrer Karriere nicht mehr in die Schule gehen können."
Zu den Karriereschülern gehörten unter anderem Bill und Tom Kaulitz von "Tokio-Hotel", die auch während ihrer Tourneen rund um den Globus via Internet unterrichtet wurden und ihren Realschulabschluss geschafft haben. Aber auch die Jungdarsteller aus den Wickie-Filmen haben während der Dreharbeiten via Internet bei der Web-Individualschule keinen Lernstoff verpasst. Ebenso wenig, wie eine Elfjährige, deren Eltern auf der Südseeinsel Tonga ein Hotel betreiben.
Via Internet sind die Schüler überall zu erreichen, quer durch alle Zeitzonen. Auch Lynn Max Kempten, der eine Karriere als Tennisspieler anstrebt und nach eineinhalb Jahren die Realschulabschlussprüfung bestanden hat:
"Ich habe halt jeden Tag fünf bis sechs Stunden Training und bin auch oft im Ausland zu Turnieren mehrere Wochen unterwegs, sodass eine normale Regelschule es halt nicht mitmachen würde in dem Maße."
Die Lehrer der Web-Individualschule unterrichten außerdem Kinder, deren Eltern von großen deutschen Unternehmen ins Ausland versetzt werden, damit sie bei der Rückkehr an ihre Heimatschule keine Wissenslücken mitbringen.
Chronisch oder psychisch kranke Kinder benötigen dagegen eine andere Art der Vermittlung des Lernstoffes, betont Schulleiterin Lichtenberger. Schwierige Jugendliche wie etwa langjährige Schulverweigerer könne man kaum mit Mathematikbüchern motivieren, die sie schon aus ihrer Schulzeit kennen. Darum entwickeln die Pädagogen in solchen Fällen eigene Materialien, die sich am Interesse der Schüler orientieren:
"Wie zum Beispiel Formel 1 oder so was. Dass man dann einfach sagt: Wie viel Jahreskilometer fährt der Schumi. Oder jetzt der Vettel. Was sind das für Kurven, lass' uns die mal berechnen. Durch welche Länder fährt der, was sind da für Regierungen und so weiter."
Es geht aber nicht nur um eine einfallsreiche, individuelle Vermittlung des Stoffes. Gefragt sind bei gravierenden psychischen Problemen außerdem fraglos Einfühlungsvermögen und Geduld. Darum betreuen die fünf Lehrkräfte auch nur eine überschaubare Zahl von Schülern:
"Wir haben zum Beispiel auch Kinder und Jugendliche, die bei einem Amoklauf dabei waren und jetzt nicht mehr in der Lage sind, die Schule zu besuchen."
Die monatlichen Kosten in Höhe von rund 790 Euro übernehmen bei über 80 Prozent der Schüler die zuständigen Jugendämter. Klotzige Gewinne sind damit nicht zu erzielen, doch zehn Jahre nach der Gründung steht diese etwas andere Schule wirtschaftlich auf einem soliden Fundament. Bildung ganz individuell zu vermitteln, kann sich rechnen. Vorbereitet werden die Schüler auf den Haupt- und den Realschulabschluss sowie auf die Fachoberschulreife. Die Prüfungen finden übrigens vor einer externen Kommission an einer Kooperationsschule statt. Danach gibt es ein staatlich anerkanntes Abschlusszeugnis. Von den bisher etwa 140 Prüflingen ist noch niemand durchgefallen.
