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Schuld und Palme

Die Regisseurin Thirza Bruncken hat an diesem Wochenende ihr Debüt am Deutschen Nationaltheater in Weimar gegeben. Und zwar mit dem selten gespielten Goethe-Stück "Die Mitschuldigen". Wie Gesellschaft sein soll fragte das zweite Stück, das es in Weimar zu sehen gab, nämlich: "Utopie unter Palmen", eine Zusammenarbeit des jungen Regieschulabsolventen Nico Dietrich und der Autorin Steffi Hensel.

Von Hartmut Krug |
    Erwartungen erfüllen, ohne sie zu bedienen ist die Aufgabe, der sich das Nationaltheater Weimar immer wieder zu stellen hat. Denn sein Publikum verlangt stets aufs Neue nach den Stücken der beiden Dichter, die gemeinsam auf einem Denkmalssockel vor dem Theater stehen. Eine Schillerkonferenz, eine heftig umstrittene "Räuber"-Performance sowie eine "Räuber"-Inszenierung, aber auch eine chorische "Maria Stuart" bot diese Spielzeit bisher, und jetzt war Goethe an der Reihe.

    Nun sind "Die Mitschuldigen", in deren Weimarer Uraufführung im Herzoglichen Liebhabertheater im Jahr 1776 Goethe selbst mit Corona Schröter auf der Bühne stand, nur äußerst selten auf der Bühne zu sehen. Diese noch von der commedia dell’ Arte geprägte burleske Typenkomödie hat allein mit dem vorangehenden Schäferstück "Die Laune des Verliebten" das von Goethe während seiner Frankfurter Studienzeit über sein Frühwerk verhängte "Haupt-Autodafé" überlebt.

    Heute bezieht sie allein noch Bedeutung daraus, Dokument der künstlerischen Entwicklung des Dramatikers Goethe zu sein. In Weimar spielt man die zweite, dreiaktige Fassung von drei überlieferten. Die Geschichte von der Wirtstochter Sophie, die einen nichtsnutzigen, faulen Mann geheiratet hat und mit der Rückkehr ihres einstigen reichen Geliebten Alcest als Gast im Wirtshaus ihres Vaters konfrontiert wird, kulminiert in einer nächtlichen Verwirrszene, in der alle Personen auf unrechten Wegen sind. Wenn der gehörnte Ehemann zum Dieb wird, gerät die bürgerliche Welt aus den Fugen, "Es wankt das ganze Haus", sagt Sophie, dennoch herrscht bei Goethe am Schluss moralische Neutralität und alles bleibt beim Alten.

    Nicht so in der Inszenierung von Thirza Bruncken. Bei ihr im- und explodiert die Welt gegen alle Ordnungsbestrebungen von Kleinbürgern, die durch ständig wechselnde mediale Rollenmuster rasen. Die Bühne ist ein aufgeschnittenes, hölzernes Puppenhaus mit vielen großen Schubladen, durch die sich kräftig toben lässt. Kochherd und Empfangsraum mit Telefon, Esstisch und Gästebett sind hier auf einem Ort zusammengeräumt, und zwei menschengroße Puppen fungieren zwischen den vier Schauspielern wie Zitate des alten Lustspiels.

    Zu Beginn arbeitet Sophie an Spinnrad und Butterfass und stickt am Federhut. Dann verwandeln sich vor einer wilden Flut von Videoprojektionen mit Mangas, Comix, Aliens und Stadtbildern alle mit Gummimasken unentwegt in neue Figuren. Da trifft ein blondbezopftes Gretel auf einen Alcest als Monster, Elvis und Marilyn treten gegeneinander in Rocksongs auf, und Märchen-, Mythen- und Brecht-Zitate begraben unter sich die schmale Geschichte mit Goethes Alexandrinern. Die Regisseurin überschüttet ihre Vorlage mit Anspielungen, Bildern und Bedeutungen und überführt die in der Typenkomödie angelegte Mechanik des Agierens in ausgestellt maschinenhafte Überdrehtheit.

    Dabei geht es auch um Kitsch und Klischees, weshalb ein riesiger Panda herein schwebt, der an Bilder und Figuren von Paul Mc Carthey oder Jeff Koons denken lässt. Leider lässt die Regisseurin ihre Inszenierung in volksbühnenhaftem Trümmerchaos mit Milchgespritze und Tomatengemansche enden, und statt Versöhnung gibt es nur Gewalt und Sex: all dies aber bleibt leider nur selbstreferentielles, gehampeltes Überdrehtheitsspiel, dem die Darsteller körpersprachlich kaum je gewachsen sind. Schlimmer: Goethes farcenhaftem Lustspiel wird mit diesem ehrgeizigen Regietheater alle Komik ausgetrieben.

    Als einen Transformationstext mit der Aufforderung "Simultantität rules" bezeichnet dagegen die 26-jährige Brandenburgerin Steffi Hensel ihr Stück "Utopie unter Palmen", das der gleichaltrige Regisseur Nico Dietrich bei seiner Diplominszenierung im E-Werk, der kleinen Spielstätte des Nationaltheaters, nur sehr unvollkommen und undeutlich auf die offene Bühne brachte. Das Stück handelt vom spanischen Bürgerkrieg, aber vor allem geht es um die Bilder, die man sich von der Fremde und den Fremden macht. Hier gibt es auf der einen Ebene die Utopie von revolutionärer Veränderung als Selbstverwirklichungsmodell, auf der anderen das Fremde und die Fremden als Material und Mittel zur Selbsterkenntnis, und dazu kommen beständig neue Spielebenen: vom Kampf um Malaga, aber auch mit Anspielungen auf deutschen Koloniebestrebungen und auf den Dichter Lorca.

    Kurze, knappe Szenen sind das, zwischen Journalistin, Legion-Condor-Flieger und einem Interbrigadisten aus Deutschland sowie einer spanischen Anarchistin. Der leere Spielraum mit seinem Laufstegkreuz wird als große freischwebende Halle in märkischer Heide vorgestellt, in dem ein Tropical Island als Erlebnispark eingerichtet ist. Ein rotes Band wird durchschnitten, bunte Cocktails werden gereicht und die vier jungen Darsteller versuchen sich, in dem sie die Regieanweisungen sprechen und so tun, als wenn sie alle spielerischen Verabredungen gerade erfänden, mit dem Stück durch unsere Vorstellungswelt zu spielen.

    Dabei gelingt es ihnen leider weder, die wechselnden Rollen in ihren fließenden Übergängen deutlich zu machen noch die ineinander geschachtelten Denk- und Sinnebenen des Stückes in spielerische Sinnlichkeit und sinnhafte Klarheit zu überführen. Steffie Hensels Stück "Utopie unter Palmen" ist wesentlich stärker, als es die eher hilflose Weimarer Uraufführung zu vermitteln vermag.

    Was bleibt vom Premierendoppel des Nationaltheaters Weimar, ist der sympathische Impuls, gegen herkömmliche Erwartungen neue Wege zu gehen und neue Fragen zu stellen. Das Publikum honorierte dieses Bemühen durchaus mit Anerkennung und Zustimmung.