Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Schuldspruch gegen einen Toten

Schuldig wegen Steuerflucht, so lautet das Urteil des Moskauer Gerichts. Angeklagt war der regierungskritische Anwalt Sergej Magnitskij. Doch das Strafmaß spielt für ihn keine Rolle mehr. Denn Magnitsky starb 2009 in der Untersuchungshaft, vermutlich wegen unterlassener Hilfeleistung.

Von Gesine Dornblüth | 11.07.2013
    Mit leiser Stimme, kaum hörbar, verlas der Richter am Moskauer Bezirksgericht das Urteil. Igor Alisov sah es als erwiesen an, dass der russische Anwalt Sergej Magnitskij und der Brite William Browder Steuern hinterzogen hätten: umgerechnet rund 13 Millionen Euro. Browder, Chef des Investmentfonds Hermitage Capital, soll in der südrussischen Provinz Kalmückien Behinderte nur auf dem Papier beschäftigt haben. Magnitskij habe dies im Auftrag Browders organisiert, so der Richter.

    Anschließend stellte er das Verfahren gegen Magnitskij ein, wegen dessen Todes. Browder verurteilte er in Abwesenheit zu neun Jahren Lagerhaft, genau, wie es der Staatsanwalt beantragt hatte.

    Das Verfahren war international stark kritisiert worden. Das russische Gesetz erlaubt einen Prozess gegen einen Toten nur, wenn die Hinterbliebenen das wünschen. Die Mutter Magnitskijs hatte sich aber gegen den Prozess gewehrt. Mit dem Schuldspruch verliert sie nun das Recht auf eine posthume Rehabilitierung Magnitskijs.

    Michail Fedotov, Vorsitzender des Menschenrechtsrates des russischen Präsidenten, sagte, Tote zu verurteilen, widerspreche den Vorstellungen von Gut und Böse.

    Sergej Magnitskij hatte noch zu Lebzeiten seine Unschuld beteuert und argumentiert, er sei nur deshalb angeklagt worden, weil er zuvor Korruption unter hohen Beamten öffentlich gemacht hatte. Anton Pominow von Transparency International Russland betont:

    "Das ganze ist ein Unding. Zumal die falschen Leute vor Gericht standen. Eigentlich hätten diejenigen angeklagt werden müssen, die wirklich Geld aus dem Staatshaushalt gestohlen haben und die letztendlich für Magnitskijs Tod verantwortlich sind."

    Für Magnitskijs Tod in der Untersuchungshaft ist nie jemand zur Verantwortung gezogen worden. Der Politologe und Kremlkritiker Dmitrij Oreschkin warnte im russischen Radiosender Echo Moskwy:

    "Wir isolieren uns mit diesem Urteil weiter von der Weltgemeinschaft. Wir haben unsere eigene, souveräne Rechtssprechung, wir haben unsere eigenen, souveränen Vorstellungen von Moral, und in diesem Rahmen ist nicht wichtig, ob jemand schuldig ist, sondern es zählt nur, wer dazugehört, und wer nicht."

    Es sei der Justiz darum gegangen, Browder zu diskreditieren, so der Politologe. Browder wirbt in westlichen Hauptstädten dafür, den Druck auf Russland und auf dessen korrupte Beamte zu erhöhen. Im Winter beschlossen die USA auch aufgrund seiner Lobbyarbeit die sogenannte Magnitskij Liste. Mehrere Dutzend russische Beamte, die mutmaßlich am Tod Magnitskij Schuld sind oder andere Menschrechtsverletzungen begangen haben, dürfen seitdem nicht mehr in die USA einreisen. Russland reagierte seinerseits mit Einreiseverboten für US-Bürger und setzte noch einen drauf: Amerikaner dürfen keine russischen Kinder mehr adoptieren. Nun wirbt Browder in Europa für ähnliche Listen. Dass die EU insgesamt eine solche Entscheidung trifft, gilt jedoch als unwahrscheinlich.

    Dalia Grybauskaite, die Präsidentin Litauens, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, sagte heute in Vilnius, es gäbe dazu noch keine einheitliche Meinung innerhalb der EU. Zugleich äußerte sie sich beunruhigt über das Urteil gegen Magnitskij. Es zeige, welches Ausmaß die Menschenrechtsverletzungen in Russland mittlerweile angenommen hätten.