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Schulgesetzreform in Frankreich
Eltern und Lehrer protestieren gegen "Bildungsfabriken"

Unruhen an Bildungseinrichtungen haben in Frankreich Tradition. Lange war es ruhig, jetzt aber treibt das neue Schulgesetz des Bildungsministers Lehrer, Gewerkschaften und Eltern auf die Straße. Für Ärger sorgt vor allem die potenzielle Zusammenlegung von Vor-, Grund- und Mittelschulen.

Von Suzanne Krause | 04.04.2019
Eine Lehrerin sitzt in Frankreich in einem Klassenzimmer vor ihren Schülern.
Schulen aus mehrern Orten sollen zusammengelegt werden (imago stock&people)
"Blanquer: Dein Gesetz - Nein danke!" Dieser Slogan soll bei den heutigen Streiks und Kundgebungen im Land Stimmung machen. Dabei will Bildungsminister Jean-Michel Blanquer mit seinem Projekt eigentlich ein ehrgeiziges Motto umsetzen: "Die Schule des Vertrauens". Im Erziehungsbereich soll es mehr soziale Gerechtigkeit geben und deshalb sieht das neue Gesetz vor, die Schulpflicht auszudehnen: Der Besuch der Vorschule ab dem dritten Lebensjahr wird obligatorisch, um familiär bedingte Bildungsrückstände auszugleichen. Und in der Grundschule dann sollen alle gemeinsam einen guten Wissenssockel erwerben.
"Wir wollen allen Kindern Lesen, Schreiben, Rechnen sowie den Respekt vor ihren Mitmenschen beibringen."
Gesetz fordert beispielhaftes Auftreten
Soweit, so gut. Andere Teile des Gesetzes jedoch sorgen für Ärger. Artikel eins schreibt dem Lehrpersonal ein "beispielhaftes Auftreten" vor. Die schwammige Formulierung könnte missbräuchlich ausgelegt werden, fürchtet mancher, seit eine Lehrerin, die kürzlich in den Sozialen Medien Staatspräsident Macron kritisierte, von ihrem Vorgesetzten harsch zur Ordnung gerufen wurde. Der Artikel sorgt auch bei Teilnehmern der Pariser Kundgebung am vergangenen Samstag für viel Unmut.
"Was haben wir verbrochen, um die Forderung nach beispielhaftem Auftreten zu rechtfertigen? Will man jegliche Kritik mundtot machen?"
"Wir Lehrer sind doch Profis, wir wissen, was wir sagen können und was nicht. Da wirkt der Artikel 1 wie ein autoritärer Vorstoß."
Zusammenlegung von Schulen führt zu Bildungsfabriken
Für Zündstoff sorgt vor allem eine Maßnahme im Gesetzesprojekt: Die potenzielle Zusammenlegung von Vor-, Grund- und Mittelschulen im ländlichen Raum. Eine Vorstellung, die Jerome Lambert von der größten Lehrergewerkschaft, der SNUIPP FSU, entsetzt:
"Wir müssen feststellen, dass Staatspräsident Macron und Bildungsminister Blanquer dabei sind, die öffentliche Schule zu zerstören. Mit der Zusammenlegung von Bildungseinrichtungen wollen sie regelrechte Bildungsfabriken errichten. Bei einer Zusammenlegung verlieren die kleinen Vor- und Grundschulen ihren Direktor oder ihre Direktorin. Dabei sind die als Ansprechpartner auch für die Eltern im Alltag sehr wichtig."
Bürgermeister bangen um ihre Dorfschulen
Ein rotes Tuch ist das Thema ebenso für manche Bürgermeister, die um ihre Dorfschule bangen. Verfügt diese maximal über drei Klassen, kann das Ministerium dank des neuen Gesetzes auf eine Zusammenlegung mit einer Mittelschule im Umkreis drängen. Ein potentielles Damoklesschwert für bis zu 20.000 Dorfschulen in Frankreich. Mancher Ortsvorsteher plant schon Widerstandsaktionen, berichtet Jacques Drouhin. Drouhin leitet das Rathaus von Flagy, einer 600-Einwohner-Gemeinde im Departement Seine et Marne, östlich von Paris gelegen. Und er ist der Chef der regionalen Sektion des Landbürgermeister-Verbands.
"Flagy verfügt noch über mehrere Vorschulklassen, die Kinder kommen zu Fuß in die Schule. Wenn die jedoch morgen umziehen müsste zur nächsten Mittelschule, bedeutet das eine halbe Stunde Schulbus - für Dreijährige."
Angesichts der massiven Kritik von Bürgermeistern, Lehrpersonal und Eltern hat Bildungsminister Blanquer versprochen, Schulen nur dann zusammenzulegen, wenn diesbezüglich breiter Konsens herrscht. Ihr Einverständnis werden Ortsvorsteher Drouhin und seine Kollegen kaum geben: Vielerorts auf dem französischen Land ist die Schule die letzte öffentliche Einrichtung im Dorf.