Freitag, 10. Mai 2024

Archiv

Schulleiter
"Das Personal fehlt an allen Ecken und Enden"

Norbert Grewatsch ist wohl der dienstälteste Schulleiter Sachsen-Anhalts. In seinem Berufsleben hat er das Schulsysteme der DDR kennengelernt - und das danach. Nach der Wende hätte man noch die Möglichkeit gehabt, neue Wege zu gehen, sagte Grewatsch im Dlf. Diese Zeit sei heute nicht mehr gegeben.

Norbert Grewatsch im Gespräch mit Michael Böddeker | 27.06.2018
    Der Klassiker auf den Schulhöfen: Hinkekästchen, Himmel und Hölle oder auch Hopse genannt.
    Der Klassiker auf den Schulhöfen: Hinkekästchen, Himmel und Hölle oder auch Hopse genannt (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    !!Michael Böddeker:! Gerade haben wir schon gehört, was Kita-Leiterinnen in Deutschland bewegt. Jetzt gehen wir an die Schule. Immer mehr Schulen haben ja Schwierigkeiten, die Schulleiterposition zu besetzen. An der Wilhelm-Wundt-Schule im Ort Tangerhütte in Sachsen-Anhalt musste man sich darüber lange Zeit keine Gedanken machen. Schulleiter war und ist bis heute Norbert Grewatsch. Über 35 Jahre hat er die Schule geleitet – damit dürfte er einer der dienstältesten Schulleiter im Land sein, und er hat in seinem Berufsleben zwei Schulsysteme kennengelernt: das der DDR und das danach. Heute hat er seinen letzten Arbeitstag. Guten Tag, Herr Grewatsch!
    Norbert Grewatsch: Schönen guten Tag!
    Böddeker: Heute geht es in den Ruhestand. Mal rückblickend: Sind Sie froh, auch mal die Verantwortung abzugeben, oder wären Sie auch gerne noch ein paar Jahre länger geblieben?
    Grewatsch: Ich denke mir mal, wenn man 35 Jahre intensiv an einer Schule war, dann kann man auch beruhigt gehen. Man hat sehr viel geleistet für diese Schule, für diese Schüler, für den Ort, und dann reicht es auch mal.
    "Man wird berufen, aber nicht geschult"
    Böddeker: Viele Schulen in Deutschland haben ja Schwierigkeiten, jemanden für die Leitung zu finden. Können Sie nachvollziehen, warum?
    Grewatsch: Ja, das kann ich nachvollziehen. Einmal ist die Verantwortung sehr, sehr hoch. Zweitens, sage ich mal, muss man auch dafür geboren sein, denn die Tätigkeit geht auch weit über die Tätigkeit eines Lehrers hinaus, und so, wie man auch weiß, ist ja auch die Bezahlung so umfangreich nun auch wieder nicht, und ich sage mal, eine Ausbildung zum Schulleiter in dem Sinne, wie es zu DDR-Zeiten gab, gibt es jetzt auch nicht. Man wird berufen, aber nicht geschult.
    Norbert Grewatsch, Direktor der Gesamtschule Wilhelm Wundt, steht vor dem Schulgebäude. Der Pädagoge ist dort seit 1986 Schulleiter.
    Norbert Grewatsch, Direktor der Gesamtschule Wilhelm Wundt vor dem Schulgebäude. Der Pädagoge ist dort seit 1986 Schulleiter. Nun geht er in den Ruhestand. (picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Böddeker: Sie selbst haben 1973 angefangen zu studieren, damals Pädagogik, Mathe, Physik, Astronomie, dann ging es nach Berlin und dann schließlich nach Tangerhütte, also von der Großstadt in die deutlich kleinere Stadt. Auf dem Land gibt es auch oft Lehrermangel, also die meisten jungen Lehrkräfte zieht es eher in die Stadt. Was hat Sie denn damals von Berlin aufs Land gelockt?
    Grewatsch: Das war meine damalige Frau, die aus Tangerhütte kam. Ich bin ein Rostocker Jung, war dann ein Jahr lang in Berlin und durfte dann von der Großstadt Berlin nach Tangerhütte ziehen.
    Das Familiäre auf dem Land verbindet
    Böddeker: Und davon abgesehen, sehen Sie trotzdem auch andere Vorteile noch darin, auf dem Land Lehrer zu sein?
    Grewatsch: Es ist ja viel familiärer. Man kennt sich, man geht aufeinander zu. Ich sage mal, jetzt auch nach 35 Dienstjahren und 40 Jahren als Lehrer am selben Ort, da kennt man die Großeltern, da kennt man die Eltern der Schüler, da kennt man natürlich die Schüler, und da ist man eine gewisse Größe auch in der Stadt, und da kann man auch gar nicht, ich sage mal: In aller Ruhe und gelassen durch den Ort gehen, man wird immer wieder angesprochen, und das ist eben das Gute: dieses Enge, dieses Zusammensein, dieses Familiäre, das bindet auch stark.
    Böddeker: Das Thema Verbeamtung ist im Moment auch ein großes Thema. Manche Bundesländer versuchen, junge Lehrer anzulocken mit der Aussicht auf Verbeamtung, und es gibt ja auch gute Gründe dafür. Gerade eben hat erst wieder eine Studie gezeigt, dass verbeamtete Lehrer aufs ganze Berufsleben gerechnet, doch deutlich mehr verdienen. Sie selbst arbeiten schon lange als Lehrer und auch als Schulleiter, aber ohne Verbeamtung. Ärgert Sie das?
    Grewatsch: Ärgert mich das? Ich bin nur verwundert. Im Land Sachsen-Anhalt sind die Schulleitung, Schulleiter zu verbeamten. Da ich aber als Lehrer und auch als Schulleiter zu DDR-Zeiten schon tätig war, war es für viele Entscheidungsträger nicht einfach, den ehemaligen Schulleiter auch zu verbeamten, und das zog sich über Jahre hin, und dann war es irgendwann mal erledigt.
    Keine pädagogisch, didaktisch und methodischen Unterschiede
    Böddeker: Sie sagen es, Sie haben als Schulleiter auch die Wende miterlebt, Sie kannten das System in der DDR und auch dann die Zeit danach. Was waren denn so die größten Unterschiede, was hat sich an den Schulen geändert nach dem Ende der DDR?
    Grewatsch: Wir hatten viel mehr Zeit jetzt für die pädagogische Arbeit. Also ich sage mal, der politische Rattenschwanz, der überall dranhing, der war doch enorm. Da blieb manchmal nicht mehr viel Zeit für die Arbeit mit dem Kinde, aber trotzdem genauso intensiv. Ich erkenne von der pädagogisch, didaktisch, methodischen Arbeit keinen Unterschied. Eben der Zeitfaktor, jetzt wesentlich intensiver tätig zu sein, kreativer tätig zu sein, auch mit Eigenverantwortung, handlungsorientierter, das ist schon ein gewaltiger Unterschied.
    Böddeker: Also einiges an Ballast, was da weggefallen ist. Wie schwierig war denn der Übergang vom einen System ins andere?
    Grewatsch: Sehr interessant, spannend, neugierig, wie wir waren. Wir hatten damals auch gleich den Kontakt zu Extertal-Bösingfeld, eine Partnerschule, die wir damals ziemlich schnell hatten, und ich sage mal, da hat man schon so einiges kennengelernt, wo der Weg hinführt in der neuen Pädagogik, und wir konnten kreativ sein, wie ich es schon sagte. Wir haben die Möglichkeit gehabt, selbst Entscheidungen zu treffen, vieles auszuprobieren, neue Wege zu gehen und in einer Eigenverantwortung. Es war in den ersten Jahren niemand da, der konkret gesagt hat, das musst du so und so machen, das war erst mal weg. In den Folgejahren, ich meine, ich spreche jetzt auch von der heutigen Zeit, hat sich wieder vieles geändert, durch Erlasse, durch Verordnungen ist vieles neu geregelt, sodass dieser Handlungsspielraum in der Schule nicht mehr so gegeben ist wie in der Wendezeit.
    Es gab noch den Abschluss als Schulleiter
    Böddeker: Also vieles hat sich geändert, vieles hat sich auch verbessert, aber gab es vielleicht auch einzelne Aspekte am früheren Schulsystem in der DDR, die Sie heute vermissen?
    Grewatsch: Ich sage mal, die Zeit, die da war, um auch über die Unterrichtszeit hinaus mit den Kindern zusammenzusein, die ist nicht mehr gegeben. Die vielen Arbeitsgemeinschaften, die wir hatten, oder später auch jetzt die Kurse der Wendezeit, es ist einfach das Lehrerarbeitszeitvermögen und die neuen Pädagogen nicht mehr da, die jungen Leute, die sich sagen, jetzt bleibe ich auch nach 14, nach 15 und bis 16 Uhr, um dann mit den Kindern zusammenzuarbeiten, das Personal fehlt an allen Ecken und Enden.
    Böddeker: Sie haben es anfangs schon mal so ein bisschen angedeutet: Es gab damals auch eine tatsächliche Ausbildung zum Schulleiter, die es so heute nicht mehr gibt?
    Grewatsch: Ja, ich habe noch den Abschluss als Schulleiter in einem Direktstudium in Potsdam erworben, und so ein Studium ist mir heutzutage nicht bekannt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.