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Schulz hält Wahlergebnis in Italien für Absage an Sparpolitik

Martin Schulz sieht im Ergebnis der Wahl in Italien eine große Skepsis gegenüber der einseitigen Sparpolitik Italiens und der EU. Silvio Berlusconi sei ein "Phänomen", aber dessen 30-Prozent-Ergebnis sei "ein Anteil für die Politik eines Mannes, der Italien sicher nicht gut getan hat", meint der EU-Parlamentspräsident.

Martin Schulz im Gespräch mit Silvia Engels | 26.02.2013
    Silvia Engels: Der italienische Staatspräsident Napolitano kommt heute nach Deutschland. Am Nachmittag wird er von Bundespräsident Gauck empfangen und am Donnerstag trifft er dann Bundeskanzlerin Merkel. Der italienische Staatspräsident verlässt allerdings ein Heimatland im Zustand einer politischen Pattsituation, denn die gestrigen Wahlen in Italien haben für beide Parlamentskammern verschiedene Sieger ausgemacht.
    Vor einer Stunde sprachen wir mit Martin Schulz, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments. An ihn ging die Frage, ob er geschockt ist.

    Martin Schulz: Überrascht bin ich. Geschockt ist nicht der richtige Begriff. Ich bin überrascht. Ich hätte nicht mit diesen Ergebnissen gerechnet. Und das ist in der Demokratie so, dass man hinnehmen muss, was die Wählerinnen und Wähler einem mitteilen. Es ist schwer zu interpretieren, was in Italien da ausgedrückt worden ist. Eine Sache kann man allerdings feststellen: Es gibt eine große Skepsis gegenüber dieser einseitigen Kürzungspolitik. Und zum Zweiten: Sie wird als eine Weisung aus Brüssel an Italien verstanden und interpretiert. Das ist auch eine Absage an eine einseitige Kürzungspolitik der EU.

    Engels: Wie erklären Sie sich aber speziell die Wiedererstarkung des Lagers um Silvio Berlusconi?

    Schulz: Schon ein Phänomen! Ich glaube, dass wir nach wie vor sehen müssen – ich war ja im Wahlkampf in Italien, habe das selbst erlebt -, dass Berlusconi eine ungeheuere Medienmacht mobilisieren kann. Er kann sowohl in seinen eigenen privaten Sendern als in seinen Zeitungen, in seinen Radioanstalten und zum Teil auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Italien, die ja zu einem großen Teil noch von Leuten auch geführt werden, die aus seiner Partei kommen, da kann er eine ungeheuere Medienmacht mobilisieren. Das hat er auch gemacht. Und gleichzeitig ist es schon phänomenal, wie dieser Mann in der Lage ist, so zu tun, als hätte er in Italien nie regiert. Die Tatsache ist, dass in den letzten zehn Jahren ein großer Teil der Probleme des Landes ja auch durch die Regierung von Silvio Berlusconi verursacht worden ist. Aber er schafft es, sich selbst neu zu erfinden als jemand, der mit seiner eigenen Politik nichts zu tun hat. Das ist schon phänomenal!

    Engels: Sie selbst haben den Italienern im Vorfeld deutlich empfohlen, nicht noch einmal für Berlusconi zu stimmen. Sie haben gesagt, Berlusconi habe Italien schon mal durch unverantwortliches Regierungshandeln und persönliche Eskapaden ins Trudeln gebracht. Haben Äußerungen wie diese die Trotzhaltung vieler Italiener geweckt?

    Schulz: Das glaube ich nicht. Ich glaube schon, dass ich bei meinen Leisten bleiben muss. Also dass die Italiener diese, ihre Wahlentscheidung orientieren an den Äußerungen von Martin Schulz, das ist zu viel der Ehre für mich. Ich bleibe allerdings bei meiner Meinung, Sie werden das sicher auch in den internationalen Reaktionen heute sehen: Die Italienerinnen und Italiener haben zu 70 Prozent nicht für Berlusconi gestimmt, sondern nur knapp 30 Prozent für ihn. Aber in meinen Augen sind diese 30 Prozent ein Anteil für die Politik eines Mannes, der – da bleibe ich bei – sicher Italien nicht gut getan hat.

    Engels: Ist Italien finanz- und wirtschaftspolitisch mit diesem Ergebnis regierbar?

    Schulz: Das wird man sehen. Wir haben diese Pattsituation, eine Mehrheit der Mitte-Links-Parteien im Abgeordnetenhaus und weder eine Mehrheit für Mitte-Links noch eine Mehrheit für Mitte-Rechts im Senat. Das ist das Zünglein an der Waage. Eine völlig unbekannte Größe in der Politik, Beppe Grillo, ein in Italien sehr bekannter Komiker, der 25 Prozent fast der Stimmen bekommen hat für den Senat. Man wird sehen, ob man mit ihm und seinen Abgeordneten überhaupt über irgendeine Form der Regierungsbildung reden kann. Wenn das der Fall sein sollte, dann wird man regieren können. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann wird es sehr, sehr schwierig, eine Regierung zu bilden. Mein Appell ist deshalb: Der Wahlkampf ist eine Sache. Nach der Wahl sind meiner Meinung nach alle demokratischen Parteien zunächst einmal aufgerufen, miteinander zu reden und den Versuch zu unternehmen, auszuloten, was geht gemeinsam und was geht nicht. Und ich denke, genau das wird auch in den nächsten Tagen von Staatspräsident Napolitano eingefordert werden.

    Engels: Ist das ein Aufruf, dass sich das Mitte-Links-Bündnis unter Pier Luigi Bersani versuchen soll, mit dem Mitte-Rechts-Bündnis von Berlusconi zusammenzusetzen?

    Schulz: Italien ist elf Monate lang von einer solchen Konstellation parlamentarisch geleitet worden. Sie wissen, dass die Regierung von Mario Monti sich auf eine solche Mehrheit über einen langen Zeitraum gestützt hat, also eine Mehrheit, die von der demokratischen Partei und vom sogenannten "Pol der Freiheit" von Berlusconi gestützt wurde. Berlusconi hat das aufgekündigt. Es wird jetzt sicher auch eine Phase einsetzen, wo die europäischen Parteienfamilien mit ihren italienischen Schwesterparteien reden werden, also die Sozialdemokraten mit der demokratischen Partei von Bersani, und ich nehme auch mal an, dass die Christdemokraten, also in Deutschland die CDU, mit ihrer Schwesterpartei – das ist ja die Partei von Herrn Berlusconi – reden wird, wie man die gemeinsamen Probleme, die wir ja haben in Europa, es sind ja nicht nur italienische Probleme, die Probleme Italiens berühren uns ja alle, wir haben eine gemeinsame Währung, wie man die auch gemeinsam anpacken kann. Also von daher will ich mal davon ausgehen, dass es viele Gespräche gibt. Ob das zur Zusammenarbeit dieser großen Parteien führt, das ist aus heutiger Sicht nicht absehbar.

    Engels: Die Börsen haben ja gestern bereits mit Kursabschwüngen reagiert. Die Schuldzinsen für Italien drohen zu steigen. Erleben wir durch das Wahlergebnis eine Rückkehr der akuten Eurokrise?

    Schulz: Ich hoffe es inständig nicht und hoffe es deshalb inständig nicht, weil ich immer noch daran glaube, dass am Ende pragmatische Politik sich durchsetzen kann und man irgendwo einen Weg finden wird, dass diese Unübersichtlichkeit im Senat doch zu einer Kooperation zwischen Parteien, welchen auch immer, führen wird. Wenn das nicht der Fall ist, dann droht ganz sicher erneut eine Phase der Unsicherheit, die wir ja gerade einigermaßen überwunden hatten. Aber in der Interpretation dieses Wahlergebnisses müssen wir uns auch noch mal eines vor Augen halten: Die Politik, dass nur gekürzt wird, Haushalte zusammengestrichen werden mit dem Argument, man muss nur sparen, dann stellt sich der Erfolg von selbst ein, diese Politik ist einfach nicht richtig. Wir brauchen eine Kombination aus nachhaltiger Haushaltsdisziplin und Investitionspolitik, die Arbeit schafft, gleichzeitig. Das ist in Italien nicht geschehen, das ist in Spanien nicht geschehen, das ist in Griechenland und Portugal nicht geschehen, und deshalb, glaube ich, sind solche Wahlergebnisse auch ein Appell an uns, endlich eine Kombination vorzunehmen, aus nachhaltiger Haushaltsdisziplin einerseits und aktivierender Arbeitsmarkt- und Wirtschafts-Wachstumspolitik auf der anderen Seite.

    Engels: Rechnen Sie aufgrund dieser Pattsituation mit baldigen Neuwahlen in Italien?

    Schulz: Viel zu früh, Frau Engels, um zu spekulieren. Ich glaube man kann in Italien zu diesem Zeitpunkt überhaupt nichts ausschließen. Aber zunächst Mal sind ja alle demokratischen Politikerinnen und Politiker immer gut beraten, wenn sie, dass was die Wählerinnen und Wähler ihnen mit auf den Weg gegeben haben, zunächst mal ernst nehmen. Deshalb sind alle verantwortlichen Politiker sicher aufgerufen erst einmal miteinander zur reden, ob sie denn an irgendeiner Stelle Gemeinsamkeiten finden, wenn das der Fall ist, kann man regieren, wenn das nicht der Fall ist, dann wird man weitersehen. Aber am Tag nach der Wahl rate ich dazu zunächst einmal das Wahlergebnis genau zu analysieren, hinsichtlich der Regierbarkeit. Und dann wird man vielleicht sehen, dass vielleicht doch was geht.

    Engels: Martin Schulz (SPD), Präsident des Europaparlaments. Das Gespräch haben wir vor einer Stunde aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.