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Schumann - Symphony No. 4/Vom Pagen und der Königstochter

Ludwig Rink |
    Heute möchte ich Ihnen die neueste Platte des Dänischen Nationalen Rundfunk-Sinfonieorchesters vorstellen: Sie ist Teil zwei einer größer angelegten Reihe mit Sinfonien und Chorwerken von Robert Schumann und enthält dessen 4. Sinfonie und die etwa halbstündige Chorballade "Vom Pagen und der Königstochter". * Musikbeispiel: Robert Schumann - 1. Satz (Ausschnitt) aus: Sinfonie Nr. 4

    Schumanns 4. Sinfonie ist eigentlich, was das Entstehungsdatum angeht, seine Zweite. Er schrieb sie 1841, gleich im Anschluß an seine Erste, die den Beinamen Frühlings-Sinfonie erhielt, zu einer Zeit, als er einen der wichtigsten Kämpfe seines Lebens gewonnen hatte, den Kampf um seine Braut Clara, die Tochter seines alten Klavierlehrers Friedrich Wieck. Endlich hatte er sie heiraten können und überdies ein Lehramt an dem neuen, von Mendelssohn gegründeten Konservatorium für Musik in Leipzig übernehmen können. Während er bisher in erster Linie Werke kleineren Stils, vor allem für Klavier, geschrieben hatte, wollte er von nun an im Überschwang der Gefühle am liebsten überhaupt nur noch für Orchester komponieren... * Musikbeispiel: Robert Schumann - 1. Satz (Ausschnitt) aus: Sinfonie Nr. 4

    Das auffälligste äußere Merkmal von Schumanns 4. Sinfonie besteht darin, daß sie nicht, wie sonst üblich, in einzelne abgeschlossene Sätze unterteilt ist, sondern durchkomponiert, als Sinfonie in einem Satz vor uns erscheint. Dabei lassen sich die klassischen 4 Sinfonie-Teile auch hier durchaus noch verfolgen: rascher Sonatenhauptsatz mit langsamer Einleitung als Beginn und Finale, der zweite Satz insgesamt langsam, hier als Romanze angelegt, an dritter Stelle ein lebhaftes, fünfteiliges Scherzo. Doch die Formerwartungen werden nicht immer erfüllt, oft drängt es einfach weiter, Reprisen fallen weg, Schlußwendungen und Tonartbestätigungen unterbleiben, Wiederholungen werden nur angedeutet oder sind in Wirklichkeit bereits Übergänge zum nächsten Abschnitt. Damit das Werk bei all dieser Offenheit nicht zerfällt, hat Schumann ein ausgeklügeltes Beziehungssystem melodisch-thematischer Art quer durch das ganze Werk gelegt: was auf den ersten Blick vielleicht nur wie romantisches Schwelgen in einer Vielzahl von Einfällen und unterschiedlichen Gedanken erscheinen mag, stellt sich bei genauerem Hinhören und beim Studium der Partitur als ein Netz von Themenverwandtschaften heraus, wo eine ständige Weiterentwicklung stattfindet, wo aus zunächst nur beiläufig geäußertem nach und nach ein Hauptgedanke wird. * Musikbeispiel: Robert Schumann - 2. Satz, Romanze aus: Sinfonie Nr. 4

    In dieser Romanze hatte Schumann 1841 zunächst mit dem Einsatz einer im großen Orchester sonst eher nicht üblichen Gitarre experimentiert; bei der Überarbeitung der Sinfonie 10 Jahre später fiel diese jedoch weg. Auch im Bläsersatz änderte sich viel, doch seinem Konzept einer Sinfonie ohne Satzpausen - ein Novum bis dahin - blieb Schumann treu. Auch für heutige Tonmeister und Plattenherausgeber ist dies eine Herausforderung, müssen sie doch überlegen, wo sie ihre "Tracks" setzen, die es dem Musikliebhaber ermöglichen, trotzdem einmal nur einen Einzelsatz zu finden. Bei der neuen Einspielung der Firma Chandos mit dem Sinfonieorchester des Dänischen Rundfunks ist dies leider mißlungen: lange noch nach Ende des 1. Satzes leuchtet der 1. Track, erst mit dem Einsatz des Scherzos beginnt, anders als im Beiheft angegeben, Track 2, und Track 3 markiert dann nicht die langsame Einleitung des Finalsatzes, sondern erst dessen späteren, mit "lebhaft" überschriebenen Teil. Doch das ist ein Detail, denn ansonsten ist die Aufnahme technisch und vor allem musikalisch von allererster Güte. Dem Dirigenten Michael Schönwandt gelingt es erneut hervorragend, den überhaupt nicht nordisch-kühl agierenden dänischen Musikern jenen begeisternd-glühenden Klang zu entlocken, der für die hochromantische Musik eines Robert Schumann einfach unerläßlich ist. * Musikbeispiel: Robert Schumann - 3. Satz (Ausschnitt) aus: Sinfonie Nr. 4

    Neben der 4. Sinfonie, aus der Sie gerade das Scherzo hörten, bietet die neue CD der Firma Chandos noch Schumanns halbstündige Chorballade "Vom Pagen und der Königstochter". Sie entstand im Sommer 1852, zu einer Zeit, als Schumann schon unter den ersten Anzeichen der beginnenden Geisteskrankheit litt, die später zu seiner Einlieferung in die Bonn-Endenicher Psychiatrie führte. Trotzdem konnte er die Uraufführung des Werks im Dezember in Düsseldorf noch selbst dirigieren. Textliche Basis des Werks sind vier hochromantische und zudem in ihrer Stimmung äußerst teutonische Balladen von Emanuel Geibel, die mit allen lyrischen Mitteln den ganzen schaurig-schönen Bereich des Gruseligen zwischen Liebe und Tod auskosten. Hier kommt neben dem Radioorchester auch der Dänische Nationale Rundfunk-Chor und eine Reihe von Solisten zum Einsatz. Auch hieraus sollten Sie einen Ausschnitt hören. Wir sind in der vierten Ballade, die mit einem festlichen Bankett beginnt. Anlaß ist die Hochzeit der Königstochter. Doch die ist stumm und befangen und bleich sind ihre Wangen, denn anstelle des fremden Königssohns würde sie viel lieber einen tausendmal schöneren Knaben im Pagenkleide ehelichen. Der allerdings liegt längst tot am Meeresgrunde, und eine Ballade zuvor waren Wassernixen und Meermann damit beschäftigt, aus seinen Knochen eine Harfe zu zimmern. Deren Klänge - wie kann es anders sein - wehen plötzlich zu der hehren Hochzeitsgesellschaft hinüber. Dem König, nicht ganz unschuldig am Tod des Pagen, rieselts durch Mark und Bein, und an ein Weiterfeiern ist natürlich nicht zu denken: "Im Saal liegt bleich die Braut, ihr ist das Herz zersprungen; der Morgen trüb’ in die Fenster graut, des Meermanns Harf’ ist verklungen." * Musikbeispiel: Robert Schumann - (Ausschnitt aus der 4. Ballade) Vom Pagen und der Königstochter

    Die Neue Platte - heute mit Musik von Robert Schumann, zuletzt einem Ausschnitt aus dessen Chorballade "Vom Pagen und der Königstochter". Am Mikrofon verabschiedet sich Ludwig Rink, und wenn Ihnen das zu gruselig war, kann ich Sie vielleicht mit einem Satz aus Schumanns Tagebuch wieder etwas versöhnen, den dieser im Alter von 18 Jahren notierte: "Was ist denn unser Leben auch weiter als ein zweifelvoller Septimenaccord, der nur unerfüllte Wünsche und ungestillte Hoffnungen in sich führt?" In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen November-Sonntag.