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Schwarze Wolken am Zion

Der blutige Zusammenstoß der israelischen Armee mit der "Free Gaza"-Flotte und die danach einsetzende weltweite Kritik hat Israel nicht unberührt gelassen. Wie verhalten sich Intellektuelle und Autoren aus Israel in der Diskussion?

Von Jochanan Shelliem |
    Es ist kein guter Morgen für ein Interview, sagt Eshkol Nevo. Eshkol Nevo ist auf 180:

    "Ich fluche den ganzen Morgen schon, es war alles so absehbar. Es ist kein gutes Gefühl, wenn man ein Desaster kommen sieht und dann tritt es wirklich ein. Sprechen wir über mein neues Buch."

    "Wir haben noch das ganze Leben vor uns" heißt der zweite in Deutschland vorliegende Roman von Eshkol Nevo, ein Buch über Freundschaft, Fußball und die Sehnsucht nach einem kleinen Stück Normalität jenseits der täglichen Gewalt.

    In "Hydromania" dem neuen Roman von Assaf Gavron, Sohn überzeugter Zionisten, die nach dem Sechs-Tage-Krieg ins Land einwanderten, geht es nicht um die Gegenwart, sondern die Zukunft Israels.

    "Sie erwachte durstig wie üblich, doch diesmal ist es schlimmer, als ob sie Sand im Hals hätte."

    Gavrons Dystopie spielt 2067, China ist die neue Weltmacht, Israel zu einer vertrockneten Wasserdiktatur unter der Fuchtel multinationaler Wasserkonzerne geschrumpft, bedroht von den Militärhelikoptern der Palästinenser.

    "Der Roman heißt 'Hydromania'. Es geht um das zukünftige Israel oder was davon übrig geblieben ist. Ein schmaler Streifen mit einer Hauptstadt namens Caesaria. Alles dreht sich um Wasser. Es ist eine sehr trockene Welt. Es gibt kein Wasser. Alles wird von den Wasserkonzernen kontrolliert."

    In dieser Orwellschen Version vom Ende des Judenstaates geht es nicht um Religion und Ideologie, es zählt allein die tägliche Wasserration, die mancher nicht mehr kaufen kann. Die Lösung, so erinnert sich die schwangere Heroine, Weib des verschollenen Rebellen in der Mad-Max-artigen Wüstenei fände sich in der Erinnerung an die biblischen Nabatäer, die das Nass zu nutzen wussten und das Land, in dem später für kurze Jahre Milch und Honig flossen, kultivierten.

    An all das glaubt Shlomo Sand schon lang' nicht mehr. Der Historiker lehrt an der Universität Geschichte in Tel Aviv. Anders als Assaf Gavron nagt Shlomo Sand nicht an der Utopie des Staates Israel, sondern an den Identität stiftenden Legenden der Vergangenheit. Wie die Kontroverse im Nahostkonflikt hat sich auch sein Fokus verlagert - Shlomo Sand geht es nicht mehr um den Grenzverlauf von 1967, noch um die Vertreibungen im Krieg von 1948, der lange als Verteidigungskrieg verbrämt worden ist, sondern um den Kern des Zionismus, das paradoxe Allerheiligste der jüdischen Identität des säkularen Staates, dessen Legenden sich auf die Bibel beziehen.

    "Ich zähle mich zu den Historikern, die man Post-Zionisten nennt. Anders als die Anti-Zionisten bestreiten wir das Existenzrecht des Staates Israel jedoch nicht, wir analysieren die Geschichte des Zionismus, weil wir den Zionismus als Charakteristika des Staates Israel abschaffen wollen."

    Weder den Auszug aus Ägypten noch die Vertreibung aus dem Heiligen Land habe es wirklich gegeben, so Shlomo Sand. Und der ehemalige Direktor der Einwanderungsbehörde Avraham Burg sieht die Verhaftung der Nation an das Trauma der Schoah als einen lähmenden Charakterpanzer an. "Hitler besiegen" heißt das Buch, das sein Leben verändert hat, der Untertitel: "Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss". Ein Buch wie ein Vulkanausbruch mit sehr viel Angestautem, sehr viel intimem, lang ertragenen Widersprüchen aus dem Herzen Israels, dem Zionismus. In New York erzählt er von der Angst, die die gesamte jüdische Nation auf die Erinnerung fixiere. Das Trauma der Schoah, so Burg, lähme sein Land.

    Es scheint, als ächze der 62-jährige Judenstaat unter der Hypothek seiner Geburtsfehler in der angespannten Gegenwart, doch es wäre kein jüdischer Staat, gäbe es keinen Propheten, auf den im eigenen Land natürlich keiner hört. Mit David Grossman, der im Herbst mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet werden wird, hat im vergangenen Herbst ein Verletzlicher, ein wortgewaltiger Autor neuen Typus sein Opus magnum vorgelegt. "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" - so der Titel des Romans - ein schmerzhafter Blick auf das, was der permanente Kriegszustand im Nahen Osten mit den Menschen im Lande macht, eine sprachmächtige Introspektion von Weltformat, mit Männern und Frauen, die ihre Kraft aus ihren Schmerzen schöpfen.


    Literatur

    Leon de Winter: Das Recht auf Rückkehr, Diogenes Verlag, 550 Seiten, EUR 22,90
    Assaf Gavron: Hydromania, Luchterhand, 2009, 286 Seiten EUR 9.00

    Avraham Burg: Hitler besiegen - Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss, Campus Verlag, 2009, EUR 22,90

    Shlomo Sand: Die Erfindung des jüdischen Volkes - Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand, 2010 Ullstein Verlag, 498 Seiten, EUR 24,96

    Mira Magen: Die Zeit wird es zeigen, 2010, dtv premium, 400 Seiten, EUR 14,90
    Nir Bar'am: Der Wiederträumer, Frankfurt am Main, 2010, Schöffling Verlag, 480 Seiten, EUR 24,90

    David Grossman: Eine Frau flieht vor einer Nachricht, 2009, Hanser Verlag, 736 Seiten, EUR 24,90

    Eshkol Nevo: Wir haben noch das ganze Leben vor uns, 2010, dtv premium, 435 Seiten, EUR 14,95