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Schwarzer Rauch über Birmas Westen

Aung San Suu Kyi ist eine Hoffnungsträgerin für die Demokratiebewegung in ihrer Heimat Birma-Myanmar. Doch während die Friedensnobelpreisträgerin in Europa unterwegs ist, eskalieren die ethnischen und religiösen Spannungen in dem südostasiatischen Land.

Von Nicola Glass | 16.06.2012
    Schwarzer Rauch steigt in den Himmel auf, zwischen den Palmen stehen Hütten in Flammen. Die Bewohner machen ihrer Wut und ihrer Verzweiflung Luft. Tagelang gab es aus dem Rakhine-Staat im Westen Birmas, das auch Myanmar genannt wird, immer wieder neue Berichte darüber, wie Buddhisten und Muslime sich gegenseitig attackieren und umbringen. Viele Muslime der Region sind Rohingya, die in Myanmar nicht als ethnische Minderheit anerkannt werden.

    Die Spannungen hatten sich entladen, nachdem Ende Mai eine Buddhistin vergewaltigt und ermordet worden war; für die Tat wurden drei Muslime verantwortlich gemacht. Kurz darauf erschlug ein buddhistischer Mob zehn muslimische Pilger. Aus Rache, wie es hieß. Dabei war längst bekannt, dass die drei mutmaßlichen Vergewaltiger bereits Tage zuvor verhaftet worden waren. Die Muslime hatten sich daraufhin an Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi gewandt. Diese warnte bereits, dass sich der Konflikt verschärfen könnte:

    "Wenn es rechtliche Grundlagen in diesem Land gibt und effektive, rasche und klare Maßnahmen ergriffen werden, werden sich die Probleme nicht ausweiten. Es liegt in der Verantwortung von Legislatur und Polizei, die Verbrechen aufzuklären. Geschieht das rasch, bekommt man die Probleme in den Griff. Wenn nicht, werden die Probleme umso größer sein. Ich mache mir Sorgen darüber, dass es Gruppen gibt, die Ärger machen und Instabilität verursachen wollen."

    Die Gewalt breitete sich derart schnell aus, dass der als Reformer geltende Präsident Thein Sein den Ausnahmezustand über die Region verhängte. Das ist fatal; schließlich will er Myanmar als ein stabiles und für Investoren attraktives Land darstellen.
    Kritiker mutmaßen, die Gewalt sei gesteuert. Sie spiele Hardlinern innerhalb des Militärs in die Hände, die angesichts der Bemühungen Thein Seins um Reformen und nationale Aussöhnung an ihrer Macht festhalten wollen. Debbie Stothard vom alternativen Netzwerk "Altsean Burma" kritisiert:

    "Ich befürchte, dass das Ganze als Vorwand benutzt werden wird, die Lage auf zunehmend repressive Art und Weise zu handhaben. Wenn wir uns an die über-optimistischen Stellungnahmen der vergangenen Monate aus dem Westen, aus Europa und aus Asien erinnern, ist die jetzige Situation ein ernüchternder Warnruf, was wirklich im Land getan werden muss – außer Phototermine mit Thein Sein wahrzunehmen."

    Der Westen Myanmars ist nicht der einzige Krisenherd. Im Kachin-Staat im Norden herrscht wieder Bürgerkrieg. Dort war im Juni 2011 eine 17-jährige Waffenruhe zusammengebrochen, nachdem Regierungstruppen die Rebellen der ethnischen Kachin-Minderheit angegriffen hatten.
    Präsident Thein Sein hatte die staatlichen Truppen angewiesen, die Kämpfe einzustellen – vergeblich. Die Soldaten morden, vergewaltigen und plündern weiter. Und die Leidtragenden des Konflikts sind hauptsächlich Zivilisten. Hkawng Seng Pan von der "Kachin Women´s Association" fordert, die internationale Gemeinschaft solle genauer hinschauen, was in Myanmar passiere:

    "Es ist sehr schwer für uns, die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft zu erhalten. Diese sieht nur Aung San Suu Kyi und die Demokratiebewegung. Aber die Lage in meiner Heimatregion bleibt sehr schwierig. Wir möchten nicht nur sagen, wie wir darüber denken, sondern wir fordern zudem von Thein Seins Regierung, ihre Truppen abzuziehen und ernsthafte Friedensverhandlungen mit den Kachin aufzunehmen."

    Angesichts der vielen ungelösten Probleme halten Kritiker die Aussetzung von Sanktionen, wie zum Beispiel durch die EU, für verfrüht. Zwar führt die Zentralregierung mit anderen Rebellenorganisationen Friedensgespräche, aber eine politische Lösung zeichnet sich noch nicht ab. Zumal der Kachin-Konflikt die Gespräche überschattet. Menschenrechtler plädieren für eine unabhängige, internationale Untersuchung der in Myanmar begangenen Kriegsverbrechen. So auch Phil Robertson, Vize-Asienchef von "Human Rights Watch"

    ""Die internationale Gemeinschaft trägt Verantwortung dafür, die Menschenrechtsverletzungen in den von ethnischen Minderheiten bewohnten Konfliktregionen zu beenden. Sie kann nicht untätig dabei zusehen. Wir fordern dazu auf, einen unabhängigen Mechanismus sowohl für den Kachin Staat als auch die anderen Regionen zu schaffen. Und ich setze voraus, dass ein solcher Mechanismus, wenn er eingerichtet ist, das Mandat haben wird, die Menschenrechtsverletzungen dort zu untersuchen und zu melden."

    Doch ob das passieren wird, ist fraglich. Immer seltener, so scheint es, sprechen Regierungen über eine UN-geführte Untersuchungskommission, wie sie einst vorgeschlagen worden war. Der Wandel in Myanmar vollzieht sich nur langsam. Und der Spielraum für Suu Kyi, seit kurzem selbst Abgeordnete im Parlament, ist eng: Trotz des Sieges bei den Nachwahlen am ersten April verfügt ihre "Nationale Liga für Demokratie” (NLD) nur über knapp acht Prozent der Sitze. Suu Kyi dürfte bewusst sein, dass die Opposition als Feigenblatt für ein System missbraucht werden könnte, das überwiegend aus Ex-Militärs und Vertrauten der früheren Junta besteht. Der in Thailand lebende Publizist Zin Linn:

    "Die NLD befindet sich in einer schwierigen Sandwich-Position zwischen dem Volk, den Militärs bzw. den verschiedenen Ethnien. Doch Aung San Suu Kyi denkt immer zuerst an den Nutzen für die Bevölkerung. Hätte sie sich für eine härtere Linie entschieden, hätte das erneutes Blutvergießen bedeuten können. Das wollte sie vermeiden."

    Stoff für Konflikte gibt es dennoch reichlich: Während Suu Kyis Thailandreise stellte sich heraus, dass man in ihrer Heimat höchst verstimmt über ihre Auftritte im Nachbarland war. So hatte sie in ihrer Rede beim Weltwirtschafts-Forum in Bangkok Myanmars jetziges politisches System als "nur angeblich demokratisch” bezeichnet. Eine gesunde Skepsis sei weiterhin angebracht:

    "Wenn ich gefragt werde, ob die Reformen wirklich unumkehrbar sind, dann sage ich, dass das davon abhängt, inwieweit das Militär dahinter steht. Ich möchte das insofern ausweiten, indem ich sage, dass unser Erfolg von nationalem Engagement abhängt. Dieser Einsatz muss durch all diejenigen erfolgen, die den Zustand unseres Landes verbessern wollen."

    Jetzt befindet sich Suu Kyi auf Europareise. Beobachter mutmaßen schon, was ihre größte Herausforderung sein wird: Die Hardliner in der Heimat nicht noch mehr zu verärgern.