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Schwarzes Gold

Viele Afghanen nennen das Rohopium, das aus Schlafmohn gewonnen wird, Schwarzes Gold. Im Anbau und im Geschäft mit der illegalen Ware steckt unglaublich viel Geld. Nach Angaben der Vereinten Nationen pflanzen afghanische Bauern heute auf über 150.000 Hektar Schlafmohn an.

Von Sandra Petersmann | 08.12.2012
    Razzia im Tal des Helmand-Flusses. Britische Soldaten unterstützen den Einsatz einer afghanischen Anti-Drogen-Einheit und filmen. Die Truppe gerät unter heftigen Beschuss.

    Afghanen und Briten erwidern das Feuer und rücken im Schutz einer Lehmmauer vor. Dann hören die Schüsse auf. Die Soldaten dringen in das Gehöft ein, aus dem sie angegriffen wurden, doch die Gegner sind geflüchtet.

    Die Anti-Drogen-Einheit findet in einem unterirdischen Versteck Kalaschnikows, eine Panzerfaust und ein Dutzend Päckchen Rohopium. Die klebrige Masse wird aus den Samenkapseln des Schlafmohns gewonnen. Die Bauern ritzen die Mohnkapseln an, um an ihren Saft zu gelangen. Wenn er an der Luft antrocknet, entsteht Rohopium – der Basisstoff für Heroin.

    Schwarzes Gold – so nennen viele Afghanen das Rohopium, denn im Geschäft mit der illegalen Ware steckt unglaublich viel Geld. Geld, das den afghanischen Staat nach Meinung des Briten Jonny Hall korrupt macht und aushöhlt. Der Entwicklungsexperte gehört zum internationalen Wiederaufbauteam in der südafghanischen Provinz Helmand, in der vor allem britische Truppen stationiert sind.

    "Der Anbau von Schlafmohn und der Verkauf von Rohopium sorgen für Instabilität und fördern die organisierte Kriminalität. Das Drogengeschäft untergräbt das Vertrauen der Menschen in ihren Staat. Und ohne Vertrauen in den Staat wird es in Helmand keine stabile Entwicklung geben."

    Das gilt nicht nur für Helmand, sondern für das ganze Land. Afghanistan ist für 90 Prozent der weltweiten Rohopiumproduktion verantwortlich, bestätigt Jean-Luc Lemahieu, der Landeschef des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung in Kabul.

    "About 90 per cent of the opium within the world is being provided by Afghanistan.”"

    Nach Angaben der Vereinten Nationen pflanzen afghanische Bauern heute auf über 150.000 Hektar Schlafmohn an. Im Vergleich zum letzten Jahr ist das eine Steigerung um fast 20 Prozent. Dieser Bauer aus der östlichen Provinz Nangahar baut seit ein paar Jahren keinen Schlafmohn mehr an. Doch er denkt wieder um. Er muss sieben Kinder ernähren.

    ""Ich weiß, dass der Anbau von Schlafmohn eine Sünde ist und gegen den Islam verstößt. Aber haben wir denn eine andere Wahl? Die Regierung hat unsere Felder zerstört. Die Regierungsvertreter haben uns gesagt, dass wir dem Land schaden, und sie haben uns Hilfe versprochen. Wenn ich auf meinem kleinen Stück Land Weizen anbaue, verdiene ich bestenfalls 500 Dollar. Mit Schlafmohn wären es mindestens 3000. Die Regierung setzt uns unter Druck, ohne ihre Versprechen zu erfüllen."

    Das Kilogramm Rohopium hat in diesem Jahr knapp 200 Dollar gebracht. Insgesamt sind aus der afghanischen Mohnernte rund 4000 Tonnen entstanden – im vergangenen Jahr waren es etwa 6000. Eine weitere Rekordernte ist nur deshalb nicht zustande gekommen, weil schlechtes Wetter und die Ausbreitung der Pflanzenkrankheit Braunfäule eine neue Spitzenausbeute verhindert haben.

    Die größten Anbauflächen liegen unverändert im Süden des Landes - in den Provinzen Kandahar und Helmand, die Hochburgen der Taliban sind. Helmand alleine ist für 45 Prozent des weltweiten Outputs verantwortlich. Für die radikalen Islamisten ist das Drogengeschäft eine wichtige Quelle, um ihren Kampf zu finanzieren. Dieser Distriktchef aus Helmand macht eine einfache Rechnung auf.

    "Das Problem ist, dass der Profit des Mohnanbaus in die Taschen der Schmuggler und Händler fließt, die die Aufständischen unterstützen. Wenn wir den Drogenhandel stoppen würden, dann könnten wir auch den Krieg beenden."

    Doch auch die Regierung und andere Verbündete des Westens sind in das Opiumgeschäft verwickelt: darunter Kriegsfürsten der alten Nordallianz, Polizisten, Soldaten - und Vertraute von Präsident Karsai wie der ehemalige Gouverneur von Helmand. Vor rund sieben Jahren wurden im Keller des Amtssitzes von Sher Mohammed Akhundzada etwa zehn Tonnen Opium sichergestellt. Auf Druck der Briten musste er seinen Posten räumen. Präsident Karsai ernannte ihn wenig später dennoch zum Senator. Denn Akhundzada ist einer der wichtigsten Stammesältesten in Helmand. Sein Wort hat Gewicht.

    Nach dem Abzug der NATO-Kampftruppen bis Ende 2014 sind bewaffnete Anti-Drogen-Einsätze eine afghanische Angelegenheit. Der britische Entwicklungsexperte Jonny Hall warnt vor einem totalen Rückzug der westlichen Hilfe.

    "Wenn sich die Sicherheitslage verbessert, dann bleibt als riesige Aufgabe für uns, die afghanischen Bauern weiter dabei zu unterstützen, andere Produkte anzubauen. Sie müssen ihre Ernte zu den Märkten bringen und dort zu einem guten Preis verkaufen können. Die Bauern müssen sehen, dass es gute Alternativen zum Anbau von Schlafmohn gibt, mit denen sie genug Geld verdienen können, um ihre Familien zu unterstützen."

    Doch die internationalen Drogenmärkte sind gierig. Die Nachfrage sorgt für einen Sogeffekt. Das Netzwerk aus Produzenten, Schmugglern und Händlern arbeitet grenzüberschreitend. Der Stoff gelangt vor allem über die Transitländer Iran, Tadschikistan und Russland nach Europa und Nordamerika. Der Russe Yury Fedotov leitet die Anti-Drogen-Behörde der Vereinten Nationen.

    "Jeder kann sehen, dass der internationale Drogenhandel eine der größten globalen Herausforderungen unserer Zeit ist – und dass die größte Gefahr von Afghanistan ausgeht. Als Chef des Drogenbekämpfungsprogramms der Vereinten Nationen setze ich mich für eine verstärkte regionale Kooperation ein. Wir können uns nicht nur auf Afghanistan konzentrieren. Die Dimension ist regional - und sie geht weit über die Region hinaus."

    In Iran und Russland steigt die Zahl der Drogensüchtigen kontinuierlich. Auch in Afghanistan sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen mindestens eine Million Menschen abhängig. Vermutlich sind es weitaus mehr, zumal Rohopium für viele Afghanen das einzig zugängliche Schmerzmittel ist. Waheeda, eine vierfache Mutter, bekam ihr erstes Stück von ihrem drogensüchtigen Mann – nach einem Streit, wie sie erzählt:

    "Er sagte mir, dass ich mich dann besser fühlen würde. Er hatte recht. Ich fühlte mich besser. Ich habe auch während der Schwangerschaft mit meiner Tochter Opium genommen. Als sie auf die Welt kam, ging es ihr nicht gut. Ich gab ihr Opium. Dann ging es ihr besser. Heute weiß ich, dass sie genauso süchtig ist wie ich. Unsere Verwandten hörten damals auf, uns zu besuchen. Wir haben zwölf Jahre so elendig gelebt."

    Heute nehmen Mutter und Tochter an einem Entzugsprogramm teil. Aber es gibt viel zu wenig Angebote für drogensüchtige Afghanen. Weniger als zehn Prozent der Süchtigen haben Zugang zu Hilfe.