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Schwarzes Quadrat und schwarzer Kubus

Er ist nicht nur nicht zu übersehen, er ist ein Hindernis: Der große schwarze Würfel zwischen der alten und neuen Hamburger Kunsthalle. Da hat nämlich der junge deutsche Künstler Gregor Schneider, der für sein beklemmenden Räume bekannt ist, eine Art Kaaba, das Wahrzeichen und Ziel der Pilger von Mekka, aufgebaut. Natürlich geht es ihm um die universelle Form. Die drängelt sich aber ganz schön nach vorn. Denn eigentlich ist es eine Hommage an Kasimir Malewitsch, den russischen Maler, die in der Hamburger Kunsthalle ausgerichtet wird.

Von Carsten Probst |
    Für nicht wenige Kunstfreunde bezeichnete das Werk von Kasimir Malewitsch bisher eher genau jenen Punkt, an dem Moderne Kunst nur noch unverständlich wird und unter Scharlatanerieverdacht steht. Schwarzes Quadrat auf weißem Grund kann schließlich jeder. Für die Freunde des Schönen und Wahren in der Kunst stand der Name Malewitsch gleich neben dem von Marcel Duchamp auf der roten Liste der künstlerischen Hütchenspieler, die man mit gesundem Volksempfinden durchschaute bei ihren billigen Tricks, simpelste Einfälle als Kunst zu verkaufen und vermutlich damit auch noch ein Heidengeld zu verdienen.

    So gesehen ist der Hamburger Ausstellung mit ihrer großen Gregor Schneider-Skulptur als Aushängeschild schon vorab gelungen, was Jahrzehnten der Kunstgeschichtsschreibung verwehrt war, nämlich ein breites Publikum für die einfache Form zu interessieren und diese nicht sofort mehr nur als Betrug erscheinen zu lassen.

    Sogar in den Regionalmedien wird plötzlich von der Vielbezüglichkeit des Schwarzen Kubus geschrieben, und das, obwohl er doch einfach nur ein schwarzer Kubus ist. Doch plötzlich muss man an Mekka denken und deswegen natürlich auch an den 11. September, an El-Kaida und all das Leid auf dieser Welt. Schwarz ist schließlich auch die Farbe der Trauer hierzulande, aber auch der Eleganz. Schwarz macht schließlich schlank, und Malewitsch, gewissermaßen als Schöpfer des Kleinen Schwarzen der Modernen Kunst, haftet plötzlich die Aura eines visionären russischen Modezaren an, der lange missverstanden wurde. Nun versteht man plötzlich, dass seine Gemälde wirklich ernst gemeint waren.

    Insofern also hat Hubertus Gaßner, Direktor der Kunsthalle, dem diese Ausstellung, wie er sagt, schon seit langem ein Herzensanliegen war, gut daran getan, eine verspielte Ausstellung rund um die strenge Form herumzugruppieren. So viele schwarze Quadrate in allen Zusammenstellungen und Variationen sind hier zu sehen, dass auf die Ausstellung durchaus auch der bekannte Werbeslogan "Quadratisch - Praktisch - Gut" passen würde.

    Das alles erleichtert freilich dem Publikum die Annäherung an eine Gedankenwelt, die der heutigen eigentlich so fern liegt wie die Welt der Heiligen Ikonen, auf die sich Malewitsch bekanntermaßen bezieht. Auch Ikonen gelten landläufig ja gern als Bilder von Künstlern, die nicht richtig malen konnten, weil hier die Nase zu groß, dort der Hintergrund nicht naturalistisch genug geraten zu sein schien. Malewitsch betrachtete wiederum Ikonen nie als figürliche Bilder, denn Gegenstände geistlicher Anbetung konnten seinem mystischen Verständnis von Religion nach ohnehin niemals angemessen figürlich abgebildet werden. So betrachtet war schon das vermeintlich Figürliche für Malewitsch abstrakt und das Schwarze Quadrat als Urform aller abstrakten Bilder nur das Symbol für das Ende der Kunst, das er zu seiner Zeit gekommen sah. "Es war kein leeres Quadrat, das ich ausstellte", sagte Malewitsch anläßlich der ersten Präsentation des Schwarzen Quadrats 1915, "sondern vielmehr die Empfindung der Gegenstandslosigkeit".

    Empfindung von Gegenstandslosigkeit? Undenkbar. Dem multimedial übersättigten Ausstellungspublikum ist derlei eigentlich kaum mehr anders zu vermitteln als durch Auflockerung. Das ist aber zugleich der Grund dafür, weshalb so viele künstlerische Nachfolgepositionen, die sich irgendwie auf Malewitsch beziehen, auch um so vieles schwächer sind. Bruce Nauman, Richard Serra oder Imi Knoebel zählen zu den wenigen, die noch etwas von jenem bilderlosen Nullpunkt im eigenen Schaffen erahnen lassen, den Malewitsch vorformuliert hat. Die meisten anderen Werke, die sich irgendwie neckisch oder gedankenschwer mit dem Vorbild des Schwarzen Quadrats abmühen, lenken von der Gedankenwelt Malewitschs eher ab und haben eigentlich bis auf die Form nichts mit ihm zu tun.

    Dieser Formalismus der Hamburger Ausstellung erstaunt gerade deshalb, weil Kunsthallendirektor Gaßner sich Jahrzehnte mit diesem Stoff befasst hat und man insofern eine inhaltliche Durchdringung eigentlich erwarten könnte. Besonders willkürlich wird es dort, wo der amerikanische Minimalismus eines Donald Judd oder Carl Andre allein wegen der Verwendung kubischer oder quadratischer Formen kurzerhand in die Nachfolge Malewitsch' einsortiert wird, was kunsthistorisch mehr als nur fragwürdig erscheint. So bleibt als Nachgeschmack der Ausstellung der Dreiklang: Quadratisch - ja, praktisch - na ja, gut - eher nein.