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Schweinegrippe: Mutation möglich

Medizin. - Etwa 3000 Fälle von Schweinegrippe sind in Deutschland bestätigt. Täglich kommen weitere hinzu. Bisher verlief die Krankheit meist milde. Doch theoretisch besteht die Chance, dass im Herbst eine radikalere Variante entsteht. Der Wissenschaftsjournalist Volkarth Wildermuth im Gespräch mit Gerd Pasch.

    Gerd Pasch: Die Schweinegrippe ist auf dem Vormarsch, weltweit und auch in Deutschland. Hier sind inzwischen knapp 3000 Fälle bestätigt, der Großteil davon in den letzten Tagen. Es sind vor allem Urlauber aus Spanien, die die Infektion mitbringen. Innerhalb der Bundesrepublik gelingt es den Gesundheitsbehörden nach wie vor, die Ausbreitung von H1N1 schnell zu stoppen. Das hat das Robert-Koch-Institut heute auf einer Pressekonferenz in Berlin unterstrichen. Volkart Wildermuth, heißt das, wir können in Deutschland zur Tagesordnung übergehen?

    Volkart Wildermuth: Nein, das können wir ganz sicher nicht. Die schnell steigenden Fallzahlen haben ja in Deutschland auch schon einige Veränderungen in der Strategie nötig gemacht. Zum Teil sind die bloß statistischer Art, anfangs galt nur der als Schweinegrippen-Infizierter, dessen Viren tatsächlich im Labor überprüft worden waren. In der Zwischenzeit ist man da etwas entspannter, sagt: Man gilt auch als schweinegrippen-infiziert, wenn man nur Kontakt zu einem bestätigten Fall hatte. Das sind statistische Feinheiten, aber die zeigen eben: Die Labore kommen einfach nicht mehr schnell genug mit den Diagnosen nach. Wichtiger ist eine andere Entscheidung: In Deutschland gibt es einen Wechsel in der Strategie der Eindämmung. Anfangs haben die Gesundheitsämter jede Kontaktperson eines Schweinegrippen-Infizierten aufgesucht, haben untersucht, gefragt: Haben Sie Symptome? Haben eventuell nach Viren gesucht. Diese ganz intensive Betreuung ist jetzt bei diesen Fallzahlen nicht mehr möglich. Die Gesundheitsämter sind dazu übergegangen, nur noch kritische Kontakte zu überprüfen. Zum anderen sind auch Personen betroffen, die andere gefährden könnten. Wenn also zum Beispiel jemand krank wird – seine Frau ist Krankenschwester auf der Intensivstation – dann wird die die Intensivstation in den nächsten Tagen nicht besuchen, einfach, um die Patienten dort zu schützen. Bei den steigenden Fallzahlen müssen die Ressourcen einfach zielgenau eingesetzt werden.

    Pasch: Das Robert-Koch-Institut verfolgt ja nicht nur die Zahl der Kranken sehr genau, es beobachtet auch das Virus auf molekularer Ebene. Was sagen die Virologen zu möglichen Resistenzen?

    Wildermuth: Das Nationale Referenzzentrum für die Influenza am Robert-Koch-Institut hat das Erbgut von rund 100 Viren ganz genau untersucht. Und das wichtigste Ergebnis ist, diese Viren, die sprechen beide noch auf beide Medikamente, sowohl Tamiflu als auch auf Relenza an. Weltweit gesehen hat es etwa eine handvoll Fälle gegeben, wo die Viren resistent waren, wo also die Medikamente wirkungslos waren. Das fiel übrigens erst im Labor auf: Die Ärzte, die Patienten haben das gar nicht gemerkt. Das ist im Moment kein Problem, denn jeder einzelne dieser Fälle – da wurde genau nachgeguckt – hat sich nicht ausgebreitet. Die Viren sind sozusagen aufgetaucht und wieder verschwunden. Das könnte sich aber ändern, wenn die Medikamente nicht sachgerecht eingesetzt werden. Wenn sie zu kurz gegeben werden. Und deshalb bittet das Robert-Koch-Institut alle Personen, diese Medikamente tatsächlich erst nach Rücksprache mit einem Arzt einzunehmen und nicht etwa vorsorglich – weil dieser breite Einsatz, der führt dann tatsächlich zu Resistenzen und das kann auf Dauer dann auch zu Problemen führen.

    Pasch: Was kann man denn sonst am Erbgut des Virus ablesen?

    Wildermuth: Da gibt es bislang drei Erkenntnisse von denen zwei eher positiv, eine eher bedenklich ist. Zu den guten Nachrichten: Erstens, das Virus ist genetisch erstaunlich stabil. Die Isolate aus der ganzen Welt unterscheiden sich kaum. Das ist ungewöhnlich für so ein Virus, das halt das Potential hat, sich schnell zu verändern. Aber es ist wohl so, dass es im Moment keinen Anlass gibt, sich zu verändern, aus der Sicht des Virus’. Die zweite gute Nachricht aus dem Viren-Erbgut: Es gibt eine ganze Reihe bekannter Orte bei den Virengenen, die das Virus bösartiger machen können. Und bei all diesen Stellen besitzt die Schweinegrippe die verträglichere Variante, es ist also eine relativ harmlose Grippespielart, was sich ja auch in den meist milden Verläufen widerspiegelt. Wobei milde relativ ist, inzwischen sind etwa 1000 Menschen an der Schweinegrippe gestorben, bei der großen Zahl von Infizierten fordert selbst ein milder Erreger seinen Tribut. Das führt zur dritten und negativen Erkenntnis aus den DNA-Labors: An einigen Stellen ist das Virus nur wenige Mutationen von einer aggressiveren Form entfernt, es könnte sich also theoretisch schnell zum Schlimmen verändern. Die Wahrscheinlichkeit nimmt mit der Zahl der Infektionen zu und die steigt und steigt und steigt. Prognosen wollte beim RKI deshalb niemand abgeben. Nur eines scheint sicher: Diesen Winter werden wir noch deutlich mehr im Banne der Schweinegrippe stehen.