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Schwer verständlich und dennoch schön

Erhabenheit liegt im Auge des Betrachters. In diese Kategorie werde oft das reingepackt, "was man nicht versteht", erklärt Jörg H. Gleiter von der TU Berlin. Er ist Organisator der Tagung "Architekturgebäude", die sich unter anderem mit Erhabenheit in digitalen Zeiten auseinandersetzt.

Jörg H. Gleiter im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 16.01.2013
    Erhabenheit liegt im Auge des Betrachters. In diese Kategorie werde oft das reingepackt, "was man nicht versteht", erklärt Professor Jörg H. Gleiter. Für den Organisator der Tagung "Architekturgebäude" an de TU Berlin ist Erhabenheit kein feststehender Begriff, vielmehr wandle er sich je nach Kontext.

    Stefan Koldehoff: "Effekt und Affekt" – das ist das Thema einer Tagung, die heute und morgen an der TU Berlin stattfindet, und zwar am Institut für Architektur. Anlass sind Bauten der vergangenen Jahre, die von unsichtbarer Hand aus dem Nichts geformt zu sein scheinen, ohne dass man ihre konstruktiven Prinzipien erkennen könnte. Zaha Hadids Opernhaus in Guangzhou zum Beispiel oder Jürgen Mayer H.s "Metropol Parasol" in Sevilla. Sie seien das Ergebnis einer "Digital-Erhabenheit", lautet dazu die These – einer virtuell erzeugten Erhabenheit also, die sich Logik und Verständnis entzieht, dafür aber um so stärkere ästhetische Wirkung erzielt.

    Den Organisator, Professor Jörg Gleiter, habe ich zunächst die Frage gestellt, wo er denn in der Architektur das Erhabene sieht: im Gebäude selbst, oder bei dem, der es sieht und nutzt?

    Jörg H. Gleiter: Ja, das Erhabene ist keine Kategorie des Objektes, sondern etwas, was sich im Benutzer oder Betrachter der Architektur abspielt. Es geht nicht um eine erhabene Architektur, sondern um eine Architektur, die ein Gefühl des Erhabenen dann auslöst im Betrachter oder Benutzer.

    Koldehoff: Das heißt umgekehrt dann auch, der Begriff, den Aristoteles mal geprägt hat, dass es Erhabenheit als angeborene Eigenschaft gibt bei einem Kunstschaffenden oder Architekten, das würden Sie auf die Architekten als gottgleiche Eigenschaft sozusagen nicht übertragen wollen, man kann’s lernen?

    Gleiter: Ja also das ist wieder eine andere Kategorie, praktisch die Rolle des Architekten bei der Frage des Erhabenen. Ich beziehe mich da eher auf den Begriff des Erhabenen bei Kant, wo das Erhabene im Prinzip die andere Kategorie ist der Ästhetik zum Schönen. Das Schöne ist ja das Geordnete, das Rationale, das Proportionale, das auch nicht emotional, das emotional indifferent ist. Und das Erhabene ist dann diese Kategorie, in die alles reinkommt, was man nicht versteht.

    Koldehoff: Wenn wir jetzt auf die Urprägung des Begriffs zurückkommen des Erhabenen als etwas, was sich der Logik, dem Verstand eigentlich entzieht, überhöht man dadurch nicht die technische Kategorie der Architektur?

    Gleiter: Da würde ich sagen, dass beim Übergang vom natürlich Erhabenen zum technisch Erhabenen auch der Begriff des Erhabenen sich ändert, und das ist ein ganz wichtiges Konzept hier bei unserer Konferenz, das nachzuvollziehen, weil beim Übergang von der Natur zur Maschine, wenn die Maschine plötzlich das Bedrohende wird, dann ist im Prinzip das erhabene Gefühl, das dann beim Menschen entsteht, natürlich an eine Kritik geknüpft, das wird zu einem kritischen Begriff, und nicht mehr ein ästhetischer Begriff, mit dem Architekten zum Beispiel bauen könnten, wie das vielleicht Bullet noch wollte oder Le Corbusier wollte. Also es ist ganz wichtig: Der Begriff des Erhabenen, er kommt zurück, aber er kommt immer in einem neuen Kontext zurück und in einer Transformation seines Gehaltes. Und da würde ich sagen, haben wir mit dem digitalen Erhabenen einen kritischen Begriff, und da geht es darum, dass die digitalen Technologien teilweise ja außer Rand und Band sind, außer Kontrolle sind, und da kann man zum Beispiel darauf verweisen, der Computerhandel in New York, niemand weiß ganz genau, wie das funktioniert. Die, die die Algorithmen dahinter verstehen, sind eine Handvoll von Leuten.

    Koldehoff: Na ja, gerade wenn ich es auch auf die Architektur beziehe, dann möchte ich doch eigentlich schon gerne wissen, ob es da jemand verstanden hat, was er durchgerechnet hat, oder?

    Gleiter: Ja, erstens das. Und dann sind wir hier bei der Architektur beim parametrischen Entwerfen, oder beim Computational Design, also speziell dann beim parametrischen Entwerfen, wo man versucht, über verschiedene Parameter aus der Umwelt oder auch aus der Kultur diese Parameter in den Algorithmus einzugeben, und der Computer rechnet dann irgendwelche Formen, die dann interessanterweise ja auf der einen Seite mathematisch präzise formuliert sind, auf der anderen Seite aber nicht verstanden werden, weil wir können ja den Algorithmus nicht sehen. Wir verstehen den Algorithmus nicht, das zeigt sich ja nicht. Das heißt also, diese Architektur zum Teil macht ein Geheimnis aus sich selbst, aus ihren rationalen Grundlagen, und dort, wo ein Geheimnis gemacht wird über die rationalen Ursachen oder Grundlagen, führt das natürlich zu einem gewissen Gefühl des Unbehagens.

    Koldehoff: Professor Jörg Gleiter über Architektur und Erhabenheit aus Anlass einer Tagung in Berlin.


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