"Wir sind durch so ein Tal durchgegangen, rechts und links waren Bunker eingegraben, da hat sich die Zivilbevölkerung versteckt, und die hat zusehen müssen, wie so eine Armee ihre Tomatenfelder zertrampelt, alles kaputt macht, da haste dir gesagt, wozu den ganzen Wahnsinn, wozu."
Horst Bahro aus Frankfurt an der Oder war siebzehn, als er sich in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs freiwillig zur Wehrmacht meldete. Heute zählt er zu den wenigen Zeitzeugen, die noch über ihre Erlebnisse an der Front und vor allem in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft berichten können.
"Die seinerzeit in politischen Funktionen, in hohen militärischen Funktionen, die leben heute meist nicht mehr, in meinen Recherchen, in meinem Projekt habe ich die sogar regelrecht ausgeschlossen, weil ich meinte, es sollten doch mal die einfachen Leute, die Mannschaften, die Soldaten und Gefreiten, sollten mal zu Wort kommen und über ihre Kriegsgefangenschaft reden, die waren nämlich nach meinem Geschmack noch zu wenig öffentlich zu Wort gekommen."
Erinnerung ist ein kultureller Prozess, in den Wertungen einfließen, sagt die Historikerin Elke Scherstjanoi. Bestimmten in der jungen Bundesrepublik vor allem Generale und Stabsoffiziere das Bild von der Kriegsgefangenschaft, kommt jetzt auch die ehemalige "Mannschaftsgeneration" zu Wort. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin ist Herausgeberin und Mitautorin des Sammelbands "Russlandheimkehrer ".
"Das ist ein Buch über öffentliche Rückschauen diverser Art und aus unterschiedlichen Zeiten, Rückschauen auf ein ganz bestimmtes Phänomen, das in der deutschen Geschichte eine große Rolle gespielt hat, die Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion. "
Diese unterschiedlich geprägten Rückblicke untersucht der Band aus literatur- und filmwissenschaftlicher, kommunikations- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. Es geht um die Frage, mit welchen Erinnerungen, Erfahrungen, Bildern deutsche Soldaten aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft in die Heimat zurückgekehrt sind. Und vor allem: Was ist mit diesen Bildern geschehen - je nachdem, ob die Heimat in Ost- oder Westdeutschland lag?
"Wie sind sie in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften kommuniziert worden, angereichert worden, beschnitten worden, gebraucht und missbraucht worden, auch in politischen Kontexten, und was davon ist heute noch übrig und bestimmt unsere heutige Sicht auf das Phänomen Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion während und nach dem Zweiten Weltkrieg - noch bis heute mit."
Gerade für die junge Generation, die sich erfahrungsgemäß sehr für Weltkrieg und Nationalsozialismus interessiere, sei es wichtig zu wissen,
"wie denn tatsächlich Bilder entstehen, wie sie geformt werden und wie man sich heute zu bestimmten Bildern, die überkommen sind, verhalten muss, das ist Bestandteil eines Austausches, der mit Identitätsfindung ganz wesentlich zu tun hat."
Bezeichnend für die junge Bundesrepublik war in diesem Zusammenhang eine wöchentliche Radiosendung, erzählt der Historiker Peter Jahn.
"Für mich war eine Erinnerung, die ganz fest sich bei mir eingenistet hat, 50er-Jahre, gab es am Sonntagnachmittag ein Wunschkonzert, und eigentlich fast jede zweite Sendung brachte 'Nabucco, den Gefangenenchor, teure Heimat'. Und es war dann immer auch mit den Grüßen versehen, dass auch an unsere Lieben, die dort noch in der Ferne festgehalten werden, hiermit erinnert werden soll.
Na ja, das waren natürlich unsere Gefangenen in der Sowjetunion oder in Russland, hieß es natürlich damals. Und da waren noch ganz starke Hoffnungen also bis '55, bis zur endgültigen Heimkehr der letzten Zehntausend, dass da noch Hunderttausende irgendwo leben würden. "
Peter Jahn, der langjährige Leiter des deutsch-russischen Museums in Berlin Karlshorst, ist Mitautor des Sammelbands "Russlandheimkehrer". In den 50er-Jahren wurden Fragen nach der Kriegsschuld meist verdrängt, sagt er. Im Vordergrund stand dagegen die eigene kollektive Leidensgeschichte.
"Zu diesem Opferdiskurs zählte zum einen natürlich der Krieg, die Härten, die die fast zehn Millionen Soldaten an der Ostfront durchgemacht hatten, es zählte die Vertreibung dazu, die Schrecken des Einmarschs der Roten Armee wurden immer wieder beschworen, und es zählte die Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion dazu. Wobei das Interessante ist, so sehr diese Erinnerungen der Kriegsgefangenen dieses eigene Leid beschreiben, es kommt eigentlich immer mal irgendwo bei jedem, nicht jedem, aber bei fast jedem ein Nebensatz, na ja, den Leuten um uns rum ging's auch nicht besser. "
"Na ja, sagen wir es mal so, der Krieg war zu Ende, die Soldaten waren nicht zurück, die hatten keine Arbeitskräfte. "
Horst Bahro über seine Zeit in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.
"Auf den Feldern verdarben die Ernten. Und nu sollten wir auch ernährt werden. Und da lagen wir im Dorf, in unserm kleinen Lager, und einige von uns wohnten in paar leer stehenden Häusern. Und nun gingen wir abends, kriegten wir unser Brot. Und unsern Kübel Suppe. Und da hat unser Lagerleiter gesagt, unser russischer Lagerleiter, bitte, das Brot abdecken. Die 600 Gramm, wir haben ja 800 gekriegt, weil wir noch 200 Gramm Leistungszulage, weil wir schwer Arbeit hatten. Da haben wir gesagt: Warum? Na, sagt er, was meint ihr, im Dorf, die Leute haben bloß 400 Gramm. Die werden verrückt, wenn die sehen, dass ihr als unsere ehemaligen Feinde hier mehr bekommt als sie. Na ja, was wollten wir machen, da haben wir das gemacht."
In der öffentlichen Erinnerungskultur der jungen Bundesrepublik allerdings fanden solche Erzählungen kaum Niederschlag. Die Schicksale der Gefangenen wurden dargestellt im Sinne von: Sie waren unschuldige Opfer der Willkürherrschaft, rechtswidrig festgehalten und unsäglich schlimmen Bedingungen ausgesetzt. Zwar gab es in den 50er-Jahren eindrucksvolle Bücher, die sich auch der Frage nach der deutschen Schuld stellten - etwa der "Bericht einer Gefangenschaft" des evangelischen Theologen Helmut Gollwitzer. Doch sie waren die Ausnahme.
"Während in der Trivialliteratur, da haben wir eben den 'Arzt von Stalingrad', das am weitesten verbreitet war, und dieses Leben im Lager eben auf seine Weise schildert, voll noch vom alten Rassismus, von dem Überlegenheitsgefühl gegenüber diesen 'primitiven Russen' und dass man letztlich ja moralisch, intellektuell und moralisch Sieger eigentlich war. Und dann kommen die Filme, ab 1956."
Zum Beispiel die Verfilmung des Romans "Der Arzt von Stalingrad", der an den Erfolg des Buchs anknüpfen wollte. Heute sind Buch und Film immer noch zu haben. Die Verlagsgruppe Weltbild preist den Roman im Internet an als "ein Erlebnis, dem sich niemand entziehen kann".
Ganz anders die Erinnerungskultur im östlichen Nachkriegsdeutschland. Die widmete sich vornehmlich dem Phänomen Umdenken, so die Historikerin Elke Scherstjanoi, weg von der Kriegsbegeisterung hin zu einer Distanzierung vom Krieg.
"So hatten solche Erinnerungen natürlich gute Chancen in der DDR, die davon erzählten, wie ein Soldat während der Kriegsgefangenschaft die großen Zerstörungen vor Augen und den Fleiß der einfachen Leute vor Augen, sich Gedanken machte, was hatte er denn da eigentlich zu suchen auf diesem Gebiet, warum ist er denn gedankenlos vielleicht oder auch voller Elan und Tatendrang für den Führer und fürs Vaterland in dieses Land eingefallen. Solche Prozesse des Nachdenkens wurden in der DDR thematisiert. Sie gehörten in den Kontext eines antifaschistisch geprägten Erinnerungsanliegens, einer Erinnerungskultur, die tatsächlich dieses Umdenken als eine wichtige Leistung vorbildhaft herausstellen wollte. "
Zweifellos brachten auch aus der Gefangenschaft entlassene Soldaten, die in die DDR zurückkehrten, grausame Erfahrungen mit, sagt Scherstjanoi. Doch Grausamkeiten hatten in der öffentlichen Kommunikation der DDR keine Chancen.
"Das hätte das Bild von der Sowjetunion - so argumentierte die SED-Führung damals - in einer Weise geprägt, die möglicherweise antisowjetischer, antikommunistischer Propaganda zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik nur noch mehr Wasser auf die Mühlen gegeben hätte. Wir sehen also, diese Erinnerungskulturen stehen mitten im Kalten Krieg, die Kommunikation über diese gemeinsamen Erlebnisse - Kriegsgefangenschaft - werden im Kalten Krieg in unterschiedlicher Weise in den beiden deutschen Gesellschaften öffentlich angereichert oder beschnitten, genutzt, weiter getragen."
Erst mit dem Ende des Kalten Krieges, so die Historikerin, ist eine Änderung in der Erinnerungskultur zu beobachten.
"Das beginnt tatsächlich auf beiden Seiten mit einer Art Öffnung für die jeweils bislang nicht gelittene Darstellung. Von den 70er-Jahren an in der Bundesrepublik, das steht natürlich auch in Zusammenhang mit der allgemeinen Öffnung hin nach Osteuropa, neue Ostpolitik. Das Interesse für Osteuropa wächst, für Russland wächst in dieser Zeit, und der kritische Umgang mit den Feind- und Fremdbildern, die noch so stark eingebräunt waren in der Zeit von Adenauer, dieser kritische Umgang nimmt zu. Und in der DDR gibt es eine leichte Öffnung in den 70er- und 80er-Jahren ebenfalls für die Schwierigkeiten der nationalsozialistischen Verstrickungen."
Allzu groß war das Interesse in der alten Bundesrepublik am Thema Kriegsgefangenschaft wohl nicht. Zwar gab es gut besuchte Ausstellungen zu dem Thema. Aber der "Verband der Heimkehrer" stieß auf relativ wenig Resonanz, als er Männer dazu aufrief, Zeugnis über ihre Kriegsgefangenschaft abzulegen.
"Und es hat tatsächlich zwar viele, aber nicht mal die Hälfte der Männer erreicht, die etwas hätten sagen können über Kriegsgefangenschaft, das war für mich hoch interessant. Und die Zahl derer, die gar nicht erzählen wollten, die auch in den Familien geschwiegen haben, ist doch erheblich. Und nun stellt sich die Frage, wie kann das denn sein? Passte deren Bild vielleicht nicht in das, was öffentlich gewünscht war? Ist das ein heilsames Schweigen gewesen oder eher nicht?"
Nach der Wende gewann der "Verband der Heimkehrer" neuen Zulauf durch etliche Ostdeutsche, die aber bald wieder austraten. Sie wehrten sich gegen Klischees, die von den westlichen Medien verbreitet wurden, etwa in dem Film "Soweit die Füße tragen".
"Beispielsweise das ewige Klischee vom Schnee. Schnee als Symbol für Sibirien. Auch schon während der Nazizeit immer wieder als drohendes Symbol in die Medien getragen. Sibirien, Ferne, Unwegsamkeiten, hinzu kommt in diesem Kontext noch der Stacheldraht. Also so wollen sich die Männer nicht erinnern."
Auch ein anderes Bild galt den Ostdeutschen als Klischee: die Arbeitsbedingungen, die in Westdeutschland stets dargestellt wurden als Sklavenarbeit mit primitiven Arbeitsmitteln.
"Im ostdeutschen Kontext wird dagegengehalten, dass die Arbeit auch gewollt war als ein Weg, wieder in einen zivilen, normalen Zustand, dass die Arbeit Möglichkeiten eröffnete, zu mehr Lebensmitteln zu kommen, dass sie den Kontakt ermöglichte, dass man bei der Arbeit auch was lernen konnte, dass man über die Arbeit auch und nicht nur, weil man sich irgendwo anbiederte, sondern weil die Arbeitsumstände das zuließen, einen Blick bekam, über die Umzäunung, über den Stacheldraht hinaus."
"Da waren ein paar Künstler, die haben dann Bilder gemalt, haben sich dann bei der Arbeit ein bisschen Farben zusammen geklaut, und dann ging das los. Und das haben die Russen sehr schnell spitz gekriegt. Und sofort kamen die an, also hier, du gehst nicht mehr arbeiten, du gehst hier in ein Atelier, da wurde im Block da so ne Stelle ausgebaut, und da hast du nun zu machen. Du kriegst dein Essen, Trinken wie alle andern, aber du brauchst nicht alles umsonst machen. Du kannst auch was für nehmen. Aber Geld kannst du nur kriegen, wenn jemand was hat. Ja und dann komischerweise, die waren alle auf einmal reich."
Horst Bahro aus Frankfurt an der Oder.
"Ich hab' ja mit Stalin- und Leninbildern, die ich gezeichnet habe, abgezeichnet von son Bild da, die habe ich verkauft und hab' damit Geld gemacht. Das Schlimme war bloß, mit Lenin hätte ich reich werden können, mit Stalin, da war höchstens mal einer, der mir was abgenommen hat, aber - da habe ich's aufgegeben, mit Stalin war nischt zu holen. Mit Lenin ja."
" Also diese andere Seite der Arbeit, die wird im Osten von den ostdeutsch sozialisierten Zeitzeugen stärker betont. Aber ich finde sie auch bei Zeitzeugen aus der Bundesrepublik. Es ist nicht so, dass diese Sicht dort ganz und gar fehlt. Sie fehlte nur in dem, was die Medien und was die Filmwelt angeboten hat."
So werfen die vorliegenden Forschungen zur Zeitgeschichte auch einen kritischen Blick darauf, wie wir unser Bild vom Anderen, vom Fernen und Fremden entwickeln.
"Und ich denke, das betrifft junge Leute in einer Weise, wie man sich für Geschichte interessiert und interessieren muss."
Literatur:
Elke Scherstjanoi (Hg.): Russlandheimkehrer.
Die sowjetische Kriegsgefangenschaft im Gedächtnis der Deutschen.
Oldenbourg Wissenschaftsverlag. München 2012
Horst Bahro: Ich war siebzehn.
Eigenverlag. Zu bestellen unter: Horst Bahro Tel. 0335-544931
Horst Bahro aus Frankfurt an der Oder war siebzehn, als er sich in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs freiwillig zur Wehrmacht meldete. Heute zählt er zu den wenigen Zeitzeugen, die noch über ihre Erlebnisse an der Front und vor allem in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft berichten können.
"Die seinerzeit in politischen Funktionen, in hohen militärischen Funktionen, die leben heute meist nicht mehr, in meinen Recherchen, in meinem Projekt habe ich die sogar regelrecht ausgeschlossen, weil ich meinte, es sollten doch mal die einfachen Leute, die Mannschaften, die Soldaten und Gefreiten, sollten mal zu Wort kommen und über ihre Kriegsgefangenschaft reden, die waren nämlich nach meinem Geschmack noch zu wenig öffentlich zu Wort gekommen."
Erinnerung ist ein kultureller Prozess, in den Wertungen einfließen, sagt die Historikerin Elke Scherstjanoi. Bestimmten in der jungen Bundesrepublik vor allem Generale und Stabsoffiziere das Bild von der Kriegsgefangenschaft, kommt jetzt auch die ehemalige "Mannschaftsgeneration" zu Wort. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin ist Herausgeberin und Mitautorin des Sammelbands "Russlandheimkehrer ".
"Das ist ein Buch über öffentliche Rückschauen diverser Art und aus unterschiedlichen Zeiten, Rückschauen auf ein ganz bestimmtes Phänomen, das in der deutschen Geschichte eine große Rolle gespielt hat, die Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion. "
Diese unterschiedlich geprägten Rückblicke untersucht der Band aus literatur- und filmwissenschaftlicher, kommunikations- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. Es geht um die Frage, mit welchen Erinnerungen, Erfahrungen, Bildern deutsche Soldaten aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft in die Heimat zurückgekehrt sind. Und vor allem: Was ist mit diesen Bildern geschehen - je nachdem, ob die Heimat in Ost- oder Westdeutschland lag?
"Wie sind sie in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften kommuniziert worden, angereichert worden, beschnitten worden, gebraucht und missbraucht worden, auch in politischen Kontexten, und was davon ist heute noch übrig und bestimmt unsere heutige Sicht auf das Phänomen Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion während und nach dem Zweiten Weltkrieg - noch bis heute mit."
Gerade für die junge Generation, die sich erfahrungsgemäß sehr für Weltkrieg und Nationalsozialismus interessiere, sei es wichtig zu wissen,
"wie denn tatsächlich Bilder entstehen, wie sie geformt werden und wie man sich heute zu bestimmten Bildern, die überkommen sind, verhalten muss, das ist Bestandteil eines Austausches, der mit Identitätsfindung ganz wesentlich zu tun hat."
Bezeichnend für die junge Bundesrepublik war in diesem Zusammenhang eine wöchentliche Radiosendung, erzählt der Historiker Peter Jahn.
"Für mich war eine Erinnerung, die ganz fest sich bei mir eingenistet hat, 50er-Jahre, gab es am Sonntagnachmittag ein Wunschkonzert, und eigentlich fast jede zweite Sendung brachte 'Nabucco, den Gefangenenchor, teure Heimat'. Und es war dann immer auch mit den Grüßen versehen, dass auch an unsere Lieben, die dort noch in der Ferne festgehalten werden, hiermit erinnert werden soll.
Na ja, das waren natürlich unsere Gefangenen in der Sowjetunion oder in Russland, hieß es natürlich damals. Und da waren noch ganz starke Hoffnungen also bis '55, bis zur endgültigen Heimkehr der letzten Zehntausend, dass da noch Hunderttausende irgendwo leben würden. "
Peter Jahn, der langjährige Leiter des deutsch-russischen Museums in Berlin Karlshorst, ist Mitautor des Sammelbands "Russlandheimkehrer". In den 50er-Jahren wurden Fragen nach der Kriegsschuld meist verdrängt, sagt er. Im Vordergrund stand dagegen die eigene kollektive Leidensgeschichte.
"Zu diesem Opferdiskurs zählte zum einen natürlich der Krieg, die Härten, die die fast zehn Millionen Soldaten an der Ostfront durchgemacht hatten, es zählte die Vertreibung dazu, die Schrecken des Einmarschs der Roten Armee wurden immer wieder beschworen, und es zählte die Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion dazu. Wobei das Interessante ist, so sehr diese Erinnerungen der Kriegsgefangenen dieses eigene Leid beschreiben, es kommt eigentlich immer mal irgendwo bei jedem, nicht jedem, aber bei fast jedem ein Nebensatz, na ja, den Leuten um uns rum ging's auch nicht besser. "
"Na ja, sagen wir es mal so, der Krieg war zu Ende, die Soldaten waren nicht zurück, die hatten keine Arbeitskräfte. "
Horst Bahro über seine Zeit in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.
"Auf den Feldern verdarben die Ernten. Und nu sollten wir auch ernährt werden. Und da lagen wir im Dorf, in unserm kleinen Lager, und einige von uns wohnten in paar leer stehenden Häusern. Und nun gingen wir abends, kriegten wir unser Brot. Und unsern Kübel Suppe. Und da hat unser Lagerleiter gesagt, unser russischer Lagerleiter, bitte, das Brot abdecken. Die 600 Gramm, wir haben ja 800 gekriegt, weil wir noch 200 Gramm Leistungszulage, weil wir schwer Arbeit hatten. Da haben wir gesagt: Warum? Na, sagt er, was meint ihr, im Dorf, die Leute haben bloß 400 Gramm. Die werden verrückt, wenn die sehen, dass ihr als unsere ehemaligen Feinde hier mehr bekommt als sie. Na ja, was wollten wir machen, da haben wir das gemacht."
In der öffentlichen Erinnerungskultur der jungen Bundesrepublik allerdings fanden solche Erzählungen kaum Niederschlag. Die Schicksale der Gefangenen wurden dargestellt im Sinne von: Sie waren unschuldige Opfer der Willkürherrschaft, rechtswidrig festgehalten und unsäglich schlimmen Bedingungen ausgesetzt. Zwar gab es in den 50er-Jahren eindrucksvolle Bücher, die sich auch der Frage nach der deutschen Schuld stellten - etwa der "Bericht einer Gefangenschaft" des evangelischen Theologen Helmut Gollwitzer. Doch sie waren die Ausnahme.
"Während in der Trivialliteratur, da haben wir eben den 'Arzt von Stalingrad', das am weitesten verbreitet war, und dieses Leben im Lager eben auf seine Weise schildert, voll noch vom alten Rassismus, von dem Überlegenheitsgefühl gegenüber diesen 'primitiven Russen' und dass man letztlich ja moralisch, intellektuell und moralisch Sieger eigentlich war. Und dann kommen die Filme, ab 1956."
Zum Beispiel die Verfilmung des Romans "Der Arzt von Stalingrad", der an den Erfolg des Buchs anknüpfen wollte. Heute sind Buch und Film immer noch zu haben. Die Verlagsgruppe Weltbild preist den Roman im Internet an als "ein Erlebnis, dem sich niemand entziehen kann".
Ganz anders die Erinnerungskultur im östlichen Nachkriegsdeutschland. Die widmete sich vornehmlich dem Phänomen Umdenken, so die Historikerin Elke Scherstjanoi, weg von der Kriegsbegeisterung hin zu einer Distanzierung vom Krieg.
"So hatten solche Erinnerungen natürlich gute Chancen in der DDR, die davon erzählten, wie ein Soldat während der Kriegsgefangenschaft die großen Zerstörungen vor Augen und den Fleiß der einfachen Leute vor Augen, sich Gedanken machte, was hatte er denn da eigentlich zu suchen auf diesem Gebiet, warum ist er denn gedankenlos vielleicht oder auch voller Elan und Tatendrang für den Führer und fürs Vaterland in dieses Land eingefallen. Solche Prozesse des Nachdenkens wurden in der DDR thematisiert. Sie gehörten in den Kontext eines antifaschistisch geprägten Erinnerungsanliegens, einer Erinnerungskultur, die tatsächlich dieses Umdenken als eine wichtige Leistung vorbildhaft herausstellen wollte. "
Zweifellos brachten auch aus der Gefangenschaft entlassene Soldaten, die in die DDR zurückkehrten, grausame Erfahrungen mit, sagt Scherstjanoi. Doch Grausamkeiten hatten in der öffentlichen Kommunikation der DDR keine Chancen.
"Das hätte das Bild von der Sowjetunion - so argumentierte die SED-Führung damals - in einer Weise geprägt, die möglicherweise antisowjetischer, antikommunistischer Propaganda zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik nur noch mehr Wasser auf die Mühlen gegeben hätte. Wir sehen also, diese Erinnerungskulturen stehen mitten im Kalten Krieg, die Kommunikation über diese gemeinsamen Erlebnisse - Kriegsgefangenschaft - werden im Kalten Krieg in unterschiedlicher Weise in den beiden deutschen Gesellschaften öffentlich angereichert oder beschnitten, genutzt, weiter getragen."
Erst mit dem Ende des Kalten Krieges, so die Historikerin, ist eine Änderung in der Erinnerungskultur zu beobachten.
"Das beginnt tatsächlich auf beiden Seiten mit einer Art Öffnung für die jeweils bislang nicht gelittene Darstellung. Von den 70er-Jahren an in der Bundesrepublik, das steht natürlich auch in Zusammenhang mit der allgemeinen Öffnung hin nach Osteuropa, neue Ostpolitik. Das Interesse für Osteuropa wächst, für Russland wächst in dieser Zeit, und der kritische Umgang mit den Feind- und Fremdbildern, die noch so stark eingebräunt waren in der Zeit von Adenauer, dieser kritische Umgang nimmt zu. Und in der DDR gibt es eine leichte Öffnung in den 70er- und 80er-Jahren ebenfalls für die Schwierigkeiten der nationalsozialistischen Verstrickungen."
Allzu groß war das Interesse in der alten Bundesrepublik am Thema Kriegsgefangenschaft wohl nicht. Zwar gab es gut besuchte Ausstellungen zu dem Thema. Aber der "Verband der Heimkehrer" stieß auf relativ wenig Resonanz, als er Männer dazu aufrief, Zeugnis über ihre Kriegsgefangenschaft abzulegen.
"Und es hat tatsächlich zwar viele, aber nicht mal die Hälfte der Männer erreicht, die etwas hätten sagen können über Kriegsgefangenschaft, das war für mich hoch interessant. Und die Zahl derer, die gar nicht erzählen wollten, die auch in den Familien geschwiegen haben, ist doch erheblich. Und nun stellt sich die Frage, wie kann das denn sein? Passte deren Bild vielleicht nicht in das, was öffentlich gewünscht war? Ist das ein heilsames Schweigen gewesen oder eher nicht?"
Nach der Wende gewann der "Verband der Heimkehrer" neuen Zulauf durch etliche Ostdeutsche, die aber bald wieder austraten. Sie wehrten sich gegen Klischees, die von den westlichen Medien verbreitet wurden, etwa in dem Film "Soweit die Füße tragen".
"Beispielsweise das ewige Klischee vom Schnee. Schnee als Symbol für Sibirien. Auch schon während der Nazizeit immer wieder als drohendes Symbol in die Medien getragen. Sibirien, Ferne, Unwegsamkeiten, hinzu kommt in diesem Kontext noch der Stacheldraht. Also so wollen sich die Männer nicht erinnern."
Auch ein anderes Bild galt den Ostdeutschen als Klischee: die Arbeitsbedingungen, die in Westdeutschland stets dargestellt wurden als Sklavenarbeit mit primitiven Arbeitsmitteln.
"Im ostdeutschen Kontext wird dagegengehalten, dass die Arbeit auch gewollt war als ein Weg, wieder in einen zivilen, normalen Zustand, dass die Arbeit Möglichkeiten eröffnete, zu mehr Lebensmitteln zu kommen, dass sie den Kontakt ermöglichte, dass man bei der Arbeit auch was lernen konnte, dass man über die Arbeit auch und nicht nur, weil man sich irgendwo anbiederte, sondern weil die Arbeitsumstände das zuließen, einen Blick bekam, über die Umzäunung, über den Stacheldraht hinaus."
"Da waren ein paar Künstler, die haben dann Bilder gemalt, haben sich dann bei der Arbeit ein bisschen Farben zusammen geklaut, und dann ging das los. Und das haben die Russen sehr schnell spitz gekriegt. Und sofort kamen die an, also hier, du gehst nicht mehr arbeiten, du gehst hier in ein Atelier, da wurde im Block da so ne Stelle ausgebaut, und da hast du nun zu machen. Du kriegst dein Essen, Trinken wie alle andern, aber du brauchst nicht alles umsonst machen. Du kannst auch was für nehmen. Aber Geld kannst du nur kriegen, wenn jemand was hat. Ja und dann komischerweise, die waren alle auf einmal reich."
Horst Bahro aus Frankfurt an der Oder.
"Ich hab' ja mit Stalin- und Leninbildern, die ich gezeichnet habe, abgezeichnet von son Bild da, die habe ich verkauft und hab' damit Geld gemacht. Das Schlimme war bloß, mit Lenin hätte ich reich werden können, mit Stalin, da war höchstens mal einer, der mir was abgenommen hat, aber - da habe ich's aufgegeben, mit Stalin war nischt zu holen. Mit Lenin ja."
" Also diese andere Seite der Arbeit, die wird im Osten von den ostdeutsch sozialisierten Zeitzeugen stärker betont. Aber ich finde sie auch bei Zeitzeugen aus der Bundesrepublik. Es ist nicht so, dass diese Sicht dort ganz und gar fehlt. Sie fehlte nur in dem, was die Medien und was die Filmwelt angeboten hat."
So werfen die vorliegenden Forschungen zur Zeitgeschichte auch einen kritischen Blick darauf, wie wir unser Bild vom Anderen, vom Fernen und Fremden entwickeln.
"Und ich denke, das betrifft junge Leute in einer Weise, wie man sich für Geschichte interessiert und interessieren muss."
Literatur:
Elke Scherstjanoi (Hg.): Russlandheimkehrer.
Die sowjetische Kriegsgefangenschaft im Gedächtnis der Deutschen.
Oldenbourg Wissenschaftsverlag. München 2012
Horst Bahro: Ich war siebzehn.
Eigenverlag. Zu bestellen unter: Horst Bahro Tel. 0335-544931
