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Schwestern im Geiste

Hollywood-Regisseur William Friedkin hat auf dem Feld der Operinszenierungen einiges Wohlwollen geerntet. In München bringt er "Salome" auf die Bühne, Dirigent Kent Nagano stellt dem Werk eine Komposition Wolfgang Rihms zur Seite: "Das Gehege".

Von Christoph Schmitz |
    Eine Frau erzählt eine seltsame Geschichte. Vom mythischen Endzeitvogel und Leichenverschlinger Hräswelg. Der Vogel habe sie vernaschen wollen, aber sie habe sich gewehrt, erzählt sie einem anderen Vogel, einem zerrupften Adler, den sie gerade aus seinem Zookäfig befreit hat. Ihm bietet sie sich jetzt mit Haut und Haar an. Aber der Adler hat keinen Appetit mehr, im Moment jedenfalls nicht.

    Der Adler steht für Deutschland. Er ist das Wappentier des einst gefräßigen Reiches. Die Begegnung Adler-Frau stammt aus einem Theaterstück von Botho Strauss. "Schlusschor" heißt es, und es handelt vom 9. November 1989, als die Mauer fiel und die Geschichte nach politischem Winterschlaf wieder erwachen konnte. Was bei Botho Strauß ambivalent zwischen archaischer Sehnsucht nach Hingabe und Vereinigung einerseits und politischer Verbissenheit andererseits schwankte, wird von der Vertonung Wolfgang Rihms deutlich politisch kommentiert. Bedrohliche Marschmusikrhythmen klingen durch, bierzeltselige Blaskapellenklänge, schmieriger Verführungswalzer und skelettklappernder Totentanz. Das deutsche Inferno der Nazis geht Rihm auch bei der friedlichen Wende von '89 nicht aus dem Sinn. Brüche, Abbrüche, dreifaches Fortissimo, schärfste Dissonanzen und Glissandi sind die Handschrift dieser Komposition. Volkstümliches und Romantisches dienen lediglich der grotesken Verzerrung.

    Das jedoch rückt diese rund 35-minütige Oper für eine Frauenstimme gestisch nah an die ästhetische Nervosität von Richard Strauss’ "Salome". Strauss’ Partitur atomisiert die Tradition und Wagners Leitmotivtechnik und treibt den romantischen Klang in die Regionen des Atonalen. Was bei Strauss der emotionalen Expressivität dient, dient bei Rihm allerdings der politischen Warnung.

    Wie bei Rihm der Adler keinen Appetit auf die Frau hat, so hat auch der gefangene Jochanaan, Johannes der Täufer, bei Richard Strauss keine Lust auf Salome, auch wenn sie ihn mit allem, was eine junge Frau bieten kann, zu verführen sucht. Damit sie dennoch seine Lippen küssen kann, lässt sich Salome von Herodes, ihrem Stiefvater und Onkel, den abgeschlagenen Kopf des Propheten servieren, wie auch die Frau bei Rihm am Ende den Adler tötet und einen schwarzen Flügel in der Hand hält. Vor einem riesigen schwarzen Flügel, der den ganzen Bühnenraum durchmisst, tritt bei Richard Strauss schließlich Jochanaan auf. So überträgt Hollywood-Regisseur William Friedkin den politischen Habitus der Rihm-Oper auf die "Salome". Die Titelheldin wehrt sich gegen die Willkürherrschaft des Herodes, indem sie sich dem religiösen Ideologen an den Hals wirft. Friedkin führt das Drama aus der schwülen Fin-de-Siecle-Atmosphäre hinaus. Auch optisch wird die Übertragung vollzogen. "Das Gehege" bei Rihm besteht aus riesigen weißen, abstrakt wirkenden Toren. Für die "Salome" werden sie auseinander gezogen und zu verschiedenen, sehr tiefen Räumen kombiniert, und die erinnern an die Säulenarchitektur von Hitlers Hausbaumeister Albert Speer.

    So war es eine runde Sache, die William Friedkin und der Bühnenbildner Hans Schavenoch mit den beiden Musiktheaterstücken hingelegt haben, auch weil gegen Rihms musikalischen Geschichtskommentar die Vieldeutigkeit des höchst emotionalen Geschehens beider Stücke letztlich nicht unter die Räder geriet. Die Sänger sangen kraftvoll, vehement und leidenschaftlich die extrem anspruchsvollen Partien, allen voran Gabriele Schnaut in der Rolle der Frau von Rihms "Das Gehege" und Angela Denoke als "Salome" bei Richard Strauss. Angela Denoke konnte, wie zu erwarten war, auch mit ihrem Schauspieltalent auftrumpfen, was ja gerade für eine tanzende Salome nicht ganz unwichtig ist. Sie zeigte alles, was sie kann und was sie hat. Und auch der Dirigent des Abends, Kent Nagano, legte ein Glanzstück hin, indem er die heißeste Musik mit eiskaltem Verstand ausbrechen ließ. Und er schoss als neuer Generalmusikdirektor der Bayrischen Staatsoper ein Signal in die Lüfte: Hier wird neues Musiktheater genauso ernst genommen wie das Repertoire.