Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Schwieriger Umgang mit der Vergangenheit

Im griechischen Süden Zyperns wird über neue Gesichtsbücher beraten und damit über eine Generalrevision des nationalistischen Geschichtsbildes, das seit Generationen das Bild der Türken im Norden der Insel prägt. Jene haben schon vor fünf Jahren die stereotypen Feindbilder aus ihren Geschichtsbüchern gestrichen. Jetzt sind es die Inselgriechen, die sich schwer tun mit einer Bildungsreform.

Von Christiane Sternberg | 24.02.2009
    Montagmorgen. Es klingelt zur ersten Stunde im Pallouriotissa Lyzeum in Nikosia und die 17-jährigen Schülerinnen schauen noch etwas verschlafen drein. Aber ihr Geschichtslehrer konfrontiert sie gleich mit den turbulenten Jahren zwischen 1968 und 1974. In dieser Zeit gründete sich die Untergrundorganisation EOKA B, die für den Anschluss Zyperns an Griechenland kämpfte. Da plötzlich gerät der flüssige Vortrag des Lehrers durch eine Frage ins Stocken.

    "Stimmt es, dass die EOKA B auch Linke umgebracht hat?"

    "Das ist eine heikle Frage."

    "Ja, es gab Morde - vor und nach dem Putsch 1974. Auch an Linken."

    "Heikel" ist im Unterricht in Zypern so ziemlich alles, was die offizielle Lesart der Geschichte in Frage stellt. "Heikel" ist, dass griechische Zyprer ihre eigenen Landsleute ermordet haben, dass Erzbischof Makarios, erster Präsident der Republik, politische Fehler gemacht hat oder dass Gräueltaten an Zyperntürken begangen wurden. Solche unangenehmen Wahrheiten stehen in keinem Schulbuch. Das muss sich ändern, verlangt Bildungsminister Andreas Demetriou.

    "Wenn wir unsere Vergangenheit nicht bewältigen, können wir für die Zukunft nicht die richtigen Entscheidungen treffen. Keine Gesellschaft kann sich weiterentwickeln, wenn sie nicht jedes Ereignis und jede Person in ihrer Geschichte kritisch betrachtet."

    Allerdings hat sich der Minister mit der angekündigten Bildungsreform tief in die gesellschaftlichen Nesseln gesetzt. Parteien, Lehrer- und Elternverbände werfen ihm vor, er wolle die Geschichte verfälschen. Eine tiefe Verunsicherung erfasst die Bevölkerung. Es ist wohl die Angst vor der Frage, wie viel Schuld die Zyperngriechen selbst an der Teilung ihres Landes haben. Der Lehrer Marios Vasiliou spürt die Abwehrhaltung auch im Klassenzimmer.

    "Schüler, denen ständig eingetrichtert wurde, dass Türken niederträchtig sind, bösartig, ungehobelt und unzivilisiert, nehmen es jetzt nicht so einfach hin, dass Zyperntürken auch Opfer waren."

    Schärfster Gegner der Reform ist die orthodoxe Kirche. Erzbischof Chrysostomos II. drohte, wenn die Regierung nicht "die Finger von der Bildung lasse", werde man "energisch reagieren".

    Die Kirche hat in Zyperns Gesellschaft großen Einfluss. Sie war Jahrhunderte lang Bildungsträger und sieht sich als Verfechter des hellenistischen Geistes. Dr. Phaedon Papadopoulos, religionshistorischer Berater des Erzbischofspalastes, sagt, die Kirche ist das Volk und das Volk ist die Kirche. Seine Begründung für die Ablehnung der Geschichtsaufarbeitung kann also durchaus metaphorisch gesehen werden.

    "Man muss erst die Haltung der Menschen ändern und dann die Geschichte. Viele Leute, die damals dabei waren, leben noch und sagen: Ich habe mein Blut für Zypern gegeben! Und jetzt erfahren sie, dass es nicht ruhmvoll war, dass sie keine Helden sind. Das kann man uns doch nicht wegnehmen, das ist unser Lebensinhalt."

    Andreas Demetriou, übrigens der erste zyprische Bildungsminister, der ohne Billigung der Kirche ernannt wurde, lässt sich nicht beirren. Die wissenschaftlichen Fachkommissionen für die Schulbücher nehmen demnächst ihre Arbeit auf. Fünf Millionen Euro stehen für das Programm in diesem Jahr zur Verfügung. Der Etat soll künftig noch steigen, schließlich umfasst die Bildungsreform auch so nachhaltige Maßnahmen wie die Gründung von Ganztagsschulen oder die Umstrukturierung der Universitäten.

    Jetzt, wo mit den Friedensverhandlungen zwischen dem griechisch-zyprischen Präsidenten Dimitris Christofias und seinem türkisch-zyprischen Verhandlungspartner Mehmet Ali Talat die Chance auf eine Wiedervereinigung wächst, rumort es in der Gesellschaft. Es ist der Beginn eines schmerzenden Prozesses, der sich Vergangenheitsbewältigung nennt.

    "Diese Bildungsreform ist so wichtig, weil sie die notwendigen Bedingungen schafft für eine Gesellschaft, in der sich andere Gemeinschaften wohlfühlen."

    Marios' Vision von einer multikulturellen Gesellschaft lässt auch hoffen, dass die nationalistischen Schlachtgesänge "Zypern ist griechisch" in Zukunft leiser werden und letztlich ganz verstummen.