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Schwimmende Häfen

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Küstenregion und damit auch auf die Wattlandschaft? Und was kann dagegen unternommen werden? Mit diesem Problem haben sich mehr als 100 Fachleute auf einer internationalen Wattenmeer-Konferenz in Wilhelmshaven beschäftigt.

Von Christina Selzer | 31.08.2007
    Der schnelle Klimawandel bringt die Natur in der Küstenregion des Wattenmeers in eine Krise, so die These von Professor Karsten Reise vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung Bremerhaven:

    "Natürlich ist es eine Krise, wenn sich die Natur so schnell verändert wie in den letzten 100 Jahren nicht. Organismen können sich ja anpassen, aber das braucht seine Zeit, und es braucht seinen Raum. Ein ganz einfaches Beispiel: ein Vogel, der in einer Salzwiese brütet und seinen Platz durch eine Sturmflut verliert, da ist ein starker Selektionsdruck drauf, in höhere Lagen zu gehen. Aber was soll der arme Vogel machen, wenn es die Lagen nicht mehr gibt."

    Deshalb müsse Naturschutz an der Küste die ursprünglichen Lebensräume und deren Artenvielfalt wiederherstellen. Doch bisher gingen Naturschutz und Küstenschutz nicht immer Hand in Hand: Weite Überflutungsräume wurden trocken gelegt und Uferbiotope mussten den Deichen Platz machen. Die mobilen Deiche wurden bepflanzt und verloren ihre charakteristische Vegetation. Karsten Reise schlägt vor, das Wattenmeer an den schneller steigenden Meeresspiegel anzupassen:

    "Wir müssen die Küste mit dem Meeresspiegel mitwachsen lassen, von alleine wird sie das nicht können. Deshalb müssen wir von der Nordsee Sand einkaufen, Bagger und Pipelines in die Region reinbringen. Mit diesen Sandpolstern können wir uns Puffer vor den Deichen bauen, Lebensräume aufbauen, die verschwunden sind."

    Die Meeresforscher aus Deutschland, Dänemark und den Niederlanden fordern ein Umdenken beim Küstenschutz. Es könne nicht mehr nur darum gehen, die Deiche immer höher zu bauen, um das Wasser fernzuhalten. Karsten Reise plädiert dafür, sich neuen Ideen zu öffnen:

    "Ich würde auch vorschlagen, dass wir uns mit dem Gedanken anfreunden, viel mehr Wasser in die Landschaft reinzulassen: Ich würde den Sturmflutwasserständen kontrolliert die Chance geben, mit ihren mitgeführten Frachten in ausgewählte Köge eindringen zu können, damit sich das Marschniveau wieder heben kann, denn sonst haben wir eine Landschaft, wo das Meer viel höher ist als das Land. Und dann mag auch keiner mehr hinter so einem Deich wohnen."

    Dasselbe gelte auch für die Nordseehäfen, die weit im Binnenland liegen, wie zum Beispiel Hamburg, Bremen und Bremerhaven. Eine neue Idee wäre laut Karsten Reise zum Beispiel, auch hier die Anpassung an den steigenden Meeresspiegel möglich zu machen, indem man einen schwimmenden Hafen konzipiert:

    "Man hat immer die Flüsse zugerichtet, um größere Schiffe hinzulassen. Das müssen wir anders machen. Da müssen die Häfen raus auf die Nordsee. Da muss ein großes Terminal hin, das schwimmt, dann können wir es auch mal irgendwo anders hinziehen. Da wird umgeladen auf kleine Schiffe, und dann haben wir wieder die Möglichkeit, Flussmündungsgebiete an den Meeresspiegel anzupassen ihnen die alte ökologische Funktion zu geben: Filter zu sein für Schwebstoffe, Schadstoffe und dergleichen."

    Burghard Flemming vom Forschungsinstitut Senckenberg wirft einen Blick auf die Situation der ostfriesischen Inseln, die von starker Erosion betroffen sind. Dort werde der Anstieg des Meeresspiegels in den kommenden 50 Jahren am stärksten spürbar:

    "Man wird sich überlegen müssen, was man auf den Inseln tut, weil ja dort keine Deichlinie steht. Das muss man sich vorstellen. Die Inseln sind ja nur zwei Meter hoch im Schnitt, das ist eine sehr tiefliegende Landschaft. Also wird dort sehr viel verlagert und wird sich dort verändern."

    Noch gibt es kein Patentrezept. Burghard Flemmings Vorschlag lautet: Die Ortschaften auf den Inseln sollen so beweglich werden wie die Inseln - und mitwandern. Dem Wasser ausweichen. Für die Insel Spiekeroog, auf der die Häuser nicht direkt am Wasser stehen, hat er bereits einen Plan entworfen:

    "Das ist ja nicht undenkbar, wenn man einen Ort hat wie Spiekeroog, da ist es ja nicht schwierig, Sicherheitsabstände zum Strand zu definieren, wie man das auch im Küstenschutz macht, den Bereich durch geschlossene Dünen schützt. Und wenn dann durch die Veränderung, den Meeresspiegelanstieg der Strand weiter in die Insel hineinweicht, dass man dann beispielsweise die erste Häuserlinie nach hinten verlagert. Das würde man alle 100 Jahre machen wollen, mehr ist das ja nicht."

    Die andere Variante wäre: Wenn der Ort sich nicht bewegen will, dann muss man ihn eben auf hohe Sockel stellen, so wie schon die Vorfahren getan haben. Denn das Meer wird sich nicht aufhalten lassen, sagt Burghard Flemming. Die Natur wird weiter existieren. Der Mensch muss sich anpassen. Schnelle Lösungen sind zwar nicht in Sicht. Aber die Konferenz in Wilhelmshaven hat gezeigt: Die Wissenschaftler bereiten sich vor, lieber ein paar Jahre zu früh, als zu spät.