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Schwindelfreie Perspektiven?

In den vergangenen Jahren bildeten die Hochschulen nur 50 Prozent der Bauingenieure aus, die in der Wirtschaft gebraucht wurden. Es fehlte schlicht an Studienanfängern. Bei einer Infoveranstaltung an der TU Darmstadt war jetzt der Andrang größer als in den letzten Jahren - trotz Wirtschaftskrise.

Von Ludger Fittkau |
    "Es ist eine spannende Sache, dass man losgelöst von diesen ganzen Berechnungen mal wirklich raus kann. Mal an der frischen Luft, die großen Maschinen, ich habe oft den Begriff "Männerarbeit" gehört. Das war dann schon sehr spaßig mit diesen Riesen Baumaschinen, teilweise bis zu den Knien im Dreck bei diesem schlechten Wetter. Das gehört natürlich bei dem Job auch dazu."

    Christoph Pries hat bereits Erfahrungen auf großen Baustellen gesammelt. Im vergangenen Jahr war der Bauingenieur-Absolvent der TU Darmstadt etwa an Fundamentarbeiten für den spektakulären Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main beteiligt. Zur Zeit sitzt Christoph Pries wieder am Schreibtisch seiner Planungsfirma am Darmstädter Hauptbahnhof. Seit vier Monaten ist Susanne Kurze seine Kollegin. Dass ihr Beruf immer noch als "Männerarbeit" gesehen wird, lässt Susanne Kurze schmunzeln:

    "Nein, das kann ich nicht so bestätigen. Natürlich zählt man so was zu Männerarbeit, sage ich mal, aber jeder Bauingenieur muss auf jeden Fall ein Baustellenpraktikum machen in seinem Studium und das habe ich natürlich auch gemacht. Aber bis jetzt ist meine Arbeit noch nicht auf der Baustelle gewesen, ich bin hier im Planungsbüro, aber da wird es bestimmt auch mal einen ähnlichen Einsatz geben, aber davor schrecke ich auch nicht zurück, auch nicht als Frau."

    An der TU Darmstadt sind etwa 30 Prozent der Bauingenieursstudierenden Frauen. Weil sie oft bessere Abschlüsse machen, besetzen die Frauen inzwischen bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern 50 Prozent der Stellen.

    Umwelt- und Energietechniken sind zur Zeit ein großes Thema bei den Bauingenieuren: Schon während des Studiums wird viel mit klimafreundlichen Baustoffmischungen experimentiert. Gleich hinter den Hörsälen gibt es an der TU Darmstadt eine große Versuchshalle mit Maschinen, Kränen an Stahlträgern, dazwischen Wände mit Ziegelsteinen und sandkastenähnliche Kisten mit Stahlgeflechten, in die Beton eingefüllt wird. Betonmischungen mit Holz- oder Hanfbestandteilen werden hier getestet. Sie sollen mehr Wärme in den Wänden speichern als der übliche Steinbeton.

    Klimatechniken prägen auch zunehmend den Alltag in den Bauingenieurbüros. Susanne Kurze beschäftigt sich mit Umweltgeotechnik. Sie plant Geothermieanlagen, arbeitet also an der Wärmegewinnung aus dem Erdinnern, mit der bis zu 90 Prozent CO2-Emmissionen gespart werden kann:

    "Das nennt sich dann oberflächennahe Geothermie und das geht auch tiefer als 30 Meter, so 100 Meter. Und das kann eigentlich für jedes Gebäude für die Raumtemperierung genutzt werden, sowohl fürs Kühlen als auch fürs Heizen und das hat gar nichts mit der Stromerzeugung zu tun wie bei der Tiefengeothermie dann."

    Trotz Wirtschaftskrise sehen die Jobperspektiven für Bauingenieure zur Zeit sehr gut aus. Auch deshalb, weil jahrelang zu wenig ausgebildet wurde. Ein Grund: Der Architekt hat einfach ein besseres Image als der Bauingenieur. Während das Studienfach Architektur überlaufen war, blieb beispielsweise in Darmstadt bei den Bauingenieuren in den letzten Jahren mancher Studienplatz unbesetzt. Weil sich rumgesprochen hat, dass die Berufsaussichten günstig sind, ändert sich das zur Zeit wieder. Firmen suchen dringend Leute für das In- und Ausland. Leichte Auswirkungen der Wirtschaftskrise sind jedoch im Augenblick spürbar, berichtet Christoph Pries aus seinem Ingenieurbüro:

    "Zur Zeit ist es noch ein ganz gutes Geschäft, aber man merkt schon die ersten Anzeichen, dass die Firmen nicht mehr so schnell mit irgendwelchen Aufträgen sind. Es werden nicht so schnell unbefristete Arbeitsverträge vergeben, teilweise nur befristete. Man hält sich da noch ein bisschen bedeckt und versucht, nicht noch weitere Verpflichtungen zu haben, wenn dann kein Geld mehr da sein sollte."

    Insgesamt hofft die Branche, dass die nun beschlossenen öffentlichen Konjunkturprogramme ihre Wirkung zeigen. Bei seiner Studienwahl sollte man sich ohnehin nicht von kurzfristigen konjunkturellen Schwankungen abhängig machen. Susanne Kurze hat es jedenfalls nicht bereut, Bauingenieurin zu werden:

    "Ich würde sagen, es ist was für jede Frau, die offen ist für Bauwerke, für Konstruktionen, die glaube ich, jeden interessieren. Wer eine große Brücke sieht, das ist nicht frauen- oder männerspezifisch, das ist für jeden interessant. Wer offen in die Welt gehen möchte und vielleicht auch international tätig sein möchte, kommt für das Bauingenieurwesen in Frage."

    Schwindelfrei müsse man für den Brückenbau nicht sein, sagen die Fachleute. Denn ein Brückenbauer wachse mit seiner Brücke und irgendwann habe man den Schwindel vergessen. Die Empfehlung der Praktiker an Abiturienten lautet: Mit derselben Einstellung könne man ja vielleicht auch die aktuellen Konjunkturschwankungen betrachten. Zumindest sollten sie nicht entscheidend für die Berufswahl sein.