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Seesender werden sesshaft

Radio Caroline, Radio Veronica, Big L Radio London gehörten zu den so genannten Seesendern, die in den 60er Jahren die europäische Radiolandschaft revolutioniert haben. Sie spielten die neuesten Hits von Schiffen aus, die in internationalem Gebiet vor Holland und England ankerten. An Land war kommerzielles Radio damals noch nicht vorgesehen. Schärfere Gesetzte bedeuteten Mitte der 70er Jahre das Aus für diese Stationen. Doch jetzt tauchen mehr und mehr von den alten Namen wieder auf.

Von Peer-Axel Kroeske | 11.06.2005
    Es klingt fast wie damals, es knackt und zerrt, denn Big L Radio London sendet wieder auf Mittelwelle. Nur die Songs sind zum Teil neuer. Die Station gehörte von 1964-67 zu den erfolgreichsten Offshore-Radios. DJ-Größen wie John Peel legten hier ihre ersten Platten auf. Und seit Mitte Mai gibt es die Station wieder, nicht vom Schiff, sondern von Studios im englischen Essex. Big-L-Manager Ray Anderson will an die Vergangenheit anknüpfen:

    "Ich war in den 60ern ein Teenager, die Station hatte damals zwölf Millionen Hörer, und ich behaupte der größte Fan gewesen zu sein."
    In den 90ern beantragte Anderson dann zunächst Lizenzen für Veranstaltungsradio in England. Big L war limitiert für wenige Wochen mit sehr begrenzter Reichweite zu hören, spielte wie damals Rockmusik und Oldies. Und einige der alten DJs ließen sich blicken.

    "Wir sendeten und Resonanz war unglaublich. Wie damals in den 60ern wollten viele Hörer nicht, dass wir wieder aufhören."

    Der Coup war dann das Ersteigern einer Mittelwellenfrequenz in den Niederlanden. Im Mai startete Big L auf 1395 Kilohertz dann nach einigem Hin- und Her mit 10 Mitarbeitern den Sendebetrieb. Nachts ist damit ganz Mitteleuropa versorgt, tagsüber reicht sie gerade nach Südostengland.

    Anderson ist der kommerzielle Erfolg von Big L wichtig. Es gibt Playlists. Die DJs moderieren entspannt, haben aber begrenzte Freiheiten.

    Dagegen ist der Ansatz bei Radio Caroline um einiges nostalgischer und idealistischer. Die alte Schiffsglocke erklingt noch immer als Erkennungszeichen. Hinter diesem ehemaligen Seesender steckt Peter Moore:

    " Unsere Einnahmen sollen uns allein ermöglichen, zu senden. Wir brauchen keine Shareholder zu bedienen. Die Sache soll einfach weiter laufen, die Tradition der harmlosen Rebellion, einfach gute Musik zu spielen, egal ob wir daran verdienen oder nicht."

    Auch Peter Moore war in seiner Jugend in den 60ern ein Fan seiner Station, die sich durch ihn einer durchgängigen Historie rühmen kann, im Gegensatz zu Big L. In den 80ern hielt Moore die Fäden in der Hand, als Caroline ein Comeback von einem Schiff auf der Nordsee wagte. 1990 havarierte die Ross Revenge. Heute liegt sie im Hafen von Tilbury. Vom Schiff aus betreibt Caroline noch Sondersendungen. Das Hauptstudio ist inzwischen an Land in Maidstone, der Hauptverbreitungsweg Satellit und Internet.
    Musikalisch deckt Radio Caroline ein für heutiges Radio geradezu unglaubliches Repertoire ab. Es laufen nicht nur Hits, sondern viele Albumtitel legendärer Bands aller Epochen – der DJ wirft mal eben ein 22-Minuten-Stück von Genesis ein, gefolgt von Oasis oder den Hollies. Die Kosten halten sich in Grenzen, weil digitales Satellitenradio billig geworden ist, alle freiwillig arbeiten und Radio Caroline viele Unterstützer hat.

    " 80 Prozent des Budgets sind Spenden, 20 Prozent Werbung. Aber selbst diese Gelder stammen zum Teil von Leuten, die uns in erster Linie helfen wollen, weil sie die Station so mögen."
    Und auch in Deutschland hat Radio Caroline Fans, die sogar regelmäßige eigene Programme produzieren.

    Eine ganz andere Entwicklung hat der größte niederländische Seesender genommen. Verschärfte Gesetze zwangen Radio Veronica 1974 zur Aufgabe der Schiffsausstrahlung. Nach vielen Protesten war die Station dann zwischenzeitlich in die 3.UKW-Kette aus Hilversum integriert. Seit 2 Jahren ist Veronica ein voll-kommerzielles Programm mit eigener nationaler UKW-Frequenz.

    Radio Veronica zielt jetzt auf die Hörer, die nach der Seesender-Ära dem legalisierten Programm gelauscht haben, erklärt Sprecher Jan Willam van Hofwegen.

    Selbst die wenigsten Niederländer dürften wissen, dass hinter Radio Veronica das Medienimperium von Rupert Murdoch steht, hinter dem neuen Veronica TV dagegen der europaweit tätige Medienkonzern SBS – also zwei völlig unterschiedliche Unternehmen.

    Auch andere alte Namen alter Seesender sind jüngst wieder aufgetaucht. Wie Veronica sendet Radio Nordzee in den gesamten Niederlanden auf UKW.
    Radio Seagull hat seit Mai über eine schwache Mittelwellenfrequenz in Nordholland aktiviert, Laserradio gibt es gleich zweimal – als niederländisches Internetradio und als dauerhaften Kurzwellen-Piraten in Irland. Nur von Schiffen aus wird nicht mehr gesendet. Nicht einmal Peter Moore von Radio Caroline traut sich momentan mit der Ross Revenge hinaus auf die See. Aber er träumt noch davon. In anderen Teilen der Welt, wo die Gesetze nicht so streng sind, könnte man es doch mit einem ausgebesserten Schiff noch einmal wagen.

    Informationen:

    Caroline, Big L und Veronica sind alle in Deutschland frei über Digital-Satellit zu empfangen. Für die beiden englischen Sender muss aber die "britische" Astra-Position auf 28 Grad Ost angepeilt werden.
    Hinzu kommt jeweils das Internet:

    Big L - Radio London
    Radio Veronica
    Radio Caroline

    (Caroline ist zudem noch verschlüsselt auf der Astra-Position 19° Ost zu empfangen, auf die die meisten deutschen Schüsseln gerichtet sind. Hierfür bietet Technisat spezielle Empfänger an.)